U-Bahn, Tram und Bus: So lief der Streiktag in München
München - Verstörender noch als die Leere unterm Marienplatz, wo nur spärlich Menschen aus eigentlich rappelvoll erwarteten S-Bahnen tröpfeln, ist die Leere oben auf dem Platz. Dort hat sich an diesem Montagmittag der Akkordeon-Virtuose Ivan Hajek einen überdachten Platz gleich neben den U-Bahnaufgang beim Kaufhof gesucht und spielt gegen den Regen an.
Eine einzige Passantin wirft ihm ein paar Münzen in den offenen Koffer. "Und wenn die Welt untergeht, Ivan spielt weiter", ruft er ihr nach – einen Satz, den vor Jahren ein Journalist mal über ihn geschrieben hat. Dann setzt er das Akkordeon ab und sagt: "Verstehen die U-Bahn- und Busfahrer, die jetzt streiken, das eigentlich nicht? Weil sie mehr Geld wollen, verdienen andere überhaupt nichts mehr. Sowas geht doch auch nicht."

Korte: "Der größte Teil der Fahrgäste hat umgeplant"
Er meint das Maronistandl gegenüber, die Läden und Gastrobetriebe in der Fußgängerzone, die Straßenmusiker, die Aushilfsverkäufer und -kellnerinnen, die keiner mehr braucht, weil coronabedingt immer weniger Passanten in die Altstadt kommen.
Die Krise, die steigenden Fallzahlen, jetzt auch noch dieser gewollte Stillstand bei Bus, Tram und U-Bahn. Nein, sagt er, er finde diesen Streik nicht gut. Tatsächlich haben viele Münchner wohl beschlossen, den Stress eines MVG-Streiktags gar nicht erst auf sich zu nehmen, lieber im Homeoffice zu arbeiten oder mit dem Rad zu fahren – und schon gar nicht zum Einkaufen in die Innenstadt.

"Der größte Teil der täglich 1,5 Millionen Fahrgäste hat umgeplant", sagt MVG-Sprecher Michael Korte. Nur morgens im Berufsverkehr und am Abend seien die einzelnen Busse und Trambahnen, die fuhren, "zeitweise gut gefüllt" gewesen. "Ansonsten war es sehr ruhig."
Wichtige U-Bahnlinie U6 fährt alle zehn Minuten
Die S-Bahn war ohnehin nicht bestreikt. Schon früh am Morgen war zudem klar, dass an die 30 U-Bahnfahrer sich trotz des Verdi-Warnstreikaufrufs zum Dienst gemeldet hatten. Immerhin die wichtige U-Bahnlinie U6 zwischen Großhadern und Garching kann alle zehn Minuten fahren. Genau wie die 19er Tram von Pasing im Westen nach Berg am Laim im Osten und die 25er vom Max-Weber-Platz nach Grünwald.
Am Stachus gegen Mittag rollen immer wieder vereinzelt verwirrt aussehende Menschen die Rolltreppe von der U4/5 nach oben. Der Krankenpfleger Avram Triandafyllidis (30) muss zum Dienst ins Klinikum rechts der Isar. "Ich habe den Streiktag verwechselt", sagt er. "Ich verstehe, dass man für eine anständige Bezahlung auch mal streiken muss, aber ich werde zu spät kommen, ach...", keucht er und sprintet hoch Richtung Tramhaltestelle.

Viel Unterstützung für den Arbeitskampf der Fahrer
Auch die Rentnerin Monika Standl (57) muss ins Klinikum, zu einer Nachuntersuchung. Sie komme aus Deggendorf und wisse jetzt überhaupt nicht, wie sie jetzt weiterkomme. Genervt? "Nein", sagt sie, "das nicht. Die Fahrer haben ja recht, dass sie kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen."
Überhaupt ist viel Unterstützung zu hören für den Arbeitskampf der Fahrer. "Ich hab volles Verständnis", sagt Rentnerin Marlies Galle (71), "Ich finde, die hätten eine Erhöhung um 50 Prozent verdient." Anstatt zu schimpfen suchen Menschen eben in ihrem Handy nach Ausweichmöglichkeiten, fragen Passanten um Rat. Oder am Standl vom Bäcker Rischart neben der Rolltreppe am Stachus.
"Wir sind heut die reinste Auskunftei", sagt Verkäuferin Christa W. (60), "des sind mir schon gewohnt." Man helfe gern weiter. Während die MVV-App die U-Bahn empfiehlt (die freilich nicht fährt), schickt die Verkäuferin die Fragenden rauf zur Trambahn. Oder zu den Taxlern.
16 Taxis stehen an der Sonnenstraße in einer langen Schlange. Ob die nun heute Traumgeschäfte machen? "Nicht wirklich", sagt Taxler Farchad Mehr. Eine gute halbe Stunde sei er eben in der Schlange gestanden, bis er von ganz hinten auf Platz eins hat vorrücken können. Normal dauere das 45 Minuten.
"Ein bisschen schneller geht es. Aber man kann sagen, dass die Münchner seit Corona sowieso mehr Taxi fahren, weil sie den Untergrund meiden." Es gehe dem Taxigewerbe nicht so schlecht. Für Ivan Hajek und seine Straßenmusikerkollegen gilt das nicht, ihm hat noch lange an diesem Tag die Kundschaft gefehlt. Aber das ist eine andere Geschichte.