Mieterstammtisch in München: Sind das die schlimmste Problemhäuser?

München - Das Thema Mietermobbing kennt sie seit Jahren. "Jetzt fühle ich, was es heißt, wenn man an der Wand steht", klagt eine Mieterin aus der Einsteinstraße. Ihr Vermieter in Haidhausen: "Ausgerechnet Haus von Beck, die seit der Wallraff-Reportage über miese Psycho-Tricks von Vermietern verschriene Immobilien-Firma vom Viktualienmarkt", sagt sie. Wegen Modernisierungsmaßnahmen soll sich ihre Netto-Kaltmiete um mehr als 9.000 Euro im Jahr erhöhen.
"Der Vermieter will uns raus haben. Wir kennen Mobbing von oben bis unten. Es ist wirklich so schlimm! Wir haben Ratten im Keller, aber der Vermieter macht nichts", erzählt die Frau mit bebender Stimme. Beim fünften Münchner Mieterstammtisch hat sie als erste ihr Problem vorstellen können. "Oh Gott!", reagiert jemand im Publikum mitfühlend. In der lässigen Zwischennutzung "Kunsthaus Raab" in der Donnersbergerstraße 15 treffen sich mehr als 80 Münchner Mieter – die alle ihren Rauswurf fürchten.
Bei der Ausspekuliert-Demo, die Initiative dieses Stammtischs, haben am 15. September rund 11.000 Münchner für bezahlbares Wohnen demonstriert. "Luft holen, weitermachen" – ist das Thema der Organisatoren: Vernetzen und Immobilien-Spekulation publik machen. "Es sollte Listen geben von Vermietern, die schweinische Sachen machen. Die Leute, die reich sind, wollen nicht in der Zeitung stehen", meldet sich Ex-Schauspieler Wolfi Fischer aus Neuhausen zu Wort. Er gilt als Münchens fairster Vermieter. Sein Traum: "Das Zeitalter der Kaufleute wird seinen Zenit erreichen, dann werden ihre Luxuswohnungen leer stehen."
Über die Atmosphäre im Raum sagt Vermieter Fischer tröstend: "Hier ist eine gewisse Menschlichkeit, hier ist auch ein gewisses Unglück. Wenn du Böses säst, wirst du es eines Tages ernten. Ich habe Leute erlebt, die waren erst ganz oben, dann ganz unten." Als Überraschungsgast kommt ein zweiter netter Vermieter: Er bietet eine Dachwohnung: 45 Quadratmeter für 350 Euro. Allerdings bei Petershausen.
Sedanstraße: Heimat als Spekulationsobjekt
Diese drei Mieter aus der Sedanstraße 27 halten fest zusammen. Die Medizinisch-Technische Assistentin Charo Garcia: "Erst im April ist unser Haus für zirka elf Millionen Euro von privat an eine Immobilienfirma gegangen. Die verkauft es schon weiter. Das ist entfesselter, menschenverachtender Kapitalismus. Es geht nur um Gewinn. Das macht mich wütend. Meine zwei Kinder brauchen ihr Zuhause."
Architekt Jan Hehenberger: "Die Immobilienspekulation ist extrem geworden. Bei unserem Haus ist es eine Nummer zu viel. ,Hoppla, ist das nicht euer Haus?’ – ein Bekannter aus der Immobilienbranche hat durch Zufall das Verkaufs-Exposé der Sparkassen Immobilien entdeckt. Die Sparkasse ist doch von der Stadt München! Dass die als Makler dabei mitmacht, stimmt mich stinkig.
Über normale Wege im Internet habe ich das Inserat nicht gefunden. Wer die Immobilie für 14,8 Millionen Euro von der Eck Projekt GmbH & Co. KG kauft, will das Geld reinholen: ,Nach Modernisierungsumlage ist eine Bruttorendite zwischen 1,75 und 2 Prozent möglich’, wirbt die Sparkassen Immobilien."
Künstlerin Susanne Koch: "Mit Wut und Ekel blicke ich auf die Entwicklung. In unserer Gesellschaft geht inhaltslose Bereicherung so leicht. Ich als Künstlerin ringe den ganzen Tag mit Inhalten und verkaufe nur wenig. 3,8 Millionen Reingewinn für die Eigentümer in einem halben Jahr – das ist krass."
Ruffinistraße: Früher Familienbesitz, jetzt GmbH

Diese Mieter in Neuhausen leben in Angst: 44 Bewohner der 19 Wohnungen der Ruffinistraße 6 befürchten das Schlimmste, seit ihr Haus an eine GmbH gegangen ist. Bei der Bürgerversammlung in Neuhausen-Nymphenburg haben sie Politiker um Rückendeckung gebeten. Sie wollen, dass die Erhaltungssatzung für ihre Straße angewendet wird. Die verhindert, dass Spekulanten ein Haus in Häppchen aufteilen und diese separat gewinnbringend verkaufen können.
Christian Schneider, Mieter: "Nach 80 Jahren in Familienbesitz ist unser Haus an ein Konsortium verkauft worden. Bei der Ausspekuliert-Demo hat unsere Mietergemeinschaft mit eigenem Logo und eigenen T-Shirts viel Aufmerksamkeit bekommen. Aufmerksamkeit ist das Einzige, das uns weiterhelfen kann. Wir kennen den Namen der Eigentümerin und haben die Dame jetzt angeschrieben. So haben wir sie aus ihrer Anonymität geholt."
Pariser Platz: "Will nicht weg"

Ute Armanski (73) aus Haidhausen ist Mieterin am Pariser Platz 2. Ihr Haus gehört der Münchner Hausbank. Sie sagt: "Die Fenster wurden zuerst saniert. Wegen Modernisierung soll meine Miete von unter 1.000 auf 2.500 Euro steigen! Meine Existenz ist bedroht. Denken die sich, ich soll verrotten irgendwo? Ich will in Haidhausen bleiben.
Seit 40 Jahren wohne ich hier und will nicht weg von meinem Frisör, meinem Café, meinem Gemüsehändler. Das ist mein Leben. Da gehöre ich her. Ich bin Sozialpädagogin und habe Kultur-PR gemacht. Ich zahle Steuern. Gerade weil ich mich als gute Bürgerin fühle, habe ich es nicht verdient, dass man mich auf die Straße setzt. Beim Mieterstammtisch entdecke ich jetzt meine revolutionäre Kraft. Gut, dass es ihn gibt!
Bald bin ich im Fernsehen zu sehen. Die ARD hat in meiner Wohnung einen Beitrag zum Thema Entmietung gedreht."
Reifenstuelstraße: "Privatwohnungen werden ausverkauft"

Uta Klose ist Diplom-Geografin und arbeitet als Programmplanerin einer kleinen Volkshochschule im Großraum München. Sie ist Mieterin in der Reifenstuelstraße im Dreimühlenviertel: "Unser Haus an der Bahn ist zwei Mal verkauft worden. Die Investoren kaufen es ungesehen. Deswegen finde ich die Idee so gut, den Mietspiegel zu drosseln, um die Mieterhöhungsspirale zu stoppen. Diese Mieterhöhung kann ich noch mitmachen, vielleicht noch die nächste. Dann gilt bei der aktuellen Entwicklung der Mietpreise auch für mich der Spruch von der Demo Ausspekuliert: 2.000 Euro netto – ab ins Ghetto.
Ich frage mich, wie mein 16-jähriger Sohn in dieser Stadt selbstständig werden soll. Muss er wegziehen? Dabei ist München seine Stadt und die von seinen Freunden. Eine fatale Entwicklung ist noch die Vermietung bei uns im Viertel über Portale wie Airbnb: Privatwohnungen und Kleingewerbe werden aufgekauft. Dort übernachten dann Leute mit Rollkoffern. Das macht alles Kleinteilige und Lebendige im Viertel tot. Es ärgert mich, wenn Leute diese Möglichkeit ausnutzen. Das ist natürlich Zweckentfremdung."
Forderung des Mietervereins: Mietspiegel bremsen
Gegen den extremen Anstieg: Der Mieterverein München plädiert dafür, den nächsten Mietspiegel nicht neu zu erheben, sondern moderat "nach Index fortzuschreiben", sagt Geschäftsführer Volker Rastätter. Auch die neuen Mietergesetze aus Berlin gefallen ihm nicht: Statt elf Prozent sollen Vermieter nur noch acht Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen können.
Die Absenkung gilt nur in Städten. Das Gesetz gilt ab 2019. Mietsteigerungen wegen Modernisierung dürfen innerhalb von sechs Jahren künftig höchstens drei Euro pro Quadratmeter
betragen. Ungenügend, kritisieren Mietervereine.