Pilotprojekt in München: MVG setzt auf unkonventionelle Lösung gegen Personalmangel
München - Ege Celik (26) studiert eigentlich Psychologie an der TH Rosenheim, wenn alles glatt läuft, ist er aber bald regelmäßig auf Münchens Straßen unterwegs. Als Trambahnfahrer. Und das macht ihn sichtlich stolz. Celik ist einer von acht jungen Männern die sich bei der MVG gerade in den Semesterferien zu Trambahnfahrern ausbilden lassen. Alle von ihnen studieren, den Job als Fahrer machen sie quasi nebenbei. Aber warum?

Fragt man die Studenten selbst, scheint es für viele ein Kindheitstraum zu sein, den sie sich erfüllen. "Die Tram war schon immer mein Lieblingsverkehrsmittel", schwärmt beispielsweise Alexander Löher (21), der eigentlich Jura und Politikwissenschaft an der LMU studiert. Jelle Scheuble, der in Rosenheim BWL studiert, erzählt, dass ihn die Technik schon immer interessiert hat.
Rein als Tramfahrer zu arbeiten kam für keinen der jungen Männer in Frage, die Kombination aus einem akademischen Beruf und dann hinein "ins fahrende Büro", wie sie es nennen, reizt sie dennoch. "Die Abwechslung machts. Wir jungen Menschen haben so ein Überangebot an Möglichkeiten, es ist toll, durch das Pilotprojekt die Chance zu bekommen, auch in eine andere Welt einzutauchen", sagt Psychologiestudent Celik.

Fachkräftemangel in München: Der MVG fehlen Fahrer für Busse, Tram- und U-Bahnen
Von dem Projekt scheinen alle durchwegs begeistert. Auch MVG-Chef Ingo Wortmann. In seiner beruflichen Laufbahn ist er selbst immer wieder Tram gefahren und erinnert sich gerne zurück. Nun hat die MVG das Pilotprojekt mit den Studenten weder erfunden noch in die Wege geleitet, weil Trambahnfahren alleine so viel Spaß macht. Die Gründe sind viel profaner. Wie in so vielen andere Branchen hat man auch bei der MVG mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Alleine für den Fahrdienst von U- und Trambahn fehlen akut zehn Fahrer. Perspektivisch sind es bald 50, wegen geplanter Angebotserweiterungen und Rentenaustritten.
Bei den Busfahrern fehlen momentan 50 Menschen hinterm Lenkrad. Noch schlimmer sieht es in der Werkstatt aus: 60 akut offene Stellen. Insgesamt fehlen der MVG derzeit rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Folge: Immer wieder kommt es zu Ausfällen im Angebot der MVG. Die Idee, Studenten im öffentlichen Nahverkehr arbeiten zu lassen, existiert bereits in mehreren Städten. Auch Wortmann erinnert sich an einen Kollegen aus einer anderen Stadt, der vor der Vorlesung häufig Tram gefahren sei, und "immer viel fitter und wacher war als der Rest".
Juristen und BWLer sollen Tram-Fahrer in München werden
Er glaubt an die "Erfrischung durch die Praxis" gegenüber der Theorie, mit der die Studenten sonst größtenteils konfrontiert sind. "Wir haben damit unsere Zielgruppe erweitert, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken", sagt Wortmann. Beim Termin vor Ort wirbt der MVG-Chef spaßeshalber gleich noch unter den Journalisten für den Job als Trambahnfahrer. "Wer gesundheitlich geeignet ist, kann mitmachen. Es gibt zum Beispiel auch Juristen, die einmal die Woche Tram fahren", sagt er.
Denn acht Trambahnfahrer alleine lösen das Problem der MVG nicht. Deshalb setzt man auf weitere Lösungsansätze, wie Daniel Brüggemann, Leiter im Recruiting, erklärt. In Spanien beispielsweise werden derzeit 20 Fahrer ausgebildet, um schließlich in München Bus zu fahren. Bald will die MVG beginnen, für den zweiten Studi-Tram-Kurs zu werben.
Die Studenten sind laut Ausbilder Stefan Erhard besonders motiviert
Aber kann wirklich jeder mitmachen? Anforderungen sind ein Führerschein der Klasse B, ein Mindestalter von 21 Jahren und die gesundheitliche Eignung, gute Deutschkenntnisse, Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft zu lernen. Daran scheitert es laut Ausbilder Stefan Erhard schon mal nicht. "Die Motivation ist sehr hoch und man merkt, das liegt nicht nur am Verdienst. Die Studenten haben wirklich Lust darauf", sagt der Ausbilder.

Die Ausbildung besteht aus insgesamt 14 Tagen Theorieteil mit einer Zwischen- und einer Abschlussprüfung. 21 Tage lang üben die Studenten praktisch – bestehend aus Fahrstunden und Störungsbehebung. Dazu kommen zwölf Probedienste. Also Fahrten gemeinsam mit einem Fahrlehrer, der im Notfall durch ein gesondertes Fahrerpult eingreifen kann.
Ausbildung für die Tram-fahrenden Studenten: 14 Tage Theorie und 21 Tage Praxis
Für Nicht-Studenten stehen sonst 34 Stunden Praxis an. Durch zusätzlichen Einsatz von Fahrzeugen und Personal konnte die Ausbildung verkürzt werden. Außerdem scheinen – zumindest die ersten acht – eine recht schnelle Auffassungsgabe zu haben. "Man merkt, die sind drin im Lernen und bereiten alles selbstständig vor", sagt Ausbilder Erhard zufrieden. Das sei nicht immer so einfach wie mit den Studenten.
Auch die Studenten selbst scheinen das Lernen und die Praxis bei der MVG zu genießen. "Einige Profs können sich von den Ausbildern eine Scheibe abschneiden", findet nicht nur Moritz Riehn (26). Er studiert Jura an der FH Erlangen, nächstes Jahr steht das Staatsexamen an. Er hat schon auf Messen und in Anwaltskanzleien gearbeitet. "Es ist sehr kollegial hier, nicht von oben nach unten. Das finde ich sehr angenehm." Super findet er auch, dass er sich die Arbeitszeiten gut einteilen kann. Mal Nachtschicht, mal Frühschicht, wie es ihm am besten in den Zeitplan passt. "Und man verdient gutes Geld", findet der 26-Jährige.

Bezahlt werden die Studenten nach Tarifvertrag. Arbeiten müssen sie 16 bis 20 Stunden pro Woche. Je nach Schicht und Zeit lassen sich so gut zwischen 1200 und 1800 Euro verdienen. Trotz des Verdienstes schwärmen die angehenden Tramfahrer hauptsächlich über das Fahren selbst, ihre persönlichen Lieblingsstrecken oder das angenehmste Fahrzeugmodell. Bevor sie aber alleine fahren dürfen, stehen noch ein paar begleitete Stunden und die Prüfung an. Bestehen wird sie wohl jeder von ihnen, so motiviert scheinen sie.
Und nach dem Studium? Ob da die Richterrobe nicht doch der MVG-Krawatte vorgezogen wird? "Uns ist klar, dass manche vielleicht nur zwei Jahre bleiben, bis das Studium beendet ist. Aber für uns hat es sich dann schon gelohnt", sagt MVG-Chef Wortmann.
Und vielleicht bleibt ja der ein oder andere der MVG nach dem Studium treu. Denn auch die Studenten haben schon von Ärzten und Anwälten gehört, die sich regelmäßig noch in die Fahrerkabine der Tram setzen, um einen Ausgleich zu haben. "Und das ist schon ziemlich cool", sind sie sich einig.