Münchner Ziegelfassaden: Schöner ohne Stahl und Glas
München - Ziegel sei ein charakteristisches Münchner Baumaterial – sagten Architekten und Bauherr, als sie 1985 den Gasteig einweihten. Ein Schock als die Gerüste fielen: So hatte man sich das typische Münchner Baumaterial nicht vorgestellt. Zu wuchtig, zu ungegliedert, zu glatt kommt der an sich doch so filigrane Ziegel an diesem Bau daher, der ansonsten freilich sehr gut funktioniert und beliebt ist.
Backstein nur in Norddeutschland und Italien?
Aber war die rote Tapete auf dem Betonklotz wirklich die beste Fassadenwahl? Wagten sich etwa deshalb Architekten in München lange nicht mehr an Sichtziegelbauten, wenn es um größere Gebäude ging? Gut möglich.
Jedenfalls verfestigte sich so die Meinung, Backsteinbauten seien ausschließlich in Norddeutschland und in der Toskana zuhause. Ziegelbauten goutierte man in Siena oder Florenz oder – noch lieber – in San Gimignano. Dort sind ja auch Wetter und Wein besser, und auf MünchnerInnen brauchte man auch nicht verzichten.
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Musste man mal ins verziegelte Preußische, so konnte man in Lübeck Holstentor und Marienkirche, in Rostock, Bremen und Hamburg hanseatische Kaufmannshäuser oder in Berlin Fabrikhallen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bewundern – alle aus Backstein. Selbst neue Einfamilienhausviertel nördlich der Mittelgebirge tragen häufig diese rote Uniform.
Münchens Wohnbauten hingegen sind meistens verputzt, in gedeckten Farben gehalten (und kaum noch mit Lüftlmalerei geschmückt). Den Grund dafür – die klimatischen Unterschiede – kennen wahrscheinlich nur noch wenige Architekturgestalter (die ja oft keine Architekten sind). Sie kopieren die Methoden in einer besonderen Art der Schwarmintelligenz, weil man’s halt so macht.
Wetter als großer Fassadenfeind
Während im flachen Land des deutschen Nordens der Wind der Feind der Fassade ist, hämmert im Süden der Schlagregen meist von Westen gegen die Gebäude. Wind trocknet die Außenfläche wie ein Handtuch einfach ab. Fehlt dieser, kriecht Feuchtigkeit in die weichen Fugen, gefriert bei Minusgraden zu Eis und sorgt für Bauschäden. Putz ist eine schützende Schicht auf der Wand, die ja auch heute noch oft aus Ziegeln gemauert wird. Verputzt bleiben Ziegel und Fugen trocken.
Das war nicht immer so. Auch in München und Bayern besitzen Ziegelbauten ohne Putz Tradition – und tauchen hie und da auch wieder neu im Stadtbild auf. Nach dem Missklang am Gasteig machte sie ein Schweizer der so genannten Tessiner Schule schließlich wieder salonfähig.
Münchner Ziegelbauten im Kommen
Ivano Gianola entwarf den vor 15 Jahren fertiggestellten Schäfflerblock am städtischen Wohnzimmer Marienhof und rehabilitierte den roten Werkstoff, den ja auch die benachbarte Nordseite des Rathauses schräg gegenüber kennzeichnet. Hier entfaltet der gebrannte Ton Ästhetik, Atmosphäre und Poesie - wofür er ja auch berühmt ist.
Auch die Architekten Hild und K haben einen 2013 umgebauten Flügel der TU an der Luisen-/Theresienstraße mit titangrauen, schimmernden Klinkern expressiv verkleidet. Aber Ziegelrot – wie die Nachbargebäude auf dem Nordgelände der TU in der Innenstadt – wurde er nicht.
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Für einen gesprenkelten hellen Ton von Klinkern – und gestalterische Zurückhaltung – entschieden sich zur gleichen Zeit Fischer und Steiger beim Anbau an das Giselagymnasium in der Arcisstraße Nähe Elisabethplatz.
Rot ist da auch nichts. Das hat aber nichts mit Politik zu tun sondern vielmehr mit ästhetischer Überzeugung und mit modernen Techniken. Denn farbige Ziegel waren früher gar nicht möglich. Damals resultierte die Farbe nach dem Brand aus den im Ton enthaltenen Mineralien. Hoher Eisengehalt führte zu hell- bis dunkelroten und braunen Farbtönen, viel Kalk machte gelb. Heute trägt man vor dem Brennen der Ziegel Engoben auf und kann so die Farbpalette ins Beliebige erweitern - was ja auch die Phantasie anregt und für optische Vielfalt sorgt.
Viele rote Kulturbauten - Wenige Wohnungen
Dennoch sind die beiden neuen Schulbauten (wie natürlich auch der deutlich ältere Anbau ans Luisengymnasium an der Marsstraße) tief in der Münchner Bautradition verwurzelt – was man ja kaum glaubt. Schaut man sich die Stadt genauer an, so findet man ganz schön viele Ziegelbauten. Allerdings sind nur wenige Wohnbauten darunter.
Gerne rot sind Bauten der Kultur - wie der Gasteig, manche alte Schule oder fast der ganze nördliche Teil des innerstädtischen, nach dem Krieg gebauten TU-Areals. Auch Klenzes Pinakothek oder die Staatsbibliothek an der Ludwigstraße sowie Gärtners ehemalige Salinenadministration gegenüber – heute Teil der LMU – zählen dazu. Das ist geradezu eine Ahnenreihe der Ziegelbau-Kultur.
So etwas inspiriert freilich Architekten – jedenfalls wenn sie sich vom mehr oder weniger funktionellen Einheitseinerlei aus Beton, Stahl und Glas distanzieren möchten. Wie schön, wenn schon das Material ein bisschen etwas über die Nutzung des Gebäudes verrät.
Die Mutter aller Ziegelbauten
Natürlich gibt es in München auch noch andere wichtige Ziegelbauten – allen voran die Klöster und Kirchen. Wahrscheinlich ist sogar die Mehrzahl aller Sakralgebäude, die mehr als 100 Jahre auf dem Buckel haben, aus Sichtziegeln gebaut. Klar, die 1468 begonnene Frauenkirche – ein hochgotischer Meilenstein – ist für München die Mutter aller Ziegelbauwerke. Sie hat das Material für die Sakralbauten von Mariahilf bis hin zu sehr vielen Friedhofsmauern vorgegeben.
Unter anderem ließ sich 1958 Sep Ruf zu seinem Ziegelrundling St. Johann von Capistran in Bogenhausen inspirieren. Mit dem von Andreas Meck entworfenen Dominikuszentrum im Münchner Norden ist sogar ein ganz junges Sakralgebäude wieder einmal richtig rot geworden.
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Die Basis der Münchner Ziegelbaukunst war übrigens ziemlich profan. Eine 20 Kilometer lange Lehmzunge, ausgeschwemmtes Überbleibsel der letzten Eiszeit, die sich von Giesing über Berg am Laim (= Lehm) nach Ismaning zog, wurde bis zur Neige ausgebeutet.
So betrachtet stimmt natürlich der Spruch: Ohne den Lehm daat’s München net geb’n. Aber es stimmt (leider) auch, dass Ziegel kein typisches Münchner Baumaterial (mehr) ist.
Von Backstein bis Ziegel: Je höher die Brenntemperatur, desto haltbarer
Backstein: Der Begriff wird besonders für alte Gebäude verwendet. Backsteine aus Lehm werden in Ziegeleien bei 900 Grad gebrannt, sind deshalb nicht so stabil, offenporig und nehmen Feuchtigkeit auf.
Blendziegel: Die auch Blendstein oder Verblender genannten Ziegel wurden vorwiegend im 19. Jahrhundert zur Verkleidung von Mauerwerk eingesetzt.
Klinker: Sie werden aufgrund des höheren Gehaltes an Alumosilikaten bei 1200 Grad gebrannt und dabei stark versintert. Sie sind deshalb frostbeständiger und können für Sichtmauerwerk verwendet werden.
Terrakotta: Weit größer als traditionelle Ziegelformat und dekorativ gestaltet.
Ziegel: Er wird aus tonhaligem Lehm geformt und in Öfen gebrannt – wie auch der Dachziegel.