Mediziner warnen: Die Lage in Münchner Kliniken "ist ernst"
München - Die zweite Welle ist nie wirklich abgeebbt", sagt Bernhard Zwißler, Leiter der Klinik für Anästhesiologie am LMU-Klinikum. "Nach der ersten Welle haben wir die Inzidenzzahlen fast auf Null reduzieren können."
"Seit November keine Verschnaufpause"
Seit der zweiten Welle sei die Zahl der Covid-19-Patienten, die auf Intensivstationen deutscher Krankenhäuser behandelt werden, jedoch anhaltend hoch.
Sie sei zu keinem Zeitpunkt unter den Höchststand der ersten Welle gefallen. "Das bedeutet eine permanente Belastung für das Personal, das seit November keine Verschnaufpause hat", sagt Zwißler.
49 freie Intensivbetten in München
Noch gibt es freie Betten auf Münchner Intensivstationen, laut dem Divi-Intensivregister sind von den insgesamt in München verfügbaren 590 Betten derzeit 541 belegt. 109 Covid-Patienten werden behandelt, 54 sind beatmet.
Einige Krankenhäuser haben aber laut Divi schon jetzt keine Intensivbetten mehr zur Verfügung: das Rotkreuzklinikum und das Krankenhaus Barmherzige Brüder etwa.
Das Krankenhauspersonal ist überlastet
Am LMU-Klinikum gibt es noch Kapazitäten, aber die hohe Zahl Erkrankter bringt langfristige Folgen mit sich. Die Überlastung der Ärzte und Pflegekräfte sei nur einer von vielen Gründen, warum die Inzidenz jetzt unbedingt schnell sinken müsse: "Auch die Nicht-Covid-19-Patienten müssen wir im Blick behalten", gibt Zwißler zu bedenken.
Die Warteliste der verschobenen Operationen werde immer länger. "Sobald wir nicht mehr die Covid-19-Patienten priorisieren müssen, kommt eine weitere Welle auf uns zu - die der übrigen Patienten, deren Behandlung verschoben werden musste."

Wegen Corona: Operationen müssen verschoben werden
Liegen auf den Intensivstationen viele Covid-19-Patienten, bedeutet das für andere Patienten im Zweifelsfall, dass sie auf ihre Operation warten müssen, wenn sie nicht lebensnotwendig ist. Das betrifft häufig Ältere mit Vorerkrankungen, die nach einer Operation für einige Tage auf der Intensivstation beobachtet werden müssen.
"Der Hochrisikopatient mit Hüftgelenksimplantation muss dann erst einmal warten. Auch wenn die Operation zur Verbesserung der Lebensqualität wirklich dringlich ist."
Es darf nicht wieder soweit kommen wie im Winter
Auf dem Höchststand der zweiten Welle im Winter musste der gesamte OP-Betrieb auf etwa 70 Prozent heruntergefahren werden. Zu dieser Zeit lagen 37 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen des Klinikums an den Standorten Großhadern und Innenstadt. "Wir müssen unbedingt vermeiden, dass wir wieder dahin kommen."
"Die Zahl der Patienten steigt stetig"
Aktuell liegen von den insgesamt 65 im Klinikum stationär behandelten Covid-19-Patienten 24 auf den Intensivstationen. 80 bis 90 Prozent der Erkrankten seien mit der britischen Mutation des Virus infiziert, die nachweislich ansteckender ist als die Urform. "Die Zahl der Patienten steigt stetig, wenn auch langsamer als während der zweiten Welle. Ich möchte nichts dramatisieren, aber die Lage ist ernst."
Klinik-Chef kritisiert die Politik
Als dramatisch würde Axel Fischer, Chef der städtischen München Klinik, die Situation aktuell noch nicht bezeichnen. "Dramatisch ist, dass wir überhaupt mit einer dritten Welle konfrontiert sind und dass Medizin und Pflege maximal belastet sind."
Er verstehe nicht, warum die Politik nicht dafür sorgt, dass die Inzidenz fällt: "Ein harter Lockdown für wenige Wochen wäre meines Erachtens viel zielführender gewesen. Wir müssen die Inzidenz erst einmal deutlich unter 35 drücken, statt über die Notbremse bei 100 oder 200 zu diskutieren. Das kann kein Dauerzustand sein."

Der Klinikchef wünscht sich eine gezielte Teststrategie wie in seinen Kliniken, die das Ziel hat, Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen. "Das steht erst einmal im Vordergrund - nicht, dass man wieder shoppen gehen kann."
Zumindest beim Klinikpersonal gibt es kaum noch Infektionen
An den fünf städtischen Kliniken werden aktuell 63 Covid-19-Patienten behandelt, 27 davon auf den Intensivstationen in Schwabing, Harlaching, Neuperlach und Bogenhausen. Der Altersdurchschnitt derjenigen Patienten, die unter einem schweren Krankheitsverlauf leiden, sei deutlich gesunken und liege aktuell bei zirka 63 Jahren.

"Problematisch ist, dass die jüngeren Patienten oft erst später ins Krankenhaus und dann schnell auf die Intensivstation kommen. Dort kämpfen wir länger um ihr Leben", erklärt Fischer.
Weniger Neuinfektionen beim Personal
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Impfungen der Mitarbeiter an den Kliniken und eine intensive Testung hätten dazu geführt, dass die Neuinfektionen beim Personal deutlich zurückgegangen sind. "Medizinisch haben wir rasante Fortschritte gemacht. Bei der Behandlung der Patienten und natürlich mit der Entwicklung des Impfstoffs", findet Fischer.
Dass die Impfungen wirksam sind, kann auch Bernhard Zwißler vom LMU-Klinikum bestätigen: "Unsere Mitarbeiter sind zu einem großen Teil geimpft. Seitdem gibt es kaum noch Neuinfektionen."
Lockdown würde wertvolle Kapazitäten schonen
Beide Klinikchefs sind sich jedoch einig, dass es nicht ausreicht, sich auf die Impfungen zu verlassen und ein harter, kurzzeitiger Lockdown wertvolle Kapazitäten schonen würde. "Es trifft einfach immer dieselben", zeigt sich Fischer verärgert, wenn er an seine Mitarbeiter denkt. "Das ist auf lange Sicht für das ganze Gesundheitssystem das wirklich Dramatische.
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