Ausstellung zu Zwangsarbeitern in München: Zurück ins Gedächtnis der Stadt
Neuaubing - Ob kleine Bäckerei, die Staatsoper oder BMW: Es gibt über 400 Orte in München, an denen im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.
In Münchner Firmen wie Roeckl, der Fabrik von Raab Karcher, bei Lodenfrey, in den Agfa Kamerawerken in Giesing, bei Dornier und in der Landwirtschaft mussten die verschleppten "Ostarbeiter" beispielsweise schuften und leiden.

"Ihre Ausbeutung war in der Stadt sichtbar und omnipräsent. Ohne ihren Einsatz hätte der Krieg früher beendet werden müssen", erklärt Historiker Paul-Moritz Rabe die Dimension.
1945 befreite die US-Armee rund 7.000 Zwangsarbeiter im Münchner Westen
Die vielen Orte rückt das NS-Dokumentationszentrum zurück in das kollektive Gedächtnis der Stadt. Als Dependance zum Dokuzentrum entsteht dazu bis 2025 im ehemaligen Zwangsarbeiterlager Neuaubing ein neuer Münchner NS-Erinnerungsort: in zwei der acht erhaltenen Baracken.
Ende April 1945 hatte die US-Armee hier rund 7.000 Zwangsarbeiter befreit, die im Münchner Westen in Rüstungsindustrie und Landwirtschaft eingesetzt waren.
Ausstellung zum Erinnerungsort: "Departure Neuaubing"
Paul-Moritz Rabe wird den neuen Erinnerungsort leiten. Zusammen mit Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, und Kuratorin Juliane Bischoff hat er dazu "Departure Neuaubing" präsentiert - eine neuartige Ausstellung: digital, partizipativ und transnational.

In Zusammenarbeit mit den Kindern und Enkeln von Zwangsarbeitern aus der Ukraine, aus Italien und den Niederlanden ist sie entstanden - und online von überall zu sehen. Was Mirjam Zadoff besonders wichtig ist: "Wir laden Sie ein, sich zu beteiligen, mit Fotos, mit Kommentaren."
NS-Dokumentationszentrum baut auf Hilfe der Bevölkerung
Denn vom Lager des Reichsbahnausbesserungswerks an der Neuaubinger Ehrenbürgstraße ist kein einziges Bild aus der Kriegszeit erhalten geblieben. Oder von den vielen Schlafplätzen und Arbeitsorten der "Ostarbeiter".

Jetzt, wo die letzten Zeitzeugen versterben und der Erinnerungskonsens brüchig geworden sei, baut das NS-Dokumentationszentrum besonders auf die Beteiligung des Publikums.
Münchner Bilder der Künstlerin Hadas Tapouchi in App
Sechs Künstler umkreisen das Thema europäische Zwangsarbeit und das Lager Neuaubing mit Videos, Interviews mit früheren Kriegsgefangenen und dem Besuch eines Dorfs in der Ukraine, aus dem alle arbeitsfähigen Einwohner in das Deutsche Reich verschleppt worden waren.

Die Berliner Künstlerin Hadas Tapouchi hat 30 Orte in München fotografiert, an denen Unterkünfte für Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter waren: Auf einer Stadtkarte lädt die App dazu ein, die Orte zu erkunden.
Herzog-Rudolf-Straße: Verstörende Vergangenheit
Um den Mollblock in Giesing war einstmals Stacheldraht gespannt. In zweistöckigen Betten schliefen weibliche Häftlinge aus Polen, der Sowjetunion und Belgien, die aus dem KZ Ravensbrück nach München gebracht worden waren.
Die Münchner Staatsoper hatte 1942 ein Hinterhaus in der Herzog-Rudolf-Straße angemietet, um Zwangsarbeiter unterzubringen. Tapouchi dokumentiert den Ort heute: ein Stück elegantes München mit verstörender Vergangenheit.
Neben der Normalität der Ausbeutung macht "Departure Neuaubing" den Schmerz spürbar: Der 19-jährige Holländer Jan war Häftling in Neuaubing. Sein Tagebuch ist erhalten, mit dem Satz "Ich habe Heimweh". Gamedesigner haben es für die neue App animiert.