Maroder Gasteig in München: So schlimm ist der Zustand des Kulturzentrums wirklich

München - Der Gasteig brummt. Nicht mehr ganz, wie vor einigen Jahren, als bis zu 10.000 Besucher täglich kamen. Die verteilen sich nun auf den Gasteig HP8 mit der Isarphilharmonie und die Stadtbibliothek im Motorama. Aber das sanierungsreife Gebäude steht keineswegs leer.
Und da müsste man, um im Bild zu bleiben, eher von schnurren als von brummen sprechen. Denn eine gemeinnützige GmbH namens "Fat Cat" bespielt diverse Räume – etwa mit Michael Mittermeiers Lucky Punch Comedy Club. Und vor Weihnachten gibt es sogar den "Nussknacker" als Ballettshow in der seit 2021 geschlossenen Philharmonie.
Gasteig-Sanierung: 450 Millionen – oder doch 700 Millionen Euro?
Das wirft die Frage auf: Wenn so viel Kultur möglich ist, warum muss der Gasteig dann für so viel Geld saniert werden? Von 450 Millionen Euro ist die Rede, aber auch 700 Millionen stehen bereits im Raum. Und das für ein Gebäude, das keineswegs reparaturbedürftig aussieht und auch ohne Klassikkonzerte, die Medien der Stadtbibliothek und die Kurse der Volkshochschule durchaus angemessen kulturell genutzt wird.
Stephanie Jenke, die Geschäftsführerin der städtischen Gasteig GmbH und ihr Gebäudemanager Norbert Wiesmann leiden sichtlich unter dem Widerspruch, weil dank ihrer Arbeit das Gebäude in einem guten Zustand ist. Trotzdem hat die Haustechnik das Ende ihrer Betriebszeit erreicht. Die sieht man nicht, weil sie sich hinter dicken Ziegel- und Betonwänden verbirgt. Aber ihr Zustand wird von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag kritischer.
Wasserschaden in der Philharmonie: Orgel ist unbenutzbar
Ein Rundgang durch das Gebäude macht das deutlich – etwa in der Philharmonie. Dort drang Wasser durch die Decke ein. Die Befürchtungen, dass die Holzdecke herunterfallen könnte, erwiesen sich zwar als übertrieben. Aber die Orgel ist seither unbenutzbar, und eine für den Betrieb wichtige Tür zwischen dem Backstage-Bereich und dem Bühnenpodium klemmt. Die kommende vorweihnachtliche Nutzung steht daher unter Vorbehalt.
Jenke und Wissmann arbeiten seit vielen Jahren für das städtische Kulturzentrum. "Dass Sanierungsbedarf besteht, steht seit über zwei Jahrzehnten fest", so Wiesmann. "Nur hat das anfangs niemand geglaubt, weil die Probleme in den massiven Wänden stecken." Ein vom städtischen Baureferat beauftragtes Gutachten empfahl, möglichst 2016, spätestens aber 2020 mit der Sanierung zu beginnen. Nach kritischen Nachfragen bestätigten andere Experten den Bedarf.

Gasteig wartet auf Sanierung: Risse in den Fenstern, Eimer in der Tiefgarage
Angesichts der Kosten sollte die Sanierung mit einem Investor finanziert werden. Doch die damalige Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden fand niemanden. Seitdem wartet der Gasteig auf einen neuen Stadtratsbeschluss, der im Dezember erfolgen soll. Den peinlichen Leerstand kaschiert derzeit die Zwischennutzung durch die Fat Cat um Till Hofmann, Nepomuk Schessl und Barbara Bergau – vorläufig bis Ende 2024.
Temperaturbedingte Spannungen in der Glasfassade sorgen für Risse in den Fenstern zur Isar hin, eindringendes Wasser ist ein zentrales Problem. Im Dachboden stehen Wannen, Wände haben wegen schadhafter Leitungen Flecken, im Keller sieht man getrocknete Pfützen und rostende Stahlarmierungen. Auch das Celibidacheforum ist undicht: In der darunterliegenden Tiefgarage führen improvisierte Schläuche zu Eimern.

Teilweise läuft die Gasteig-Elektronik noch auf Windows 95
Heute baut man wegen der leichteren Reparierbarkeit solche Leitungen offen, erklärt Wiesmann. "Im Gasteig verlaufen sie hinter Beton und Ziegel." Das betrifft auch die in die Jahre gekommene Elektrik. Weil der Bau vor dem Internet errichtet wurde, fehlt überall Raum für Leitungen. Die in den beiden Jahrzehnten nach der Eröffnung nachgerüstete Elektronik läuft teilweise noch auf Windows 95. Für viele Teile der Haustechnik haben die Hersteller die Wartung eingestellt, weil keine Ersatzteile lieferbar sind.

Muss deswegen gleich das ganze Gebäude saniert werden? Wäre das nicht auch Schritt für Schritt ohne Schließung des gesamten Gebäudes gegangen? Auch dieses Argument kennen Jenke und Wismann: "Niemand kann in einer Bibliothek bei gleichzeitigem Baustellenlärm arbeiten", sagt Wissmann. Außerdem hängen alle Teile der Haustechnik zusammen. Gegen den ebenfalls öfter diskutierten Totalabriss sprechen der gute Zustand des Rohbaus und die mangelnde Nachhaltigkeit eines Komplett-Neubaus des Kulturzentrums.
Auch bei den Fluchtwegen gibt es Probleme
Sind die Anforderungen an die Sicherheit nicht übertrieben? Jenke und Wissmann verweisen darauf, dass für Versammlungsstätten nicht ohne Grund strengere Vorschriften wie für private Bauten gelten. Die Situation der Fluchtwege ist aus heutiger Sicht problematisch. "Uns wurde signalisiert, dass die Bücherschau in den Foyers nicht mehr genehmigungsfähig sei, wenn gleichzeitig Veranstaltungen in der Philharmonie und im Carl-Orff-Saal stattfinden", sagt Jenke.
Ein weiteres Problem, das nur durch eine Sanierung gelöst werden kann, ist die Anlieferung für die Philharmonie. Die Lastwagen, mit denen das Equipment von Stadt zu Stadt transportiert wird, können die Kellerstraße nicht nutzen: Hier drohen nach 22 Uhr Klagen von Anwohnern. Die immer wieder erneuerte Genehmigung für die Sperrung einer Spur auf der Rosenheimer Straße wird es nach einer Verbreiterung der Radwege nicht mehr geben.

Das große Ziel für den sanierten Gasteig: Ein Ort für alle – ohne Konsumzwang
Wenn der Gasteig nicht saniert wird, droht er zu einem unbrauchbaren Schandfleck in zentraler Lage zu werden – wie der (vorsichtig gesagt) unternutzte Kongresssaal des Deutschen Museums ein paar Hundert Meter weiter. Und diese Groß-Investition ist nach Sicht von Jenke und Wiesmann nur gerechtfertigt, wenn das Gebäude danach auch besser nutzbar ist und mehr freie Flächen bietet.
Die Pläne des Büros Henn für Verbesserungen in der Philharmonie und eine Verschränkung aller Trakte durch die Verlängerung der Glashalle zu einer verbindenden "Kulturbühne" und das Restaurant auf dem Dach sind außerdem nicht der große Kostenfaktor der Sanierung: Sie machen etwa 20 Prozent aus, weshalb der Stadtrat zuletzt entschlossen schien, die insgesamt politisch eher unbeliebte Sanierung zu wagen.

Das stärkste Argument für eine Sanierung ist die wachsende Stadt. Sie braucht – neben Stadtteilkulturzentren – einen zentralen Ort, an dem Menschen ohne Konsumpflicht zusammenkommen können. Diese Funktion erfüllen vor allem die Bibliothek und Volkshochschule – und die vielen offenen Bereiche des Gasteig, die sich nach einer Sanierung viel besser nutzen ließen als heute.
Und die "Fat Cat" beweist, dass neben den Philharmonikern und den großen Konzerten privater Veranstalter auch die Freie Szene im Gasteig künftig präsenter sein könnte. Und das ist ein Mix, der vielversprechend ist.