Sind wir Sklaven unserer Smartphones? Münchner Medienpädagoge widerspricht

Smartphones werden immer mehr zur Pflicht als zur Kür – so empfinden es gerade viele ältere Menschen. Stimmt das? Und ist es eine gefährliche Entwicklung? Was ein Medienpädagoge dazu sagt.
Ruth Schormann
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Digitale Teilhabe wird immer mehr zur Voraussetzung für soziale Teilhabe. Ein Problem, findet auch Medienpädagoge Sebastian Ring.
Digitale Teilhabe wird immer mehr zur Voraussetzung für soziale Teilhabe. Ein Problem, findet auch Medienpädagoge Sebastian Ring. © imago

München - Flugtickets buchen, Essen bestellen, Busfahrpläne abrufen: Für vieles braucht's heute einfach ein Handy – oder der analoge Weg ist zumindest deutlich umständlicher als ein, zwei Klicks und Wischer auf dem Smartphone.

Frage an den Experten: Können wir bald nicht mehr ohne?

Nicht alle finden das gut. Vor allem ältere Menschen tun sich mitunter schwer in der für sie immer noch neuen digitalen Welt, ziehen persönliche Beratung und eine direkte Ansprache von Angesicht zu Angesicht einer Information auf einem Mini-Display vor.

Sebastian Ring: Leiter des Medienzentrums München möchte sein Smartphone nicht missen

So geht es auch einer AZ-Leserin, die sich an uns gewandt hat. Sie meint, es sei ja praktisch bald kaum mehr möglich, ohne Handy zu existieren. Und Handys machten Menschen krank...

Medienpädagoge Sebastian Ring
Medienpädagoge Sebastian Ring © privat

Aber stimmt das? Ist es wirklich so schlimm, dass die Digitalisierung in Form von Smartphones in unser aller Jacken- und Hosentaschen gewandert und unser ständiger Begleiter ist?

Sebastian Ring, Jahrgang 1977 und Leiter des Medienzentrums München, möchte sein Smartphone nicht missen: "Für mich persönlich wäre mein Leben viel schwerer, wenn ich kein Smartphone hätte. Das ist einfach ein Kommunikationsgerät. Die Vielfalt dessen, was man damit machen kann, ist natürlich spannend. Es ist eine Zeitung, ein Fotoapparat, ein Fernseher und ein Radio, es bietet Austausch mit anderen Leuten. Das ist erstmal sehr positiv", findet Ring.

Ring: "Wenn es Lust macht, ist es nicht ganz so mühsam, es zu lernen"

Diesen Austausch sehen Skeptiker kritisch, für sie zählt eher das persönliche Gespräch, etwa am Ticketschalter der Bahn oder in einem Restaurant. Und ja, das sieht auch Ring als Problem: "Digitale Teilhabe ist an vielen Stellen eine Voraussetzung für soziale Teilhabe geworden. Das ist ein Problem, dass dadurch eben viele Menschen einfach ausgeschlossen sind", sagt er.

Digitale Teilhabe = soziale Teilhabe

Doch es gibt für sie Unterstützung, berichtet der Pädagoge: "Wir haben hier in München die Digitale Hilfe eingerichtet, als 2020 der erste Lockdown kam. Es haben sich vorwiegend Senioren und Seniorinnen bei uns gemeldet, die wissen wollten, wie sie bestimmte Apps installieren zum Beispiel. Das war wie ein Rettungsring. Sowas braucht es für die Menschen, die ausgeschlossen sind."

Schnelle Entwicklung: Manche "bleiben auf der Strecke"

Ring denkt, diese Teilhabe wird in den kommenden Jahren noch mehr Bedeutung erlangen. "Wir sollten schauen, dass wir alle Menschen mitnehmen. Das ist wichtig, da braucht's viele Bildungs- und Beratungsangebote", denn: "Wir werden nicht umhinkommen, dass Dienstleistungen immer mehr digitalisiert werden, in vielen Bereichen ist das schlicht notwendig und macht unser Leben ja auch einfacher und effizienter."

Doch es gibt ein Aber: Die Entwicklung geht sehr schnell und so "können wir nicht davon ausgehen, dass alle Menschen da automatisch völlig problemfrei mitgehen können", gibt der Medienpädagoge zu bedenken. Tut der Staat genug für die Teilhabe?

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Ring meint, Politik, Anbieter und Zivilgesellschaft haben hier zwei große Aufgaben: Die Politik und die Anbieter müssen für faire Rahmenbedingungen sorgen, zum Beispiel die Nutzer und Nutzerinnen vor Datenmissbrauch schützen – sowohl vonseiten des Staates, Stichwort: Polizeiaufgabengesetz, als auch vonseiten der kommerziellen Akteure, die Handys und deren Dienstleistungen verkaufen.

Das andere ist, dass die Zivilgesellschaft und auch die Politik sich darum kümmern, "dass die Leute wirklich mitmachen können, dass sie Zugänge haben, kompetenzfördernde Angebote und bedarfsorientierte Beratung. Nicht nur die Schulen sind gefragt, auch Vereine und andere Bildungseinrichtungen können Beiträge zur Medienkompetenz-Förderung erreichen", meint Ring. Nun zeigt aber das eine oder andere Beispiel aus dem näheren oder weiteren Umfeld, dass es durchaus Menschen gibt, die schlichtweg keine Lust haben, sich mit neuen Technologien zu beschäftigen.

Virtueller Museumsbesuch, Video-Call mit Enkelkindern

Ring kann das nachvollziehen: "Auf bestimmte Sachen hat man eben mehr Lust und bestimmte Sachen sind nur eine Notwendigkeit. Wenn man sich etwas Neues aneignen muss, das nicht unbedingt mit den eigenen Interessen zusammenhängt, empfindet man das erstmal als Last."

Hier gelte es, gerade auch älteren Menschen zu zeigen, was sie mit dem Smartphone alles machen können: "Wenn ich sehe, dass ich etwa virtuell Museen in der ganzen Welt besuchen kann oder eben mit den Enkelkindern videochatten, dann macht es Lust und es ist vielleicht nicht ganz so mühsam, sich den Umgang damit draufzuschaffen. Weil man ein Ziel vor Augen hat", sagt Ring.

Skepsis gegenüber Neuem gab und gibt es ja immer, man denke an die Erfindung des Telefons, später die Einführung des Fernsehapparats... Aber Kinder, die heute aufwachsen, denken vermutlich gar nicht mehr groß darüber nach, ob Smartphones gut oder schlecht sind, sie sind einfach da, gehören zu ihrem Alltag. Ring meint aber: "Kinder nervt es auch, wenn die Eltern oder ihre Freunde ständig aufs Handy glotzen."

Smartphone, Smartwatch, Wearables

Ist es jetzt mal vorbei mit den Neuentwicklungen? Natürlich nicht, man denke nur an Weiterentwicklungen des Smartphones wie Smartwatches oder andere Wearables, also Technologien, die man am Körper trägt, etwa smarte Ringe oder Brillen.

Ring sagt: "Ich habe den Eindruck, es gab in den letzten Jahren regelmäßig mediale Revolutionen: die ersten Handys, das World Wide Web, Youtube, danach erst Facebook, dann die Smartphones. Man kann sich darauf einstellen, dass sich diese Welt einfach schnell und kontinuierlich weiterentwickelt und wir da immer am Ball bleiben müssen und uns immer wieder überlegen müssen, wie wir mit neuen Entwicklungen umgehen, nicht nur im technischen, auch im ökonomischen und medienethischen Sinne."

"Wir müssen souverän und bewusst mit den Angeboten umgehen"

Er meint: "Wer hätte das gedacht, dass Firmen wie Google oder Youtube ihre Dienste kostenfrei zur Verfügung stellen, weil Daten auf einmal so eine ökonomische Relevanz bekommen haben? Das müssen wir kritisch ansehen und da ist auch die Politik gefordert, dass sie für Bürger und Bürgerinnen, gerade auch ältere Menschen, denen digitale Kompetenzen fehlen, einen Rahmen schafft, in dem wir souverän handeln können."

Klar, man kann Smartphones und damit verbundene Technologien einfach verteufeln. Doch damit macht man sich das Leben schwerer, mitunter teurer (etwa, weil Bahntickets am Schalter mehr kosten als am Automaten oder über die Handy-App) und schließt sich selbst langfristig wohl immer mehr aus der Gemeinschaft aus. Smartphones sind Kommunikationsmittel – freilich kommt es aber immer darauf an, wie man sein Gerät selber nutzt, welchen Umgang man in Freundeskreis und Familie damit pflegt.

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Die Zukunft wird nicht analoger

Ring sagt dazu: "Es ist sehr oft ein Zerrbild, wenn das Stereotyp eines 'verdummten Handynutzers' bemüht wird. Das wird der Realität oft nicht gerecht, denn es gibt nur sehr, sehr selten Fälle, in denen Menschen ihr ganzes Leben nur exklusiv in digitalen Welten verbringen. Nichtsdestotrotz müssen wir alle, junge und ältere Menschen, in unserem Alltag justieren, welche Aufmerksamkeit wir dem Smartphone geben wollen."

Eine diametrale Gegenbewegung, komplett weg von Smartphone und Ähnlichem wieder zurück in eine rein analoge Welt, die wird laut Rings Einschätzung nicht kommen. "Weil uns das Smartphone das Leben und unsere Kommunikation erleichtert und es einen Mehrwert bietet."

Die Herausforderung künftig werde eher sein, "bewusst und souverän mit all den Angeboten umzugehen und miteinander gute Regeln zu finden, wie wir gemeinsam online interagieren möchten".


Die "Digitale Hilfe" richtet sich an alle Menschen in München, die Fragen rund um Computer, Tablet und Smartphone haben, und ist telefonisch erreichbar unter 089/21528594 sowie in einer offenen Sprechstunde dienstags von 12 bis 18 Uhr im "Pixel" im Gasteig (Rosenheimer Straße 5) oder freitags von 10 bis 16 Uhr im "Pixel2" beim Münchner Stadtmuseum (Rosental 16).

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  • Kaiserin am 06.12.2022 13:13 Uhr / Bewertung:

    Bahnticket teurer....aber nicht mehr lange wenn das 49,- Ticket als Monatsabo kommt und ansonsten muß ich wirklich nicht jeden Handgriff über das Telefon machen....und JA der persönliche Austausch ist weitaus wichtiger als nur auf das Teil zu starren. Ich frage auch lieber persönlich nach wenn es möglich ist immerhin leide ich weder am Gender-tourette ( Mitarbeiter:innen ect. früher nannte man das Stottern ) und ich habe einen Mund zum aufmachen und fragen.
    Virtuell ins Museum...bald auch virtuell in die Kneipe.....kommt auf jeden Fall günstiger zuhause was zu trinken und dann nur noch im virtuellen Room zusammen zu kommen und den Fahrtweg spart man sich auch gleich. Auch gleich ins Schwimmbad, ist das Wasser nicht so kalt und ertrinken kann auch keiner bei den Trockenübungen zuhause. Im Sommer dann Planschbecken auf den Balkon und virtuell mit anderen auf der digitalen Wiese liegen.......ach was ist digital doch "schön".......alles mit Maß und Ziel dann ist es auch ok.

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