MVG: Warum Arbeitnehmer am Streik teilnehmen
München - Unabhängig von der Einigung beim Tarifstreik im Öffentlichen Dienst (siehe Seite 10), streiken Mitarbeiter der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) am Montag. Den Grund für den Streik erklärt Franz Schütz von der Gewerkschaft Verdi: Für U-Bahn, Bus und Tram-Fahrer gibt es aktuell zwei verschiedene Verträge. Den TV-N (Tarifvertrag Nahverkehr) und den MVG-Haustarif.
Die Verträge unterscheiden sich nicht nur in der Bezahlung, sondern auch in anderen Konditionen, etwa in der betrieblichen Altersvorsorge. „Für viele Mitarbeiter fühlt es sich einfach so an, als würde eine Zweiklassen-Gesellschaft herrschen“, erklärt Schütz. Ziel des Tarifstreiks sei es, einheitliche Bedingungen für alle Fahrer zu schaffen. Also, dass alle Mitarbeiter, die jetzt noch im MVG-Haustarif sind, in den TV-N kommen.
Stadtwerke und MVG werben derweil dafür, den Potsdamer Abschluss als Grundlage für eine Tarifeinigung im Münchner Nahverkehr heranzuziehen. „Wir begrüßen das Potsdamer Ergebnis“, sagt Werner Albrecht, Personalchef bei SWM und MVG. „Es sollte Vorbild für München sein und eine Lösung beschleunigen. Das Potsdamer Ergebnis sieht etwa eine Corona-Prämie in Höhe von bis zu 600 Euro sowie eine Entgelterhöhung für die Mitarbeiter um insgesamt 3,2 Prozent in zwei Stufen ab dem 1. April 2021 vor.
"Wir fahren seit Jahren am Limit"
René Herda (36) arbeitet seit 2015 als U-Bahnfahrer: „Wir U-Bahnfahrer fahren seit Jahren am Limit. Längere Schichten von bis zu neun Stunden und immer mehr Fahrgäste – so langsam ist das Ende der Fahnenstange für uns erreicht. Deshalb streike ich auch. Es geht mir dabei noch nicht einmal primär ums Geld, sondern darum, dass sich die Arbeitsbedingungen für uns verbessern müssen.
In meinem Job muss ich immer zu 100 Prozent voll konzentriert sein. Als U-Bahn-Fahrer fährt man die ganze Schicht über durch den dunklen Tunnel – und weiß nie, was am nächsten Bahnhof kommt. Ob Menschen vielleicht zu nah am Gleis stehen oder eine Station sehr überfüllt ist. Durch diese Verantwortung steht man natürlich ständig unter Strom, ist körperlich angespannt. Sobald Verspätungen aufgebaut werden, nimmt der Druck zu. Und zwar auch von außen, von den Fahrgästen. Besonders in Corona-Zeiten.

Vor ein paar Monaten wurden wir noch als Helden beklatscht. Jetzt beschweren sich viele Fahrgäste, dass sie sich in volle U-Bahnen quetschen müssen. Wenn ich diese Beschwerden etwa in den sozialen Netzwerken lese, probiere ich, abzuschalten, sie nicht persönlich zu nehmen.
Und unser Arbeitgeber? Der hat wieder Sparmaßnahmen eingeleitet. Statt einer Entlastung kommt also noch mehr Belastung – etwa durch längere Schichten. Das tut natürlich weh, wenn die Wertschätzung ausbleibt. Dabei könnte alles viel besser laufen. Wenn wir mehr neue, vor allem auch junge Kollegen bekommen würden, die Lust auf den Job haben. Doch dafür müsste man diesen auch attraktiver machen, mehr Anreize schaffen. Durch eine bessere Bezahlung und eben durch bessere Arbeitsbedingungen. Dann würde auch die Grundstimmung steigen – das wäre ein Gewinn für alle.
Aber auch mehr Verständnis in der Bevölkerung würde helfen. Wir werden – genauso wie viele andere Menschen im Schichtdienst – als selbstverständlich angesehen. Wir sind immer da, arbeiten 365 Tage im Jahr rund um die Uhr. Eine gewisse Anerkennung dafür würde ich mir sehr wünschen.“
"Wir brauchen endlich wieder mehr Fahrer"
Reiner Baumgartner (33) ist seit Januar 2019 Trambahnfahrer: „Vor sechs Monaten waren wir noch Corona-Helden, sobald wir streiken, werden wir von vielen beschimpft. Dabei geht es uns einfach um eine recht simple Grundforderung: Wir wollen endlich einen gemeinsamen Tarifvertrag. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Damit die Ungerechtigkeit, die von zwei Tarifverträgen ausgeht, endlich aufhört.
Doch es geht auch um die Entlastung von Kollegen. Ich persönlich wünsche mir Schichten, die nur noch sieben Stunden lang sind. Einfach, damit mehr Freizeit übrigbleibt. Aktuell fahre ich viele Frühschichten. Dafür stehe ich um 2.30 Uhr auf, bin um 3.30 Uhr auf der Arbeit. Bis ich wieder daheim bin, ist es 13.30 Uhr. Dann hole ich die Kinder von der Kita ab, gehe einkaufen, koche etwas, bade die Kinder und bringe sie ins Bett. Meine Frau ist dann schon auf dem Weg in die Spätschicht. Wir sehen uns kaum. Schwierig wird es bei solch einem durchgetakteten Tag, wenn Dienste spontan geändert werden.

Oder, wenn man eine belastende Situation erlebt. Vergangene Woche ist plötzlich ein Kind in die Gleise gefallen, als ich in eine Station gefahren bin. Zum Glück konnte der Vater es noch rechtzeitig packen. Nach einer solchen Situation hat man Bilder im Kopf, die man so schnell nicht mehr loswird.
Trotz all dem ist es ein schöner Beruf, der auch sehr viele tolle Momente mit sich bringt. Umso wichtiger wäre es, dass sich endlich die Arbeitsbedingungen verbessern. Viele Kollegen machen die Ausbildung – und kündigen wenig später. Und es gibt Kollegen, die mit dem Gehalt in München nicht über die Runden kommen und einen Zweitjob haben. Was ich nicht verstehe, ist, dass Grün-Rot immer von der Verkehrswende redet, aber zu wenig für den ÖPNV tut.
Eine autofreie Innenstadt wird nur mit einem gut ausgebauten ÖPNV funktionieren. Und dazu braucht es Fahrer. In den vergangenen Jahren sind die Fahrgastzahlen um 40 Prozent gestiegen, die Anzahl der Fahrer aber um 20 Prozent zurückgegangen. Die Infrastruktur, die geschaffen werden soll, muss auch von jemandem bedient werden!“
"Wir bekommen den ganzen Frust ab"
Ivana Kovacic (27) ist seit drei Jahren Busfahrerin bei der MVG: „Ich würde viel lieber sechs bis sieben, statt acht bis neun Stunden arbeiten. Mein Job ist an sich wunderschön. Ich fahre den ganzen Tag durch die Stadt, das ist für mich ein Gefühl von Freiheit.

Doch wenn man den ganzen Tag im Bus sitzt, muss man sich nicht nur wahnsinnig konzentrieren – man bekommt auch viel Frust von Fahrgästen mit. Wir bekommen den ganzen Ärger ab. Nach sechs Stunden ist für mich einfach ein Limit erreicht, deshalb wäre ich für kürzere Schichten. Ich persönlich bin deshalb schon in Teilzeit gegangen. Jetzt arbeite ich zumindest nur noch vier Tage pro Woche – und habe drei Tage am Stück frei.
Trotzdem streike ich, weil ich mir auch eine fairere Behandlung wünsche. Es muss einfach ein bisschen gerechter bei uns zugehen. Wir machen alle den gleichen Job. Trotzdem variieren unser Gehalt und unsere Anzahl an Urlaubstagen teilweise stark.
Auch wünsche ich mir Weiterbildungen für uns Busfahrer. Schön wäre es zum Beispiel, wenn man einmal im Monat etwas in der Werkstatt gezeigt bekommen würde. Dann würde man etwas dazulernen – und könnte sich bei Fahrten technisch auch besser selbst helfen. Die MVG stattet sich doch an vielen Ecken und Enden neu aus, überall wird renoviert – nur am Personal wird nach wie vor oft gespart. Dabei sind wir doch eigentlich das wichtigste Gut.“