Stadtrundgang - Münchner Yin und Yang

Jie Qian ist Experte für Feng Shui. Er sieht Städte im Verhältnis von Yin und Yang, im Fluss der Energie. Für die AZ hat er die chinesische Harmonielehre auf die Münchner Altstadt übertragen. Ein Spaziergang.
von  Christian Pfaffinger
Ein Kreis, Wasser und Natursteine: Am Stachus herrscht gute Energie.
Ein Kreis, Wasser und Natursteine: Am Stachus herrscht gute Energie. © Christian Pfaffinger

München - Die Feldherrnhalle ist wie Manhattan oder Passau: ein Keil im Fluss. Ein Ort, an dem sich die Strömung ändert. Auch, wenn um die Feldherrnhalle nicht wirklich Flüsse führen wie um Manhattan oder Passau, sagt Jie Qian: „Die Feldherrnhalle ist eine Insel, die den einen Fluss umlenkt und den anderen langsamer macht und verteilt.“

Jie Qian spricht von Energie. „Der Englische Garten ist ein Energieort, von dort aus fließt die positive Energie über den Hofgarten zum Odeonsplatz. Über die Ludwigstraße kommt mit dem Verkehr sehr viel negative, aggressive Energie.“ An der Feldherrnhalle, kommt es zum Energie-Kampf, einem Kampf, der entscheidend ist: für das Feng Shui der Münchner Altstadt.

Feng Shui, das hört und liest man sonst etwa im Möbelhaus. Die alte chinesische Lehre von der Harmonie, die der Mensch über die Gestaltung seiner Lebensräume erreichen kann, soll dort vor allem erklären, warum wir unsere Zimmer umstellen und dazu am besten gleich was Neues kaufen sollten. Das klassische Feng Shui kann aber viel mehr, sagt Jie Qian, als er sich bei der AZ meldet und eine Feng-Shui-Analyse Münchens anbietet. Er erklärt, wie es so ausschaut mit der Energie in der Stadt.

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Es klingt interessant – aber spürt man das wirklich? Jie Qian will es zeigen: bei einem Spaziergang durch die Altstadt. An einem sonnigen Vormittag treffe ich den 47-Jährigen am Fischbrunnen auf dem Marienplatz. „Ein guter Treffpunkt“, sagt er gleich. „Der Brunnen ist ein Energieort und der Fisch das Symbol für Reichtum und Überfluss. Im Nordosten des Marienplatzes steht er an der richtigen Stelle. Nordost ist die Reichtumszone.“

Jie Qian ist ein freundlicher Mann, lächelt viel, ist zuvorkommend und begeistert von Feng Shui. Sein Opa, ein chinesischer Gutsherr, hat es ihn gelehrt. In China arbeitete Jie Qian auf der Obst- und Gemüseplantage seiner Eltern, bis er vor 18 Jahren als Regierungspraktikant ins oberbayerische Freising kam. Dort gefiel es ihm. Er blieb, machte eine Gartenbauausbildung bei Weihenstephan, das deutsche Abitur und fing ein Studium an. Dann fand er mit Feng Shui seine Leidenschaft, wie er sagt. Heute arbeitet er als Gartengestalter und Feng-Shui-Berater in München, vor allem für Firmen.

Der Energiemittelpunkt der Stadt ist ein runder Metalldeckel

Er führt mich als erstes zum Energiemittelpunkt der Stadt. Es ist ein Fleckerl im Südwesten des Marienplatzes, genau dort, wo eine Metallplatte in den Boden eingelassen ist. „25 Jahre Fußgängerzone“ steht darauf. „Hier kommt die Energie zusammen, ohne aggressiv aufeinanderzutreffen“, sagt Jie Qian. Die Achsen Sendlinger Straße/Weinstraße sowie Kaufingerstraße und Tal hätten hier ihren Kreuzungspunkt, aber man sehe nicht in die jeweiligen Straßen hinein.

Gerade, breite und lange Straßen, von mehreren Seiten einsehbare Kreuzungen, beides habe eine negative Energie. Das erinnert an die Philosophie, nach der Theodor Fischer, ein Münchner Stadtplaner, vor mehr als 100 Jahren einen Generalbebauungsplan für die Erweiterung etwa der Maxvorstadt entworfen hat. Ich erzähle Jie Qian davon. „Das ist sehr interessant“, sagt er. „Oft bauen gute Architekten nach Feng Shui, ohne es zu wissen“.

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Meistens aber nicht. Grundsätzlich trügen die meisten Bauwerke zu viel aggressive, männliche Yang-Energie. Zum Ausgleich brauche es natürliche, weibliche Yin-Energie. Er zeigt mir Beispiele in der Innenstadt. Die Nordostseite der Hofstatt etwa: „Viel zu viel Yang-Energie, zu kantig, zu viel Rot, zu aggressiv. Die vielen Scheiben reflektieren, das gibt Energie-Pingpong. Hier wohnt man nicht gut. So viel Yang-Energie macht zornig.“

Oder der Kaufhof am Marienplatz: „Viel zu kantig, vor allem, weil es spitze Kanten sind. Man sollte Hängepflanzen in die Nischen setzen.“

Oder das Joseph-Pschorr-Haus: „Das viele Metall wirkt total hart, die gestückelte Fassade zerkleinert die Energie und das Dach ist zu kahl. Kleine Spitzen würden hier besänftigend wirken.“

Aber er hat auch Lob, zum Beispiel für den Sport Schuster: „Das ist eine schwungvolle, natürliche Fassadenform. Da kann die Energie fließen.“ ää Oder für den Stachus: „Die umliegenden Häuser und der Brunnen bilden zwei Kreise, in denen die Energie fließt. Im Brunnen liegen Natursteine und das Karlstor hat eine schöne geschwungene Form, fast wie ein chinesischer Tempel.“

Während des Spaziergangs versuche ich, mich in alles, was Jie Qian beschreibt, hineinzufühlen. Stimmt schon, verwinkelte Straßen haben etwas Gemütliches, alles Natürliche wie Wasser oder Bäume erfrischt einen und auf dem Platz zwischen Hofstatt, Hirmer-Parkhaus und Löwenhof-Passage kann man sich wirklich kaum wohlfühlen. Aber Manches sehe ich auch anders: Ich mag zum Beispiel rote Geranien an Balkonen. Jie Qian sagt: „Rot steht für Feuer, für Yang-Energie, das ist an Gebäuden zu aggressiv. Blaue oder grüne Blumen wären besser.“ Es wird Zeit, zu fragen: „Herr Jie, viele halten Feng Shui ja für einen esoterischen Schmarrn. Was sagen Sie dazu?“

Esoterischer Schmarrn? Die Quantenphysik soll Feng Shui erklären

Jie Qian lächelt milde. „Das ist keine Esoterik, man kann es sogar wissenschaftlich belegen. Ich habe die Lehre des Feng Shui durch die Erkenntnisse der Quantenphysik wunderbar bestätigt gefunden.“ Er legt los, fängt beim Welle-Teilchen-Dualismus an, streut dann die Heisenbergsche Unschärferelation ein.

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Aber geht es beim Feng Shui nicht um etwas Geistiges, Transzendentes, um nicht materielle Energie? Jie Qian sagt: „Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Das gesamte Universum ist ein Konglomerat von Schwingungsmustern, die gesamte Natur beruht auf energetischen Wechselwirkungen: Alles fließt, alles verändert sich. Das ist das Wesen von Feng Shui“.

Unser Spaziergang endet im Marienhof, einem seiner Lieblingsorte in der Innenstadt. „Viel Grün, uneinsehbare Straßen, von Bäumen neutralisierte Ecken.“ Hier komme auch Energie vom Englischen Garten an, die positive Energie, die an der Feldherrnhalle gespalten werde. Sie fließe von dort langsam über die Theatiner- und die Residenzstraße ins Zentrum.

„Die schlechte Energie aus der Ludwigstraße wird mit dem Verkehr in die Brienner Straße abgeleitet“, sagt Jie Qian. „Und auch die steinernen Löwen an der Feldherrnhalle wehren negative Energie ab.“

Wir verabschieden uns. Ich gehe noch eine Runde durch die Altstadt, dann nordwärts zur Feldherrnhalle in der Maxvorstadt. Friedrich von Gärtner hat sie dort hinstellen lassen, nach florentinischem Vorbild, nicht nach chinesischem und eher zwecks des Prunks. Ich setze mich zu den Löwen. Am Durchgang zum Hofgarten, wo laut Jie Qian die Energie herkommt, sitzen Sonnenbebrillte vor dem Tambosi und schlürfen Sprizz. Tauben wackeln übers Kopfsteinpflaster. Mittagsläuten. Schon ganz schön harmonisch.

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