Wiggerl Hagn im Interview: "Manche brachten ihre Hendl selbst mit"
München - Er ist ein Münchner Original und Oktoberfest-Urgestein: Ludwig "Wiggerl" Hagn (82), der berühmte Wirt mit dem nicht minder berühmten "aufdrahten" Bart. 62 Jahre war er Wirt auf der Wiesn. Klar, dass sich dort kaum jemand besser auskennt als Wiggerl Hagn. Die AZ sprach mit ihm bei einem Wiesn-Bummel.
AZ: Herr Hagn, wie fühlt sich die Wiesn 2022 für Sie an? Abgesehen davon, dass es kalt ist.
WIGGERL HAGN: Das stimmt leider. Es ist sakrisch kalt und nass, was besonders für die Schausteller und Marktkaufleute schlimm ist. An so ein Wetter kann ich mich eigentlich nur bei der Wiesn 1964 erinnern. Auch die Angst vor Corona hat für weniger Besucher gesorgt. Doch das Geschäft ist das eine: Dass es wieder eine Wiesn geben kann, fühlt sich wunderbar an.
Also doch eine gute Wiesn?
(lacht) Man könnte sie heuer als steigerungsfähig einstufen! Doch Gott sei Dank ist überhaupt wieder Wiesn und die Menschen können wieder raus und fröhlich zusammen feiern. Unser weltweit so beliebtes Volksfest ist einfach etwas ganz Besonderes, Einzigartiges.
"Damals wurden die Würste noch in der Pfanne gebraten"
Das sind fraglos auch Sie – als der nach wie vor dienstälteste Wiesn-Wirt!
Ich komm auf insgesamt 62 Jahre. Bis 2018 war ich Wirt im Löwenbräuzelt, das meine Tochter Steffi jetzt alleine führt. Wiesn-Premiere hatte ich 1956 als erst 16-Jähriger, als mein Papa so schwer krank wurde.
Mit welchen Aufgaben ging's für Sie auf der Wiesn los?
Ich habe fast überall mitgeholfen: in unserer Metzgerei, im Büro, beim Besteck-Putzen oder Bierzeichen-Zählen.
Das waren sicher ganz andere Dimensionen als heute.
Komplett. Damals wurden die Würste noch in der Pfanne gebraten, die Hendl im Backrohr eines Kohleofens. Einige Gäste, meist Bauern aus dem Umland, brachten ihre Hendl sogar selbst mit.
In welcher Form?
Roh! Die Hendl wurden dann von uns gebraten, wofür wir damals 50 Pfennig bekamen.
Was sich finanziell nicht sonderlich gelohnt hat, nehme ich an.
Kann man sagen. Einmal hatten wir 35 Leute, die in einem Wäschekorb alles mit dabei hatten, sogar 20 fertig gebratene Hendl. Von uns wollten die nur die Tische. Dann ging man schließlich zu Reservierungen über: mit der Abnahme von einem halben Hendl und zwei Maß pro Person.
Wie hat sich das Trinkverhalten im Laufe der Zeit entwickelt?
Früher wurde in den Zelten kaum gegessen, nur getrunken. Außerdem gab's nur Bier, nicht mal Radler. Zwölf Maß pro Person waren keine Seltenheit und Raufereien auch nicht. Heute ist das alles unvorstellbar.
"Ein verregneter Montag mit 40 Gästen, 30 Bedienungen und 20 Musikern im Zelt"
Wie groß war damals Ihr Festzelt?
Meine Eltern waren die Wirte des Schützenzelts mit anfangs 800 Plätzen. Unvergessen ist ein verregneter Montag, an dem wir 40 Gäste, 30 Bedienungen und 20 Musiker im Zelt hatten.
Die Frage nach Reservierungen dürfte sich demnach erübrigen.
Richtig, die gab es nicht. Jeder bekam einen Platz im Zelt seiner Wahl.
Inzwischen bewerben sich viele Gastronomen - meist vergeblich und Jahr für Jahr erneut - um ein Wiesn-Zelt. Wie sah das früher aus?
Es gab Bewerbungen, doch weit weniger. Einige Wirte verließen die Wiesn auch wieder, weil dort einfach nicht so viel los war und sie weniger als gedacht verdienten. Wegen der hohen Investitionskosten haben meine Mutter und ich die Ausgaben an zwei Wiesn auch nicht erwirtschaftet.
Wie wurde das besser?
Ein Faktor war, dass in den Zelten mit der Zeit für mehr Stimmung gesorgt wurde.
Wodurch?
Durch schwungvollere Musik. Früher spielten die Kapellen nur Blasmusik. Die ist schön, aber kein Stimmungsmacher. Es wurde höchstens geschunkelt, und heute wird gefeiert.
Wiggerl Hagn: "Die Wiesn steuert sich selbst"
Ist es nicht schade um das Traditionelle? Der neue Bräurosl-Wirt hat heuer ja versucht, wieder auf Blasmusik zu setzen, und das Publikum hat protestiert.
Die Wiesn steuert sich selbst, und die Gäste sollen doch bekommen, was sie wollen. Ich kann ja auch nicht sagen, dass alle Schweinsbraten essen sollen.
Was halten Sie von Liedern wie dem vieldiskutierten "Layla"?
Das hätte keinen Menschen interessiert, wenn's vorher nicht all die Diskussionen gegeben hätte. Im Übrigen versteht man im Zelt-Gegröle eh nichts vom Text.
Was war denn für Sie der erste Wiesn-Hit?
So richtig ging es mit dem Ententanz los. Der hat die Besucher mit seiner Aufforderung zum Mitmachen in Bewegung gebracht und auch dafür gesorgt, dass die Aggressionen abgebaut werden.
Dann gab's beim legendären "Maurer-Montag" also noch keine Wiesn-Hits - als einst am zweiten Wiesn-Montag immer trinkfreudige Arbeiter aus dem Baugewerbe auf der Wiesn einfielen.
(lacht) Da haben Sie Recht! Das war wirklich ein gefürchteter Tag. 1978 sind bei uns zwei ganze Blöcke von Maurern aufeinander losgegangen. Bis die Polizei kam, saßen sie aber wieder beisammen, als wenn nichts gewesen wäre.
Hagn: "Ich find's gut, dass es auch vegane Weißwürscht gibt"
Wie haben sich die Zelte mit der Zeit verändert?
Heute sind das mehr Prachtbauten als Bierzelte. Unser damaliges Schützenzelt kostete 1953 noch 11.300 Mark. Das heutige Löwenbräuzelt kommt auf 2,4 Millionen Euro. Das ist nur zu schaffen, weil viel mehr Gäste auf die Wiesn kommen und der Umsatz stark gestiegen ist.
Dafür sorgt neben dem stetig kletternden Bierpreis auch das erweiterte Speisenangebot.
Dieses entspricht in Qualität und Vielfalt mittlerweile dem eines sehr guten Restaurants. Der Bierpreis steigt, weil alles teurer wird. Sei's Einkaufspreis, Zeltaufbau, Personalkosten oder Sicherheitskräfte.
Was ist Ihr liebstes Wiesn-Schmankerl?
Immer noch das am Spieß gebratene Hendl! Doch ich find's gut, dass es auch Bratlinge oder vegane Weißwürscht gibt. Wer's mag! Die Wiesn soll ja allen Spaß machen. Sie verändert sich immer, bleibt für mich aber das Schönste.
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