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U-Bahn, Tram und Bus: So lief der Streiktag in München

Die große Mehrheit der Münchner hat am Streiktag auf öffentliche Fahrten verzichtet, ist daheim geblieben oder hat das Radl genommen. Um 20 Uhr war der Streik im öffentlichen Nahverkehr beendet. Ein AZ-Blick in die Stadt.
Irene Kleber |
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Die Züge stehen still am frühen Montagmorgen im U-Bahn-Depot in Fröttmaning. Die meisten Fahrer folgen dem Streikaufruf der Gewerkschaft.
Die Züge stehen still am frühen Montagmorgen im U-Bahn-Depot in Fröttmaning. Die meisten Fahrer folgen dem Streikaufruf der Gewerkschaft. © Lino Mirgeler/dpa

München - Verstörender noch als die Leere unterm Marienplatz, wo nur spärlich Menschen aus eigentlich rappelvoll erwarteten S-Bahnen tröpfeln, ist die Leere oben auf dem Platz. Dort hat sich an diesem Montagmittag der Akkordeon-Virtuose Ivan Hajek einen überdachten Platz gleich neben den U-Bahnaufgang beim Kaufhof gesucht und spielt gegen den Regen an.

Eine einzige Passantin wirft ihm ein paar Münzen in den offenen Koffer. "Und wenn die Welt untergeht, Ivan spielt weiter", ruft er ihr nach – einen Satz, den vor Jahren ein Journalist mal über ihn geschrieben hat. Dann setzt er das Akkordeon ab und sagt: "Verstehen die U-Bahn- und Busfahrer, die jetzt streiken, das eigentlich nicht? Weil sie mehr Geld wollen, verdienen andere überhaupt nichts mehr. Sowas geht doch auch nicht."

Vor der Einfahrt sammeln sich Streikende. Allerdings melden sich so viele Fahrer zum Dienst, dass die U-Bahnlinie U6 trotzdem fahren kann.
Vor der Einfahrt sammeln sich Streikende. Allerdings melden sich so viele Fahrer zum Dienst, dass die U-Bahnlinie U6 trotzdem fahren kann. © Lino Mirgeler/dpa

Korte: "Der größte Teil der Fahrgäste hat umgeplant"

Er meint das Maronistandl gegenüber, die Läden und Gastrobetriebe in der Fußgängerzone, die Straßenmusiker, die Aushilfsverkäufer und -kellnerinnen, die keiner mehr braucht, weil coronabedingt immer weniger Passanten in die Altstadt kommen.

Die Krise, die steigenden Fallzahlen, jetzt auch noch dieser gewollte Stillstand bei Bus, Tram und U-Bahn. Nein, sagt er, er finde diesen Streik nicht gut. Tatsächlich haben viele Münchner wohl beschlossen, den Stress eines MVG-Streiktags gar nicht erst auf sich zu nehmen, lieber im Homeoffice zu arbeiten oder mit dem Rad zu fahren – und schon gar nicht zum Einkaufen in die Innenstadt.

Leuchtanzeigen wie diese erklären den Fahrgästen, warum nichts geht an diesem Morgen.
Leuchtanzeigen wie diese erklären den Fahrgästen, warum nichts geht an diesem Morgen. © Lino Mirgeler/dpa

"Der größte Teil der täglich 1,5 Millionen Fahrgäste hat umgeplant", sagt MVG-Sprecher Michael Korte. Nur morgens im Berufsverkehr und am Abend seien die einzelnen Busse und Trambahnen, die fuhren, "zeitweise gut gefüllt" gewesen. "Ansonsten war es sehr ruhig."

Wichtige U-Bahnlinie U6 fährt alle zehn Minuten 

Die S-Bahn war ohnehin nicht bestreikt. Schon früh am Morgen war zudem klar, dass an die 30 U-Bahnfahrer sich trotz des Verdi-Warnstreikaufrufs zum Dienst gemeldet hatten. Immerhin die wichtige U-Bahnlinie U6 zwischen Großhadern und Garching kann alle zehn Minuten fahren. Genau wie die 19er Tram von Pasing im Westen nach Berg am Laim im Osten und die 25er vom Max-Weber-Platz nach Grünwald.

Am Stachus gegen Mittag rollen immer wieder vereinzelt verwirrt aussehende Menschen die Rolltreppe von der U4/5 nach oben. Der Krankenpfleger Avram Triandafyllidis (30) muss zum Dienst ins Klinikum rechts der Isar. "Ich habe den Streiktag verwechselt", sagt er. "Ich verstehe, dass man für eine anständige Bezahlung auch mal streiken muss, aber ich werde zu spät kommen, ach...", keucht er und sprintet hoch Richtung Tramhaltestelle.

"Ein bisschen mehr Kundschaft bringt der MVG-Streik schon, aber nicht sehr viel", erzählt Taxler Farchad Mehr in einer Taxischlange am Stachus.
"Ein bisschen mehr Kundschaft bringt der MVG-Streik schon, aber nicht sehr viel", erzählt Taxler Farchad Mehr in einer Taxischlange am Stachus. © Daniel von Loeper

Viel Unterstützung für den Arbeitskampf der Fahrer

Auch die Rentnerin Monika Standl (57) muss ins Klinikum, zu einer Nachuntersuchung. Sie komme aus Deggendorf und wisse jetzt überhaupt nicht, wie sie jetzt weiterkomme. Genervt? "Nein", sagt sie, "das nicht. Die Fahrer haben ja recht, dass sie kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen."

Überhaupt ist viel Unterstützung zu hören für den Arbeitskampf der Fahrer. "Ich hab volles Verständnis", sagt Rentnerin Marlies Galle (71), "Ich finde, die hätten eine Erhöhung um 50 Prozent verdient." Anstatt zu schimpfen suchen Menschen eben in ihrem Handy nach Ausweichmöglichkeiten, fragen Passanten um Rat. Oder am Standl vom Bäcker Rischart neben der Rolltreppe am Stachus.

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"Wir sind heut die reinste Auskunftei", sagt Verkäuferin Christa W. (60), "des sind mir schon gewohnt." Man helfe gern weiter. Während die MVV-App die U-Bahn empfiehlt (die freilich nicht fährt), schickt die Verkäuferin die Fragenden rauf zur Trambahn. Oder zu den Taxlern.

16 Taxis stehen an der Sonnenstraße in einer langen Schlange. Ob die nun heute Traumgeschäfte machen? "Nicht wirklich", sagt Taxler Farchad Mehr. Eine gute halbe Stunde sei er eben in der Schlange gestanden, bis er von ganz hinten auf Platz eins hat vorrücken können. Normal dauere das 45 Minuten.

Anzeige für den Anbieter X über den Consent-Anbieter verweigert

"Ein bisschen schneller geht es. Aber man kann sagen, dass die Münchner seit Corona sowieso mehr Taxi fahren, weil sie den Untergrund meiden." Es gehe dem Taxigewerbe nicht so schlecht. Für Ivan Hajek und seine Straßenmusikerkollegen gilt das nicht, ihm hat noch lange an diesem Tag die Kundschaft gefehlt. Aber das ist eine andere Geschichte.

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  • Jawoi am 27.10.2020 07:54 Uhr / Bewertung:

    Von wegen Verständnis.
    Von wegen viele stiegen aufs Rad um usw.
    Wie immer ein einziges Ärgernis. Dazu muss dieser Laden normalerweise nicht einmal streiken. Inkompetenz wo man hinblickt. Und dann immer alles schönreden.
    In den letzten 30 Jahren wurde bestimmt nichts besser in punkto Kundenservice.
    Aber immer schön die Preise erhöhen.
    Bravo sag ich.

  • meingottwalter am 26.10.2020 23:33 Uhr / Bewertung:

    Dicht an dicht in Bus und U-Bahn. Kein Abstand möglich. Überhaupt kein Abstand. Kein Verständnis für diesen Streik zu diesem Zeitpunkt.

  • Dimpfe am 26.10.2020 22:03 Uhr / Bewertung:

    Es ist einfach nur ignorant und hochnäsig, was verdi da treibt.

    Tausende können nicht arbeiten, weil sie in Quarantäne sitzen, Tausende müssen wegen der Pandemie und der wirtschaftlich extrem angespannten Situation von kargem Kurzarbeitergeld leben. Viele haben durch die Pandemie ihre Jobs und Existenz verloren.

    Aber he, alles cool! Wir haben unsere sicheren Jobs und wollen einfach nur mehr mehr Geld! Sch... doch drauf, ob Die zur Arbeit kommen können, die noch Arbeit haben.

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