Missbrauch im Pflegeheim: Demenzkranker angeklagt
München - Da wo sonst die Angeklagten Platz nehmen, bleibt der Stuhl leer. Heinz T. (78, Name geändert) ist nicht verhandlungsfähig, der Prozess unter dem Vorsitz der Richters Martin Hofmann beginnt ohne ihn. Die Staatsanwaltschaft will erreichen, dass der 78-Jährige in der Psychiatrie untergebracht wird.
Prozessbeginn: Missbrauch in Pflegeheim nahe München
Dem wohl nicht schuldfähigen Mann droht sogar die Sicherungsverwahrung: In dem Pflegeheim nahe München, in dem er untergebracht wurde, soll er drei ebenfalls dort wegen ihrer Demenzerkrankung lebende Frauen zum Teil schwer sexuell missbraucht haben. Und das über Monate. Nach Angaben einer Gutachterin leidet der Mann an einer massiven "Denkstörung", er könne sich nur in einzelnen, unzusammenhängenden Worten äußern: "Es war im Prinzip ein Wortsalat." In ihrer Antragsschrift führt die Staatsanwaltschaft 27 Fälle bis hin zur Vergewaltigung auf.
Über einen Zeitraum von rund einem halben Jahr sollen die Frauen im Alter von 68, 71 und 81 Jahren immer wieder seine Opfer geworden sein - in ihren Zimmern, im Wohnzimmer und sogar mehrere Male auf dem Flur der Einrichtung. Eine der Frauen, die sich nur noch mit Hilfe eines Rollators fortbewegen konnte, soll der Mann viermal vergewaltigt haben. Seine beiden weiteren Opfer waren laut Staatsanwaltschaft entweder gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt in der Lage, zu sprechen. Die Sache flog auf, als eine Angehörige eines Opfers Strafanzeige erstattete.
Nur drei Pfleger für 30 Patienten
Für Patientenschützer ist aber die entscheidende Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Heinz T. mutmaßlich über den Zeitraum von rund einem halben Jahr seine wehrlosen Mitbewohnerinnen immer wieder missbrauchen konnte. "Man hat versucht, ihn von den anderen, vor allem von den weiblichen Bewohnern, zu separieren, soweit das ging", sagt sein früherer Betreuer vor Gericht. Es sei aber auch nicht möglich gewesen, ihn dauerhaft zu isolieren.
Drei Pfleger für 30 Patienten - reicht das, um solche Taten zu verhindern? Der Betreuer erklärt jedenfalls, "aufgrund des Personalschlüssels in Pflegeheimen" seien die Mitarbeiter "nicht in der Lage, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen". Weitere Beschuldigte gibt es aber nicht, betont die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Andrea Mayer. Immer wieder schritten Mitarbeiter und auch der damalige Heimleiter ein, um den Mann von seinem jeweiligen Opfer zu trennen und den Frauen zu helfen.
"Sexualität in Pflegeeinrichtungen ist noch immer ein Tabu-Thema"
Versuche, eine andere Einrichtung für den Mann zu finden, seien mehrfach fehlgeschlagen - auch weil andere Heime sich nach den bekannten Vorfällen weigerten, ihn aufzunehmen. Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nennt diese Situation für die betroffenen Frauen "nicht hinnehmbar". "Damit ein Demenzerkrankter sich monatelang an Mitbewohnerinnen vergehen kann, müssen viele Beteiligte lange tatenlos zugesehen haben", meint er.
Viele Betroffene schweigen aus Scham
"Sexualität in Pflegeeinrichtungen ist noch immer ein Tabu-Thema. Übergriffe unter Pflegeheimbewohnern kommen häufiger vor als gedacht und geschehen selten unbemerkt", sagt Brysch. Er fordert "eine Kultur des Hinschauens" - vor allem, weil Betroffene, sofern sie überhaupt noch in der Lage sind, sich zu äußern, aus Scham oft schweigen. Markus Sutorius, Jurist beim BIVA-Pflegeschutzbund: "Natürlich hat eine Einrichtung allen ihren Bewohnern gegenüber eine Fürsorgepflicht und die ist zu erfüllen." Schmerzensgeldforderungen sind denkbar.
"Wenn Bewohner nicht ausreichend vor Straftaten geschützt werden, hat die Einrichtung ja wahrscheinlich gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen", sagt Sutorius. Den Mann aus dem Heim zu werfen, gehe zwar nicht, aber ein Heim könne zumindest selbst Anzeige erstatten und sich darum bemühen, dass ein mutmaßlicher Sexualtäter in eine Psychiatrie eingewiesen wird.
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