Missbrauchsgutachten: Starkes Interesse an Kirchenaustritten in München
München - Nach der Vorstellung des Gutachtens zu sexueller Gewalt im katholischen Erzbistum München und Freising registriert die Stadt München ein ungewöhnlich großes Interesse an Kirchenaustritten.
Verdopplung der Kirchenaustritte
"Heute verzeichnen wir am Servicetelefon und per Mail einen deutlichen Anstieg an Fragen rund ums Thema Kirchenaustritt", sagte der Sprecher des Kreisverwaltungsreferates (KVR), Johannes Mayer, am vergangenen Freitag.
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, haben 450 Münchner seit der Veröffentlichung des Gutachtens einen Termin beim Kreisverwaltungsreferat für ihren Austritt aus der Kirche gebucht. Das sei die doppelte Zahl, wie es sonst für diesen Zeitraum üblich sei.
Missbrauchsgutachten: Mindestens 497 Opfer
Am vergangenen Donnerstag hatte die Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) ein von der Erzdiözese in Auftrag gegebenes Gutachten vorgestellt. Das kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch im Bistum über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.
Das Gutachten wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Auch dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird formales Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob und welche Ergebnisse auch strafrechtlich relevant sind.
So viele München traten 2021 aus der Kirche aus
Mehrere Tausend Münchner treten nach KVR-Angaben pro Jahr aus der Kirche aus. Im Jahr 2020 sanken die Zahlen Corona-bedingt zwar im ersten Lockdown, dafür war die Zahl 2021 so hoch wie noch nie: 22.323 Münchner kehrten ihrer Kirche den Rücken. Wie viele davon Katholiken und wie viele Protestanten waren, schlüsselt die KVR-Statistik nicht auf.
Nach der Veröffentlichung des Gutachtens forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine konsequente Aufarbeitung und "null Toleranz" gegenüber Tätern. "Das ist natürlich ein langer und schwieriger Blick in den Abgrund, insbesondere, weil es um viele menschliche Schicksale geht", sagte Söder am Freitag in München über das Gutachten.
"Ein schwerer Moment für alle engagierten Christen"
Die Kirche müsse nun für eine schnelle und klare Aufarbeitung sorgen. Strukturen müssten so geändert werden, dass Derartiges in Zukunft verhindert werde. Und beim Umgang mit den Tätern müsse "null Toleranz" der Maßstab sein.
Söder betonte, er sei fest überzeugt, dass die Kirche in vielerlei Hinsicht einen ganz wichtigen Beitrag fürs Land leiste, dass von den Menschen dort unendlich viel Gutes geleistet werde. Dies sei aber nun "ein schwerer Moment für alle engagierten Christen und vor allem auch alle Anhänger der Institution Kirche".
Die "besondere moralische Garantenstellung" der Kirche
Söder: "Die Kirche steht in einer ganz besonderen moralischen Garantenstellung." Angesichts des entstandenen Vertrauensverlusts sein nun eine konsequente Aufarbeitung nötig, sagte Söder, der selbst evangelisch ist. Er fügte hinzu: "Das hat vielleicht alles schon viel zu lange gedauert."
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