Nach dem Riesen-Krach im Sommer: So steht es um den Verkehrsversuch an der Kolumbusstraße
München - Wenn man im Sommer die Medienberichte verfolgt hat, dann konnte man leicht den Eindruck bekommen, die Münchner Kolumbusstraße sei ein Beispiel für die viel beschworene "polarisierte Gesellschaft" geworden, in der sich die Menschen unversöhnlich gegenüberstehen. "Es herrscht Krieg", hat damals eine Frau dem ZDF gesagt.
Das hat dann noch mehr Medien angelockt, sogar die Tagesschau hat vorbeigeschaut. Zeitweise, das kann man wohl so sagen, war die Münchner Kolumbusstraße quasi ein Symbol für die Verkehrswende, für die politische Spaltung und für den Zeitgeist.

Nicht die ganze Kolumbusstraße ist Teil des Projekts
In der Kolumbusstraße hat nämlich die TU München ein Projekt durchgeführt, autoreduzierte Quartiere heißt es, und im Rahmen dieses Projektes haben die Forscher ein kleines Stück der Kolumbusstraße mit Sandkästen, Hochbeeten und Sitzgelegenheiten bestückt und für den Autoverkehr gesperrt.
Ein sehr kleines Stück Straße übrigens, 300 Meter, ein paar Meter entfernt von der U-Bahn-Station Kolumbusplatz. Dafür sind 40 Parkplätze weggefallen, manche bezeichneten das als "Kahlschlag". Das setzte den Ton in der Debatte.
Nun geht das Projekt seinem Ende zu, es war nur ein Modellversuch. Es wird also Zeit zu fragen, wie es gelaufen ist. War es ein Erfolg oder ein Misserfolg? Wo steht die Front in diesem viel beschworenen Krieg?
Kolumbusstraße: Stühle und Sitzkästen sind leer, es ist zu kalt
"Also, ich fand's supercool!", sagt Lena Fischer, die in einer Seitenstraße wohnt. Nach der Arbeit ist die 36-Jährige in den letzten Wochen oft in einem der Stühle auf dem Rollrasen gesessen und hat die Sonne genossen. Heute ist sie nur zufällig vorbeigekommen, den Sandkasten nutzt aktuell niemand, die Stühle sind leer, die Sitzkästen auch, es ist zu kalt zum draußen sitzen.
Vielleicht liegt es daran, dass auch nach mehreren Stunden Reporter-Herumlungerei an der Kolumbusstraße einfach keine Kriegsszenen zu beobachten sind, alles friedlich hier. Ein Mann Mitte 30 setzt gerade seine Tochter auf den Fahrrad-Rücksitz, "sehr schön grün" fände er das alles hier, sagt er.
Kolumbusstraße: Anwohner traurig, dass der Verkehr zurückkommt
Der Mann heißt Julian und möchte lieber nicht mit ganzem Namen in der Zeitung auftauchen, ebenso wie Christian, der sich kurz auf einer Sitzbank niedergelassen hat, um zu telefonieren, und der in den letzten Wochen oft mit seinen Kindern hier war. Von den Streitigkeiten, sagt Christian, habe er nur aus der Zeitung mitbekommen. Aber mitbekommen hat er sie, natürlich.
Ingeborn Ecker (92) wartet vor ihrem Haus auf ihren Sohn, sie ist traurig, dass sich das Projekt dem Ende zuneigt. Seit 64 Jahren wohnt sie hier und "für mich war das toll mit dem Rasen, jetzt kommen die ganzen Abgase wieder."
Katharina (41) hat es äußerst eilig, aber gefragt nach dem Projekt, hat sie trotzdem viel zu sagen. "Also zum einen ist da die Vernetzung unter den Eltern. Mehrere Eltern kannte ich aus dem Kindergarten und wusste aber nicht, dass wir Nachbarn sind, die habe ich jetzt kennengelernt, das war toll", sagt sie. Es klingt wie aus der Pistole geschossen, offenbar hat sie schon länger darüber nachgedacht. "Und da bekommt die Parkplatzsuche einen Sinn für mich, ich suche jetzt zehn Minuten länger, aber ich weiß, wofür - und damit mache ich das gern."
Anwohner hat gegen das Verkehrsprojekt geklagt
Kürzlich habe sie wieder "diesen Typen" gesehen, der inzwischen in der ganzen Straße bekannt ist, weil er geklagt hat gegen das Projekt und seither mindestens einem Dutzend Zeitungen erzählt hat, warum er sich als Bürger in seinem Recht beschränkt fühlt durch die Sommerstraße. "Der hat da gerade dem Fernsehen ein Interview gegeben und herumgewettert", unangenehm sei das, sagt sie und läuft dann schnell weiter, sie ist eigentlich schon zu spät dran.
Unterschwellig ist er also doch zu spüren, der Konflikt, und sei es nur daran, dass fast jeder hier schon so genau weiß, was er der Zeitung sagen will - und fast alle es lieber nicht mit ihrem ganzen Namen tun.
Auch der 51-jährige Kai, der gerade mit seinem Auto am Rand der Spielstraße geparkt hat, möchte seinen Nachnamen nicht nennen. Er ist gegen das Projekt und hat Sorge, dass er mit dieser Ansicht gleich in die rechte Ecke gestellt wird, in die er überhaupt nicht hineingehöre.
Viele Jahre hat Kai in der Kolumbusstraße gewohnt, inzwischen ist er umgezogen, aber seine Tochter wohnt noch hier. Er ist gekommen, um ihr ein Fahrrad vorbeizubringen. Die Tochter hat nämlich einen neuen Job, bis vor Kurzem hat sie weit draußen gearbeitet, in Geretsried, da ist sie immer mit dem Auto hingefahren. Aber ihre neue Stelle ist in München, da fährt sie jetzt mit dem Fahrrad hin und dieses Fahrrad bringt der Vater ihr nun vorbei.
Anwohner wütend: In der Kolumbusstraße habe es noch nie viel Verkehr gegeben
Kai sagt, wütend sei er vor allem über die Kommunikation, die es nicht gegeben habe mit den Anwohnern. Niemand, den er kenne aus der Kolumbusstraße, sei vorher informiert worden. "Und dann reden immer alle von der Verkehrswende. Was für ein Unsinn, hier war vorher eine 30er-Zone. Es gab nie viel Verkehr in der Straße."

Er ist nicht prinzipiell gegen solche Projekte, aber der Ort sei einfach nicht ideal, Handwerker müssten nun einen ewigen Umweg fahren, Kai ist selber Handwerker und kann den Ärger der Kollegen gut nachempfinden.
Eine Autofahrerin, die das Projekt toll findet; ein Vater, der zum Fahrrad-Anliefern vorbeigekommen ist und sich darüber ärgert: So richtig einfügen lassen wollen sich die Leute hier nicht in ein Klischee.
Kolumbusstraße: Ein Gesamtkonzept fehlt
Auch Dominik Lommer (57), nicht. Er ist ebenfalls ein Gegner des Projekts, aber nicht prinzipiell, das ist ihm wichtig. "Eigentlich finde ich es toll, die Versiegelung aufzubrechen", sagt er. "Aber hier sind doch 400 Meter weiter zwei Spielplätze! Und statt die zu nutzen, schicken die Leute aus der Nachbarschaft jetzt ihre Kinder alle hierher."

Es fehle einfach das Gesamtkonzept, das sei das Problem, meint Dominik Lommer. Das mit dem Lärm sei allerdings besser geworden, schränkt er ein, und prinzipiell sei die Idee auch ganz gut, nur an der Umsetzung, daran hapere es.
Nach drei Stunden Gesprächen mit Anwohnern und Passanten lautet die Bilanz: Elf von ihnen sind für das Projekt, drei dagegen. Niemand leugnet den Klimawandel, niemand will Autos verbieten und Kriegsszenen waren auch keine zu beobachten.
Vielleicht ist die Kolumbusstraße gar kein gutes Symbol für die Konflikte unserer Zeit. Oder vielleicht auch doch: Für einen Diskurs, der mit der Wirklichkeit schon lange nichts mehr zu tun hat.