Ausstellung zu Zwangsarbeitern in München: Zurück ins Gedächtnis der Stadt

Erinnerung an ein dunkles Kapitel: Eine digitale Ausstellung erzählt von den vielen Zwangsarbeitern in München - ausgehend vom ehemaligen Lager Neuaubing.
Eva von Steinburg
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An einer Baracke: Video des Künstlers Franz Wanner. Er zeigt hier, wie die Geschichte des Lagers Neuaubing als Vermarktungsstrategie benutzt wird.
An einer Baracke: Video des Künstlers Franz Wanner. Er zeigt hier, wie die Geschichte des Lagers Neuaubing als Vermarktungsstrategie benutzt wird. © Franz Wanner

Neuaubing - Ob kleine Bäckerei, die Staatsoper oder BMW: Es gibt über 400 Orte in München, an denen im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.

In Münchner Firmen wie Roeckl, der Fabrik von Raab Karcher, bei Lodenfrey, in den Agfa Kamerawerken in Giesing, bei Dornier und in der Landwirtschaft mussten die verschleppten "Ostarbeiter" beispielsweise schuften und leiden.

Historiker Paul-Moritz Rabe wird Leiter des Erinnerungsorts Neuaubing.
Historiker Paul-Moritz Rabe wird Leiter des Erinnerungsorts Neuaubing. © est

"Ihre Ausbeutung war in der Stadt sichtbar und omnipräsent. Ohne ihren Einsatz hätte der Krieg früher beendet werden müssen", erklärt Historiker Paul-Moritz Rabe die Dimension.

1945 befreite die US-Armee rund 7.000 Zwangsarbeiter im Münchner Westen

Die vielen Orte rückt das NS-Dokumentationszentrum zurück in das kollektive Gedächtnis der Stadt. Als Dependance zum Dokuzentrum entsteht dazu bis 2025 im ehemaligen Zwangsarbeiterlager Neuaubing ein neuer Münchner NS-Erinnerungsort: in zwei der acht erhaltenen Baracken.

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Ende April 1945 hatte die US-Armee hier rund 7.000 Zwangsarbeiter befreit, die im Münchner Westen in Rüstungsindustrie und Landwirtschaft eingesetzt waren.

Ausstellung zum Erinnerungsort: "Departure Neuaubing" 

Paul-Moritz Rabe wird den neuen Erinnerungsort leiten. Zusammen mit Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, und Kuratorin Juliane Bischoff hat er dazu "Departure Neuaubing" präsentiert - eine neuartige Ausstellung: digital, partizipativ und transnational.

Für Schüler spannend: Auf iPads in die Geschichte eintauchen.
Für Schüler spannend: Auf iPads in die Geschichte eintauchen. © est

In Zusammenarbeit mit den Kindern und Enkeln von Zwangsarbeitern aus der Ukraine, aus Italien und den Niederlanden ist sie entstanden - und online von überall zu sehen. Was Mirjam Zadoff besonders wichtig ist: "Wir laden Sie ein, sich zu beteiligen, mit Fotos, mit Kommentaren."

NS-Dokumentationszentrum baut auf Hilfe der Bevölkerung

Denn vom Lager des Reichsbahnausbesserungswerks an der Neuaubinger Ehrenbürgstraße ist kein einziges Bild aus der Kriegszeit erhalten geblieben. Oder von den vielen Schlafplätzen und Arbeitsorten der "Ostarbeiter".

Visualisiert: das Tagebuch von Jan (19), Zwangsarbeiter aus Rotterdam.
Visualisiert: das Tagebuch von Jan (19), Zwangsarbeiter aus Rotterdam. © est

Jetzt, wo die letzten Zeitzeugen versterben und der Erinnerungskonsens brüchig geworden sei, baut das NS-Dokumentationszentrum besonders auf die Beteiligung des Publikums.

Münchner Bilder der Künstlerin Hadas Tapouchi in App

Sechs Künstler umkreisen das Thema europäische Zwangsarbeit und das Lager Neuaubing mit Videos, Interviews mit früheren Kriegsgefangenen und dem Besuch eines Dorfs in der Ukraine, aus dem alle arbeitsfähigen Einwohner in das Deutsche Reich verschleppt worden waren.

Acht erhaltene Baracken liegen an der Ehrenbürgstraße in Neuaubing.
Acht erhaltene Baracken liegen an der Ehrenbürgstraße in Neuaubing. © est

Die Berliner Künstlerin Hadas Tapouchi hat 30 Orte in München fotografiert, an denen Unterkünfte für Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter waren: Auf einer Stadtkarte lädt die App dazu ein, die Orte zu erkunden.

Herzog-Rudolf-Straße: Verstörende Vergangenheit

Um den Mollblock in Giesing war einstmals Stacheldraht gespannt. In zweistöckigen Betten schliefen weibliche Häftlinge aus Polen, der Sowjetunion und Belgien, die aus dem KZ Ravensbrück nach München gebracht worden waren.

Die Münchner Staatsoper hatte 1942 ein Hinterhaus in der Herzog-Rudolf-Straße angemietet, um Zwangsarbeiter unterzubringen. Tapouchi dokumentiert den Ort heute: ein Stück elegantes München mit verstörender Vergangenheit.

Neben der Normalität der Ausbeutung macht "Departure Neuaubing" den Schmerz spürbar: Der 19-jährige Holländer Jan war Häftling in Neuaubing. Sein Tagebuch ist erhalten, mit dem Satz "Ich habe Heimweh". Gamedesigner haben es für die neue App animiert.

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  • Blaumeise am 24.01.2022 20:30 Uhr / Bewertung:

    Ergänzung: Nicht nur Zwangsarbeiter mussten in solchen Barackenlagern hausen, noch Jahre nach dem Krieg wurden in München Verschleppte, Vertriebene und Ausgebombte dort untergebracht. Lager Frauenholz (Hasenbergl) 1953: 5köpfige Familie in zwei miserablen Barackenzimmern, ein Eisenbett, drei Feldbetten und ein paar Kisten als Tisch und Stühle, saukalt im Winter. Auch das sollte nicht vergessen werden.

  • Katz und Maus am 24.01.2022 17:05 Uhr / Bewertung:

    Zunächst einmal sollte der Begriff "Erinnerung", ob als Erinnerungskultur, Erinnerungsstätte,... ersetzt werden durch den Begriff "Gedenken". Erinnern kann man sich nur an Ereignisse, die man selbst miterlebt oder zu deren Zeit man bereits gelebt hat. Es ist auch nicht nötig, einen profilierungssüchtigen 'Künstler' damit zu beauftragen, auf Englisch etwas auf eine Glasscheibe zu schreiben, um mir die Situation der ZWangsarbeiter im zweiten Weltkrieg vor Augen zu führen. Meine Generation hat davon schon im Unterricht (vor allem Deutschnund Geschichte) erfahren, da war Herr Paul-Moritz Rabe noch nicht einmal auf der Welt. Dafür wären das Kultusministerium und Nachfahren von Zwangsarbeitern die richtige Anlaufstellen gewesen. Herr Rabe möchte doch bitte seine Doktorwürde abgeben. Immerhin hat er an der LMU studiert, die ja nicht gerade frei von Nationalsozialisten war. Wir brauchen keine selbstherrlichen Betroffenheitsbeauftragte, die anderen vorschreiben, was sie wann zu empfinden haben.

  • Boandlkramer am 24.01.2022 09:56 Uhr / Bewertung:

    Leider scheint diese ganze Gedenkkultur nicht viel gebracht zu haben, wenn man sieht wieviel Leute einen immer aggressiver, übergriffiger und aufdringlicher werdenden Staat akzeptieren und nicht erkennen, dass totalitäre Systeme nicht einfach so plötzlich „da sind“, sondern allmählich heranwachsen wenn die Menschen ihre Grundrechte nicht verteidigen.

    Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch …

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