München: Charlotte Knobloch über das Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz

Heute vor zehn Jahren wurde das Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz eröffnet. Im Interview erinnert sich Charlotte Knobloch an eine Zeit, in der für die Juden in München vieles besser geworden ist.
von  Interview von Felix Müller
Charlotte Knobloch im Gespräch mit AZ-Lokalchef
Felix Müller.
Charlotte Knobloch im Gespräch mit AZ-Lokalchef Felix Müller. © Daniel von Loeper

München - AZ: Frau Knobloch, die Synagoge wird zehn Jahre alt. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie?

CHARLOTTE KNOBLOCH: Es ist auch ein Anlass, Rückschau zu halten. Ich hätte mir ja nie vorstellen können, dass sich die Synagoge und das Gemeindezentrum nicht nur hier im Herzen der Stadt befinden, sondern, dass wir auch noch die Herzen der Münchner erobern.

Ist für Sie im Rückblick der Tag der Grundsteinlegung 2003 oder die Eröffnung 2006 der stolzeste Moment?

Für mich war bereits die Grundsteinlegung sehr wichtig, wenn nicht gar wichtiger. Nach all den vorangegangenen Diskussionen, all dem Für und Wider, konnte ich es endlich wirklich glauben, dass mein Traum wahr wird. Die Eröffnung der Synagoge vor zehn Jahren ist im Rückblick eine Initialzündung gewesen weit über München hinaus. Inzwischen gibt es keine größere Stadt mehr ohne repräsentative Synagoge. Wir in München hatten das Glück, wieder wie vor 1938 die Synagoge mitten in der Stadt bauen zu können. Viele Landesväter und Bürgermeister haben seitdem verstanden, wie wichtig das für die jüdischen Gemeinden ist.

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2003 wurden kurz vor der Grundsteinlegung Anschlagspläne bekannt.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich acht Tage vor der Grundsteinlegung ins Polizeipräsidium gerufen wurde. Dort wurde mir mitgeteilt, dass man einen aussichtsreichen Anschlag verhindert hätte. Die Münchner Polizei hat sich hier in herausragender Weise verdient gemacht und dafür gesorgt, dass die Veranstaltung risikofrei durchgeführt werden konnte.

Was hat das Bekanntwerden der Anschlagspläne damals für Sie verändert?

Ich weiß noch, wie ich aus dem Polizeipräsidium zurückgekommen bin und am Boden zerstört war. Ich habe mir vorgestellt, was passiert wäre, wenn die Polizei den Anschlag nicht verhindert hätte. Es wäre meine Schuld gewesen, wenn aus meiner Einladung ein grauenhaftes Blutbad geworden wäre – dadurch, dass unser Traum verwirklicht werden sollte, eine Synagoge und ein Gemeindezentrum im Herzen dieser Stadt zu bauen.

Hätten Sie diese neue repräsentative Synagoge einige Jahre zuvor für möglich gehalten?

Ich komme aus einer Zeit, in der ich als Kind die Ausgrenzung und das Grauen der Verfolgung persönlich erleben musste. Aus einer Zeit, in der die Stadt in Trümmern lag und kein Mensch sich vorstellen konnte, dass wir, die Stadt und das ganze Land je wieder aufstehen. Es gab Jahre, in denen man nicht wusste, ob es überhaupt eine Zukunft für jüdische Menschen in dieser Stadt geben kann. Doch dann haben wir an unserer Zukunft gearbeitet.

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Und vor zehn Jahren konnten Sie das Gemeindezentrum eröffnen.

Ja. Und damals habe ich gesagt: Jetzt habe ich meine Koffer ausgepackt.

Sie haben die Symbolik angesprochen, ins Zentrum der Stadt zurückgekehrt zu sein. Zu den Gedenktagen kommen die Politiker ins Haus. Aber ist es im Alltag wirklich so, dass mehr Anteil genommen wird am jüdischen Leben?

Die Synagoge, die 1938 von den Nazis abgerissen wurde, war im Herzen der Stadt. Es gab eine Symbiose mit der Frauenkirche, dem Wahrzeichen Münchens. Dass es wieder so werden würde, war eine Voraussetzung, die ich an den Neubau gestellt habe – und wir haben es durchgesetzt mit der großen Unterstützung des damaligen Oberbürgermeisters Ude, der es zur Chefsache erklärt hatte. Und dank der Hilfe des Freistaats.

Was hat diese repräsentative, zentrale Synagoge verbessert?

Der Umzug war eine Heimkehr. Das hat viel Positives bewirkt. Wir haben Raum für Begegnung und Dialog geschaffen. Mit der freistehenden Synagoge zeigen wir, dass wir keine Barrieren bauen wollen. Wir möchten den Menschen zeigen, dass Judentum lebendig ist, selbstverständlich. Die Zukunft des Judentums soll wieder von Normalität geprägt sein – auch wenn die Schatten der Vergangenheit lang sind. Dieses Gemeindezentrum war die Voraussetzung, um wirklich wieder ein sichtbarer Teil der Stadt zu werden – und wir haben es geschafft. Es ist unglaublich, wie begeistert das nicht-jüdische Umfeld reagiert hat.

Ist das Klima für Juden in München besser als in anderen deutschen Städten?

Es ist auf jeden Fall außergewöhnlich gut. Wir haben den Zuspruch der Landeshauptstadt, den Zuspruch der Staatsregierung. Wir sagen: Wir fühlen uns hier geborgen und sicher.

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Das klingt alles sehr positiv. In den zehn Jahren haben Sie aber auch immer wieder zunehmende Probleme benannt. Nach den Paris-Anschlägen erzählten Sie, dass Mitglieder ihrer Gemeinde erwägen, Europa zu verlassen.

Die Menschen, die verunsichert waren, glauben wieder daran, dass sie hier sicher sind. Sie haben gesehen, wie ernst die Behörden die Sicherheit der Bürger und gerade auch der jüdischen Menschen und Einrichtungen nehmen. Das Vertrauen ist zurückgewonnen.

Seit 2015 ist immer wieder die Rede davon, dass mit den Flüchtlingen auch Antisemitismus importiert werde.

Wir haben so viel erlebt: Die Beschneidungsdebatte, immer wieder schreckliche Anfeindungen im Internet. Die Terrorgefahr betrifft nicht nur uns, jüdische Einrichtungen, sondern alle. Es ist ein allgemeines Thema. Aber es stimmt natürlich: Es kommen Menschen aus Ländern, in denen sie von Geburt an gegen den Staat Israel und gegen Juden aufgehetzt werden. Das birgt ein Gefahr und die belastet uns schon. Aber es sind nicht nur Muslime, wir haben auch Probleme mit den Anhängern von Pegida und Co. Die braune Renaissance bringt einen starken Anstieg antisemitischer Äußerungen und Praktiken mit sich. Aber es gibt auch den linken, israelfeindlichen Antisemitismus, der uns Sorgen bereitet.

Die neuen Rechten, muslimischer Antisemitismus: Ist manches doch schwieriger geworden für Juden in München in den zehn Jahren?

Wir sind zuversichtlich und nicht allzu unruhig. Weil diese Themen unser alltägliches gutes Miteinander mit der nicht-jüdischen Bevölkerung in München nicht betreffen und nicht belasten dürfen.

Wenn wir hier in zehn Jahren zusammensitzen und über 20 Jahre Synagoge sprechen: Was wünschen Sie sich, was dann anders sein soll?

Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass all diese gegenwärtigen Bedrohungen und Anfeindungen, nicht mehr in dem Maße vorhanden sind wie heute und wir in Frieden und Freiheit zusammenleben können. Dass rechtsextreme Parteien in Deutschland nie wieder die Oberhand gewinnen, dass Hass sich nie wieder durchsetzt. Und dass es für unsere Nachfahren eine wirkliche Normalität gibt. Ich hoffe, das bleibt nicht nur ein Traum.

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