Pfarrer Schießler sagt in München: "Von 'Süßer-die-Glocken-nie-klingen-Gesäusel' kann niemand leben"
München - Heiligabend, 18 Uhr. Spätestens jetzt muss alles perfekt sein in unseren deutschen Wohnzimmern: Eine liebevolle Atmosphäre, originelle Geschenke, gutes feines Essen, tolle Stimmung, Ruhe und Gelassenheit und vor allem: Frieden in der Familie!
Dann erst ist Weihnachten. Was da draußen in der schrecklichen Welt passiert, können wir für diesen Abend getrost ausblenden, und natürlich auch unsere internen Streitigkeiten. Die gehören heute hier gar nicht her. Jetzt heißt es: Harmonie bis zum Abwinken!
Pfarrer Rainer Maria Schießler: Muss am Heiligen Abend wirklich alles perfekt sein?
Wer aber hat das eigentlich so festgelegt, dass Weihnachten unbedingt still und beschaulich wie im Zeitlupentempo stattfinden soll? Und wenn dann am Heiligen Abend eben nicht alles perfekt ist, hat sich Weihnachten dann wirklich erledigt?
Ist denn unser Weihnachten nicht mehr als eine oberflächliche populistische Romantik, eine blauäugige Banalisierung der Welt um uns herum? Schauen wir doch mal hinaus in diese Welt:
Seit dem 7. Oktober 2023 ist Krieg in Israel, im Heiligen Land, wo Gott in diesem Jesuskind zu uns Menschen kam. Das bedeutet wieder einmal viele Tote auf allen Seiten, entsetzliche Verwundungen und Zerstörungen an Leib und Seele.
Weihnachten in München: "Angst und Kälte, Finsternis und Einsamkeit machen sich breit"
Menschen werden entwurzelt und heimatlos, sind auf der Flucht, rastlos unterwegs auf der Suche nach einem neuen und besseren Leben, ohne Sicherheit und Lebensunterhalt, eingepfercht zwischen Hass und Trauer. In den Gedanken und in den Herzen vieler Menschen machen sich Angst und Kälte, Finsternis und Einsamkeit breit.
Das alles ist doch nichts Neues! Schon das erste Weihnachten war turbulent: Römische Mili-tärkolonnen, eine Volkszählung zur Steuererfassung als reine Schikane der kleinen Leute, an jeder Ecke Partisanenkämpfe und terroristische Anschläge, überfüllte Hotels mit Wucherpreisen, absolut skrupellose Spekulanten und Ausbeuter.
Kein "Regiefehler Gottes"
In diese Welt wird ein Jesus von Nazareth hineingeboren, und sie ist kein Regiefehler Gottes. Sie ist so - bis heute.
Gott ist an Weihnachten eben nicht Mensch geworden, um sentimentale Stimmungen unter uns zu unterfüttern, sondern weil er uns in unserer unerträglichen Not begegnen will! Gott will hinein in unsere Probleme und nicht daran vorbei!
Er kommt, gerade weil Familien und ganze Völker vom Hass zerrissen werden. Da brauchen auch wir in unseren Wohnzimmern nicht plötzlich auf heile Welt machen, sollen aber auch nicht auf Weihnachten verzichten.
"Nichts ist in Wahrheit in Ordnung, damals wie heute"
Gott kommt gerade deswegen zu uns, um gegen diesen Hass und diese Schuld anzusterben. Ausgerechnet da, wo uns in unseren zahlreichen Zerrüttungen seine Heilung angeboten wird, wäre es daher grundfalsch, dies abzulehnen und so zu tun, als sei alles in Ordnung.
Nichts ist in Wahrheit in Ordnung, damals wie heute. Wer hat denn nachts die Sensationsmeldung von der Geburt des Erlösers als erstes bekommen? Nicht die feine, perfekte Gesellschaft in den Palästen und Nobelherbergen, sondern ein paar vor der Stadt gestrandete illegale Hirten.
"Von 'Süßer-die-Glocken-nie-klingen-Gesäusel' kann niemand leben"
Das Problem der Weihnacht heute sind nicht Hektik, Stress oder die fehlende Perfektion in dieser Welt, sondern doch eher, dass wir diesen Herrgott zu wenig an unsere eigentlichen Probleme heranlassen.
Schuld und Streit - auch unter uns an Weihnachten - sollen und müssen eben nicht ausgeklammert werden. Von einem oberflächlichen heiligen "Heitschibumbeitschi" und "Süßer-die-Glocken-nie-klingen-Gesäusel" kann niemand leben.
Vergebung soll eine Chance bekommen
Weihnachten passiert, weil Gott diesen Teufelskreis von Hass und Vergeltung, Lüge und Verniedlichung, Gewalt, Schuld und Resignation aufsprengen will.
Die gegenseitige Vergebung soll eine neue Chance bekommen, auch bei uns zu Hause. Darum muss heute Abend überhaupt gar nichts perfekt sein in unseren Häusern! Gott findet trotzdem seinen Platz, wenn wir es nur zulassen.
"Er kommt, um uns zu heilen"
Mittendrin will er sein in dem ganzen Schlamassel von verlorenen Träumen und vergifteten Stimmungen, Hoffnungslosigkeiten und Niedertracht.
Er kommt, um uns zu heilen und zu verwandeln, so wie es niemand von uns erwartet hätte: als das zerbrechlichste, liebenswerteste, schützenswerteste und überzeugendste Argument, das es auf dieser Welt gibt: als ein kleines Kind, als ein jüdisches Baby zwischen palästinischen Hirten und Schafen. Das ist eine klare Ansage an uns alle. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 2023!
Das Wort ist für alle bestimmt
Dieses schutzlose Kind ist Gott. Sein Wort der Ewigkeit und Wahrheit kommt mitten unter den Menschen bei uns an: bei Hirten und Weisen, Sünderinnen und Zöllnern, Schriftgelehrten und Legionären, Aussätzigen und Hungrigen, Kindern, Frauen und Männern.
Und wir? Wir bekommen die einzigartige Chance, Menschen guten Willens zu werden und sein Liebesangebot anzunehmen, indem wir unermüdlich den Frieden suchen und regelrecht "nachjagen" (Ps 34,15).
Seit dieser Weihnacht gibt es endlich einen Weg, dass wir alle miteinander auskommen!
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