Bessere Leistungen für Pflegebedürftige? "Schlicht gelogen"

Ein neues Gesetz verspricht ab sofort bessere Leistungen für Pflegebedürftige. „Schlicht gelogen“, sagt die Innere Mission.
A. Perkuhn |
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Ein Leben zwischen Bett und Rollstuhl: Wer im Altenheim ist, braucht eine besondere Betreuung – doch die Politik tut dafür nicht genug, kritisieren Sozialverbände.
Petra Schramek Ein Leben zwischen Bett und Rollstuhl: Wer im Altenheim ist, braucht eine besondere Betreuung – doch die Politik tut dafür nicht genug, kritisieren Sozialverbände.

Natürlich ist nicht alles schlecht, das ist auch wichtig zu betonen, sagt Gerhard Prölß, Geschäftsführer der „Hilfe im Alter“, eines Tochterunternehmens der Inneren Mission München (IMM). „Wir sehen sehr positiv, dass bei der Einstufung von Leuten in einen Pflegegrad nicht mehr geschaut wird, welche Defizite sie haben, sondern was sie noch können.“

Doch ansonsten hält er vom neuen Pflegestärkungsgesetz, das zum Jahresanfang in Kraft getreten ist: sehr wenig.

Eine „große Enttäuschung“ sagt er bei der IMM-Jahrespressekonferenz, sei vor allem der Umgang mit dem Thema Pflegeleistungen in stationären Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen: „Den Betroffenen und deren Angehörigen wird durch das neue Verfahren vermittelt, dass sie bessere Leistungen erhalten“, sagt er. „Das ist aber schlicht gelogen: Es ändert sich gar nichts. Die Pflegeleistung bleibt absolut gleich.“

"Wir erwarten echte Schwierigkeiten“, sagt ein Heimleiter

Altenheime betreuten nach wie vor dieselbe Anzahl von Bewohnern – die zehn Häuser der Inneren Mission im Großraum München etwa 1400 – mit derselben Personalausstattung. Die Bewohner hätten in der Regel nun einen höheren Pflegebedarf nach der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade (siehe unten) – „aber die schlechten Rahmenbedingungen bleiben, wie sie sind“, sagt Prölß.

Ein Grund dafür sei, dass die Umstellung budgetneutral gemacht wurde, sagt er: Im vergangenen Jahr gab es einen Stichtag, an dem der Pflegebedarf der Heimbewohner erfasst wurde. Daraus wurde das benötigte Personal abgeleitet. „Seitdem hat sich die Zusammensetzung der Bewohner geändert, es starben Menschen, es kamen Menschen mit niedrigerer Pflegestufe neu – und im Januar hatten wir in unserem Haus in Eching plötzlich drei Pflegestellen mehr, als wir laut Personalschlüssel haben dürften.“

Ähnlich geschehen im Leonhard-Henninger-Haus, erzählt Heimleiter Frank Chylek: Dort arbeiten nun zwei Pfleger, die im Budget nicht mehr vorgesehen sind. "Wir erwarten echte Schwierigkeiten mit dieser Entwicklung", sagt Chylek. "Es zeichnet sich ab, dass das Personal immer weniger wird."

Pflege: Zu arm für einen Heimplatz

Außerdem manifestiert sich bereits, was Experten schon 2016 anmahnten: "Wir hatten zwei Bewohner in der Kurzpflege, die gern ganz hergekommen wären, aber sich das nicht leisten können. Wer neu ins System reinkommt, für den wird es teuer."

Denn innerhalb derselben Einrichtung sind die Eigenanteile aller Bewohner für die Betreuung ab Pflegegrad zwei nun gleich hoch. Dadurch bleibt Menschen mit höheren Graden mehr Geld, „für die eigentliche Pflege bringt das aber keine Vorteile“, sagt Prölß.

Außerdem sind die Zuschüsse für das Leben im Heim gesunken: Für Menschen der Pflegestufe eins gibt es 294 Euro weniger im Monat, in der Pflegestufe zwei 68 Euro weniger. „Durch das solidarische Prinzip gibt es eine Kostensteigerung in den unteren Pflegegraden“, sagt IMM-Vorstand Günther Bauer.

<strong>Pflege, Betreuung und Senioren in München - Die AZ-Serie</strong>

Und das bedeutet: Mehr Menschen werden sich gegen das Altern im Heim entscheiden (müssen). „Das ist eine politische Meinungsmache, um die ambulante Variante gegenüber der stationären zu stärken“, schimpft Bauer. „Es gibt aber auch viele Menschen mit niedrigerem Pflegegrad, die allein Zuhause verwahrlosen und vereinsamen würden. Da braucht man sich nicht wundern, dass man immer wieder Verstorbene erst nach drei Wochen in ihrer Wohnung findet.“

Eine Umarbeitung des Gesetzes fordert die Innere Mission, mit mehr Mitteln für die einzelnen Pflegegrade, für mehr und gutes Personal. „Die letzten in der Risikokette, auf die alles abgewälzt wird, sind immer die Pfleger“, sagt Prölß. Das sei für das Image des Berufs sicher nicht förderlich. „Es wird nicht alles schlecht, man wird immer andere Wege finden. Man darf aber nicht die Qualität aus den Augen lassen.“ Schließlich gehe es um ein Thema, das fast alle Menschen betrifft.


Es soll nicht um Minuten gehen

Das zweite Pflegestärkungsgesetz, das seit 1. Januar gilt, soll das Leistungsangebot für Pflegebedürftige und Pflegende ausbauen. Kernpunkt ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, der auch Demenzkranken Anspruch auf die gleichen Leistungen einräumt wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.

Die bisherigen drei Pflegestufen wurden auf fünf sogenannte Pflegegrade ausgeweitet, um so dem Pflegebedarf jedes Einzelnen präziser Rechnung tragen zu können. Entsprechend haben sich auch die Begutachtungsverfahren grundlegend verändert: Der Hilfsbedarf wird nicht mehr in Minuten gemessen, sondern nach dem Grad der Selbstständigkeit bewertet.

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