Pflegepersonal: Am Rand des Lebens
Die schmale Frau mit dem silberweißen Haar legt Zsanett Bernàth ihre Hand auf den Rücken, während die ihr eine neue Windel anlegt. Ganz sanft liegt die Hand dort, so dass gerade noch Kontakt besteht. „Gehen Sie nicht weg“, sagt die Seniorin leise, als sie fertig gewaschen ist.
„Ich komme doch immer wieder“, sagt Schwester Zsanett und streichelt ihre Hand.
Dann muss Zsanett Bernàth weiter in ihrer Morgenrunde, sechs Bewohner hat die 30-Jährige in ihrer Frühschicht zu versorgen, zuständig ist sie als Pflege-Fachkraft aber für alle 19 der Etage. Im Grunde für alle 41 auf der Station, der größten des Altenheimes im Westend.
Im nächsten Zimmer liegen zwei Bewohnerinnen, in deren Akte steht: Ganzkörperwaschung, Vollübernahme. Zsanett Bernàth geht zuerst zum Bett am Fenster zu Frau Blume (Name geändert), zieht sie mit geübten Bewegungen aus und wäscht sie mit einem fliederfarbenen Lappen.
Pflege: Zu arm für einen Heimplatz
Die Frau macht abwehrende Handbewegungen – die Waschprozedur mag sie nicht. „Och, doch, Frau Blume, ein bisschen müssen wir das schon machen“, sagt Zsanett Bernàth und verlangsamt ihre Arbeit kein bisschen. Sie lächelt aber die ganze Zeit. Nicht nachsichtig, sondern freundlich.
Seit November 2014 arbeitet Zsanett Bernàth im Leonhard-Henninger-Haus – in einem der sieben Alten- und Pflegeheime der Hilfe im Alter von der Inneren Mission. Vorher war sie angestellt in einem Heim in Wolfratshausen, bis das wegen finanzieller Probleme geschlossen wurde, und davor als 24-Stunden-Betreuerin in Frankfurt am Main.
Ob sie sich selbst vorstellen könnte, einmal in einer Einrichtung wie dieser zu leben? Immerhin gibt es hier große Gemeinschaftsräume, die Zimmer sind hell und luftig, selbst das pürierte Essen sieht appetitlich aus, und die bunten Figürchen auf den „Mensch ärgere dich nicht“-Brettern sind extragroß. „Das eigene Altern ist immer ein ganz schwieriges Thema“, sagt sie. „Man weiß ja nie, was man vielleicht einmal für Krankheiten hat. 20 oder 30 Jahre im Bett leben, das will ich für mich auf keinen Fall.“
Die Stimme der jungen Frau mit dem knallroten Lippenstift und den lilafarbenen Turnschuhen ist leise und sanft – außer wenn sie lacht, laut und aus dem Bauch heraus, zum Beispiel über den tiefen Graben zwischen Bürokratie und Realität, den man hier am Rand des Lebens besonders deutlich sehen kann.
„In der Theorie mag der Plan perfekt sein – die Praxis ist ganz anders“
Natürlich ist es wichtig, die Details zur Verpflegung der Bewohner in einem Computerprogramm zu sammeln und zu ordnen, das weiß sie. Natürlich ist es wichtig, dort die Medikation zu vermerken, die Besonder- und Eigenheiten, die Stärken und Schwächen, die Maßnahmen, mit denen man diesen begegnen möchte.
Aber die „Grundpflege, morgens“ beispielsweise umfasst bei manchen Bewohnern bis zu 19 Punkte. „Kämmen“, „Zahnpflege“, „Toilettengang mit Anleitung“ – jeder dieser Aspekte muss im System mit einem Klick als erledigt markiert werden. Für jeden Bewohner. „Es wird immer mehr“, sagt Schwester Zsanett. „Die Dokumentation ist wahnsinnig geworden.“
<strong>Pflege, Betreuung und Senioren in München - Die AZ-Serie</strong>
Bei den Punkten steht oft auch vermerkt, wie viel Zeit sie in Anspruch nehmen sollen. Getränk andicken: eine Minute. Flüssigkeitszufuhr: zwei Minuten. Ganzkörperwäsche: 25 Minuten. „Ich glaube manchmal, das legt eine Person fest, die noch nie im Leben mit Pflege zu tun hatte“, sagt Schwester Zsanett. „Diese Zeiten sind nicht realisierbar. Bei Frau Hase (Name geändert) mit ihren Schluckbeschwerden saß ich gestern eine halbe Stunde im Zimmer. In der Theorie mag der Plan perfekt sein, aber die Praxis ist eine andere Sache.“
Bald soll ein neues Computerprogramm kommen, angepasst an die neuen Pflegegrade – neue Bürokratie, die Zeit kostet, die die Pflegerin lieber mit den Menschen verbringen würde. „Am liebsten bin ich draußen bei den Bewohnern“, sagt sie. „Wenn das Telefon klingelt und ich bin gerade bei jemandem, dann bleibe ich dort. Die Bewohner gehen immer vor.“ So weit es eben möglich ist.
Schwester Zsanett ist für die Arbeit nach Deutschland gekommen, die Ausbildung zur Pflegerin machte sie in ihrer Heimat Ungarn. „Hier kann man einfach besser verdienen“, sagt sie. „Deshalb kommen viele Pfleger aus dem Ausland. Das wird noch mehr werden. Und viele von denen kommen ausschließlich wegen des Geldes.“ Trotzdem gibt es einen Mangel an Pflegekräften, das ist bekannt. Zsanett Bernàth hat in München etwa 20 Bewerbungsgespräche geführt – und genau so viele Zusagen bekommen. „Nach jedem Gespräch wurde ich gleich gefragt: ,Wann können Sie anfangen?’“
Auch im Leonhard-Henninger-Haus könnte man natürlich mehr Personal gebrauchen, sagt sie. „Auch hier sind wir mal überlastet. Aber es kommt immer darauf an, wie man damit umgeht. Wenn man gut organisiert, geht es schon.“
Was erwartet sie vom neuen Pflegestärkungsgesetz? Es sei zu früh, da etwas zu sagen, sagt Zsanett Bernàth: „Ich mache mir aber keine Sorgen. Wir schauen einfach mal, was kommt.“ Sie lächelt. Und verlangsamt ihre Arbeit kein bisschen.
- Themen: