Stadt stoppt den Hygiene-Pranger
Wegen schwerer rechtlicher Bedenken: „Wir haben die Eintragungen derzeit ausgesetzt“, sagt der Münchner KVR-Chef. Wirte hatten erfolgreich geklagt.
München - Exakt 112 Sünder stehen mittlerweile am Hygiene-Pranger des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Der aktuellste Eintrag stammt vom 8. Januar.
Auffällig: Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) hat zuletzt am 13.Dezember eine Gaststätte eingetragen. KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle zur AZ: „Wir haben die Eintragungen ausgesetzt.“
Pech für Wirt Sepp Krätz („Andechser“): Er landete drei Tage zuvor am Pranger (AZ berichtete).
Das KVR bewegt sich mit dem vorübergehenden Eintragungs-Stopp in juristisch unübersichtlichem Gelände. Schließlich ist die Veröffentlichung auf der Internetseite www.lgl.bayern.de seit 1. September 2012 bei „bestimmten Verstößen im Bereich des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts“ Pflicht, wenn die zu erwartende Geldbuße 350 Euro und mehr beträgt.
Doch der Hygiene-Pranger war schon von Anfang an umstritten – auch der KVR-Chef sieht ihn seit jeher kritisch.
Alles über einen Kamm geschoren: AZ-Meinung zum Hygiene-Pranger
Die drei Haupt-Kritikpunkte: Betriebe, in denen Verstöße festgestellt wurden, bleiben volle sechs Monate lang auf der Internet-Seite des Landesamts stehen – auch wenn die Mängel längst beseitigt sind. Meistens akzeptieren die eher kleineren (und finanzschwächeren) Betriebe die Eintragung zähneknirschend. Die Großen ziehen vor Gericht – und schieben die Veröffentlichung zumindest hinaus.
Die festgestellten Mängel haben – so belegen es die Einträge im Online-Pranger – nur selten direkt mit gesundheitsgefährdendem Dreck oder verdorbenen Lebensmitteln zu tun. Auch gesprungene Kacheln und falsch platzierte Kühltruhen sind Mängel.
Schon bis Mitte letzten Monats waren beim Münchner Verwaltungsgericht zwölf Klagen eingereicht worden, darunter sieben von Münchner Betrieben, die es bei einer Kontrolle erwischt hatte. Es gibt auch schon erste Vorab-Entscheidungen – und zwar im Sinne der Kläger. Die 18. Kammer etwa stellte in einem Eilverfahren noch im Dezember fest, der Pranger sei „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ ein rechtswidriger Eingriff in die Berufsfreiheit, den Gewerbebetrieb und die allgemeine Handlungsfreiheit des Gastwirts (AZ M 18 E 12.5736). Resultat: Der klagende Wirt landet nicht auf der Ekel-Liste.
Industrie- und Handelskammer sowie Hotel- und Gaststättenverband fordern unisono die „ersatzlose Abschaffung des Internet-Prangers“. Das KVR hat längst Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingelegt – und wartet auf dessen Entscheidung. Das kann erfahrungsgemäß Monate dauern.
Der Eintragungs-Stopp sei aber definitiv nur vorübergehend, versichert eine Behördensprecherin. Das KVR prüfe auch während des laufenden Rechtsstreits die Situation und passe die Umsetzung von Paragraf 40 Lebensmittelgesetzbuch (LFGB) entsprechend an. Deshalb werden wohl schon vor der juristischen Klärung die nächsten Münchner Betriebe am Hygiene-Pranger landen.
Mit Interesse verfolgt die Münchner Ordnungsbehörde natürlich auch die Rechtsprechung in anderen Regierungsbezirken und Bundesländern. Das Verwaltungsgericht in Würzburg etwa untersagte die Eintragung eines wegen krasser Mängel aktenkundig gewordenen unterfränkischen Gastwirts. Begründung: Nach dem Gesetzestext reiche es nicht aus, wenn die beabsichtigte Veröffentlichung nur über allgemeine Hygienemängel einer Gaststätte informiere.
Und auch die Stadt Trier (Rheinland-Pfalz) darf die Namen von Restaurants mit Hygienemängeln nicht mehr so ohne weiteres publik machen. Das örtliche Verwaltungsgericht begründete das damit, dass es rechtlich nur erlaubt sei, vor gesundheitlich „schädlichen Lebensmitteln“ zu warnen. Das sei bei Hygienemängeln nicht grundsätzlich der Fall.
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