"Münchner Gschichten": Straßenschlägereien, Einzelhaft und ein Wahnsinnsgeschoss

Im Jahr 1975, ich war 18 Jahre alt, fuhren wir Motorräder und hatten erste Autos. Ich konnte sie nicht reparieren, tat es aber trotzdem.
Wir gingen ins Café Steeger, eine Old-Fashion-Disco, in der noch Schieber, Foxtrott, Rock'n'Roll und Hardrock-Runden getanzt wurden.
Seinerzeit waren Gummikühe, also 750er BMWs, schon das höchste der Gefühle. Oder die extrem giftigen 500er oder sogar 750er Kawasakis mit ihrem Dreizylinder-Zweitakt-Motor, die dank ihres schwindligen Stahlröhrchenrahmens kriminellste Fahreigenschaften hatten und gerade im Grenzbereich supergefährlich zu fahren waren.
Ein Highlight war dann die 750er-Four von Honda, die ich jedoch nicht wirklich begehrte, denn kurz danach baute Kawasaki dieses für damalige Verhältnisse Wahnsinnsgeschoss Z 900 mit vier Zylindern.
Im Pulk in die "Pappschachtel", den Pressluftschuppen
Derart motiviert, beschäftigte ich mich nun etwas mehr mit Geldverdienen, denn ich wollte unbedingt endlich, nachdem ich mich lange genug mit einer 125er Zündapp, einer 500er BMW (einer R 51/3 von 1957 mit Starrrahmen, sie war genauso alt wie ich) und einer R69 S abgequält hatte, eine 900er Kawa haben.
So fuhr ich Lkw für den Söllner Sigi, der in seiner Freizeit Discjockey im Café Steeger, unserer geliebten Disco in Allach, war, damals einen knallroten Ferrari fuhr und beim Auflegen gerne mal Plattenreiniger mit Cola soff.
Das Café Steeger hieß ja eigentlich schon seit den siebziger Jahren "Big Joe", aber das schien niemand zu interessieren. Der Schuppen blieb einfach das Steeger. Der Schlossmüller Toni, auch ein Allacher Spezi, war der Pächter.
Wir freuten uns schon alle auf Donnerstag, wenn wir wieder hingehen konnten, was wir dann auch regelmäßig taten, freitags fuhren wir dann schon mal im Pulk nach Pasing und gingen in die "Pappschachtel" – noch so ein Pressluftschuppen wie das Steeger, ebenfalls ein Treffpunkt zwielichtiger Gestalten, die ich später noch alle kennenlernen sollte.
Dann war da noch das Hotel Blutenburg, ein unsägliches Stüberl in der Verdistraße, wo wir Apfelkorn und Rüscherl soffen, das "Atlantik" in Gröbenzell und das "Forum" in Germering, zwei ehemalige zur Disco umgebaute Provinzkinos. Oder das "Fantasy" in Neuaubing, ein Hardrockschuppen und Treffpunkt der Headbanger-Szene.
Ich brauchte also unbedingt diese 900er Kawasaki, um in all diesen wichtigen Etablissements den richtigen Auftritt zu haben.
Ich wechselte Arbeitsstellen wie die Unterhosen
Es war eine Friede-Freude- Eierkuchen-Jugend, ich wechselte Arbeitsstellen wie die Unterhosen, hatte nicht mal einen Hauptschulabschluss, wurde aber überall sofort eingestellt, wenn ich mich dazu entschloss, zu arbeiten, weil ich Geld brauchte.
Besonders im Sommer, wenn das Motorrad vor der Tür stand, die Sonne schien und der See lockte, war's blöd für meine Arbeitgeber, wenn sie mich aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen auch nur schräg ansahen, denn sie brauchten mich ja.
Nachdem ich als gelernter Einzelhandelskaufmann nicht mehr arbeiten wollte, fuhr ich Lkw und erledigte die Zulassungen für ein Allacher Autohaus, das wahrscheinlich in diesem Zusammenhang hier nicht näher genannt werden möchte, denn die Allacher Jugend hatte mich noch nicht ganz losgelassen, und so kam es 1977 schließlich zum Eklat.
An meinem 20. Geburtstag, als ich mit meinen Allacher Freunden Froni und Schoasi vom Café Steeger kommend, mit meinem schwarz-weißen 2,3-Liter-Ford-Capri auf der Allacher Straße fuhr und ein paar Türken überfiel, die neben der Straße herumlungerten.
In den siebziger Jahren hatten sich mehrere Rockergangs gebildet: "Valley", deren Treffpunkt das Valley-Stüberl in der Valleystraße in Sendling war, "Burn Munich", die Giesing unsicher zu machen glaubten und mehrere Großschlägereien auf der Auer Dult anzettelten; im Bahnhofsviertel trieben die "Black Spiders" ihr Unwesen, und wir Hanswursten im Münchner Westen nannten uns "Grave Diggers".

"Türe immer verschlossen halten": Impression aus Stadelheim.
Wir sprangen aus dem Ford Capri und prügelten los
Tage zuvor hatten wir auf dem Frühlingsfest bereits mehrere Schlägereien am Autoscooter mit den Jungs der "Black Spiders" gehabt. Die Rockergang "Black Spiders" bestand zum größten Teil aus türkischen Jungs, und die, die in der Allacher Straße herumstanden, konnten zwar nichts dafür, kamen uns aber gerade recht.
Ich ließ den Capri mitten auf der Straße mit offenen Türen stehen, wir sprangen raus und prügelten die armen Kerle mal schnell über den Haufen.
Nicht schlimm – sie hatten, wie sich später herausstellte, nur ein paar blaue Flecken, denn wenn einer am Boden lag, hörten wir auf.
Ehrensache.
Dummerweise wurden wir bei dieser Schwachsinns-Aktion von einem Busfahrer beobachtet, der auf der Gegenspur stehenblieb und über seinen Funk die Polizei rief.
Bis die eintraf, waren wir zwar über alle Berge. Ich parkte jedoch den Capri, dessen Nummer natürlich sofort zur Fahndung ausgeschrieben worden war, rotzfrech in der Pelkovenstraße direkt vorm Moosacher Alten Wirt, wo wir meinen Geburtstag und unseren Pyrrhussieg feierten, als die Tür aufging, die Bullen hereinstürmten und uns vom Tisch weg festnahmen.
Zwei Wochen in U-Haft brachten mich zur Besinnung
In Handschellen wurden wir aus der Wirtschaft geführt und landeten natürlich wieder in der Löwengrube, wo wir getrennt voneinander, aber zusammengepfercht mit anderen zwielichtigen Gestalten, die Nacht verbrachten.
Nach einem Verhör am nächsten Morgen wurden wir in Stadelheim eingeliefert zur Untersuchungshaft, wo wir zwei geschlagene Wochen in Einzelzellen saßen. Diese zwei Wochen brachten mich zur Besinnung.
Ich war ja gar nicht frei! Hier wollte ich nie wieder sein.
Als ich entlassen wurde und schon wieder in meiner eigenen Kleidung, Jeans und Erdmannjacke, durch das Gefängnis in Richtung Ausgang ging, fragte mich der Hausl, der gerade vorbeikam, was ich denn für meine Jacke haben wollte. "Zwei Koffer" würde er mir geben.
"Ja, schbinnsd denn du?", entgegnete ich ihm und ließ ihn mit den Worten "I gäh jetzt hoam" einfach stehen.
Aber diese abschließende Begegnung in Stadelheim zeigte mir nochmal in aller Deutlichkeit, wo ich hier eigentlich war: Für meine gute Erdmann- Lederjacke, die wir alle damals unter der Clubjacke trugen und für die wir im wirklichen Leben 280 Mark hinblättern mussten, hätte er mir in der Knastwährung zwei Koffer, also zwei Packungen Tabak, gegeben.
Als ich nach Moosach fuhr, um meinen verlassenen Capri abzuholen, erwartete mich eine böse Überraschung: Alle Reifen waren platt. Gottseidank war nur die Luft rausgelassen.
Ein paar Monate später bekamen wir bei der Verhandlung noch eine Woche Jugendarrest im damaligen Jugendknast am Mariahilfplatz, dem späteren Frauengefängnis. Die Haftanstalt war so richtig altertümlich, mit dicken Mauern und Türen wie im Burgverlies, extrem ungemütlich. Nie wieder!, das schwor ich mir.
Froni und Schoasi hab ich nach der Verhandlung nie wieder gesehen, bis heute nicht. Keine Ahnung, was aus ihnen geworden ist.
Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich Jahre danach mit dem "Spider Heinzi" – das war der Chef von den "Black Spiders" – bei einer Party im Sendlinger Jugendheim einen Joint rauchte und wir uns im Namen unserer ehemaligen Gangs, die damals schon gar nicht mehr existierten, versöhnten.
Ich glaube, wir hätten schon früher anfangen sollen zu kiffen.
Der Autor

Auf dem linken Bild ist er 18: Ein kleines bisserl hat sich der Münchner Bernhard Linck, Jahrgang 1957, schon verändert, oder?