Lange Haftstrafe: Die letzten Tränen nach der Wiesn

Sie hat vorm Käferzelt zugestochen, jetzt muss die 34-jährige Millionärs-Verlobte für viereinhalb Jahre in Haft. Das Ende eines spektakulären Prozesses.
Sophie Anfang |
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Die Angeklagte (2.v.r.) steht vor Prozessbeginn mit ihren Anwälten Steffen Ufer (l.), Annette Voges und Gerhard Strate (r.) im Verhandlungssaal.
dpa Die Angeklagte (2.v.r.) steht vor Prozessbeginn mit ihren Anwälten Steffen Ufer (l.), Annette Voges und Gerhard Strate (r.) im Verhandlungssaal.

München - Acht Minuten dauert es, dann kann Simone V. (34, Name geändert) ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Bis dahin hatte sie es ausgehalten, ihre Hand gegen ihren Mund gepresst, schwer geatmet. Aber keine Träne. Nicht als der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann sie schuldig gesprochen hat wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Nicht, als er das Strafmaß verkündet hat: vier Jahre und sechs Monate, nicht wesentlich weniger als die fünf Jahre, die die Staatsanwaltschaft Simone V., die Verlobte eines Hamburger Millionärs, hinter Gittern sehen wollte.

Doch dann bricht es wieder aus Simone V. heraus. Tränen fließen über ihr gerötetes Gesicht, als der Vorsitzende ausführt, warum das Gericht nicht ihr, sondern dem Opfer Marco S. Glauben schenkt. V. hatte ihm auf der vergangenen Wiesn vor dem Käferzelt von hinten ein Messer in den Rücken gerammt. Dem Lkw-Fahrer musste die Milz entfernt werden, fast wäre er gestorben. V.s Verteidiger, die drei Star-Anwälte Annette Voges, Gerhard Strate und Steffen Ufer hatten auf Freispruch plädiert – V. hätte aus Notwehr gegen einen betrunkenen Marco S. gehandelt, der sie bedrohte.

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Doch die Kammer glaubt das nicht. V. hat ausgesagt, sie habe um Hilfe geschrien. Der Vorsitzende nimmt das auseinander: Keiner der Zeugen habe ihre Schreie gehört, doch die Beleidigungen, die Marco S. V. und ihren Begleitern entgegenschleuderte, die seien für alle hörbar gewesen. Riedmanns Schlussfolgerung: "Es gab keine Hilfeschreie."

Die Angeklagte sei "alkoholbedingt enthemmt" gewesen, aber nicht schuldunfähig. Sie habe das Messer aus ihrer Tasche genommen, es geöffnet, zugestochen. Davor habe sie sich noch bei einer Wiesn-Bedienung für den netten Abend bedankt. "Absolut kein Anhaltspunkt, dass da irgendwo eine Panik war", sagt Riedmann. Marco S. sei unbewaffnet gewesen, schon allein daran scheitere es, die Tat mit Notwehr zu erklären. Außerdem "Einen Stich von hinten sollte man da nicht erwarten."

Dass V. letztendlich wegen versuchten Totschlags verurteilt wurde, sei eine "engste Entscheidung" gewesen. Es gebe letzte Zweifel, dass die 34-Jährige die Arglosigkeit von Marco S. ausgenutzt hat, "ansonsten wären wir bei versuchtem Mord".

Richter-Schelte für die Verteidiger

Als der Vorsitzende Richter an diesem Punkt seiner Begründung angelangt ist, hat sich Simone V. wieder gefangen, wie versteinert sitzt sie da. Genauso ihre drei Anwälte.

Doch Riedmann ist noch lange nicht fertig. Er möchte nun ein paar allgemeine Bemerkungen machen, sagt er. Obwohl er das sonst nicht tue. Aber zu viel ist passiert in diesem Prozess und der Unmut darüber steht dem Vorsitzenden ins Gesicht geschrieben. Da ist nicht nur der gekaufte Zeuge, dem V.s Verlobter 200.000 Euro dafür geboten hatte, sie vor Gericht zu entlasten. Ein "Skandal" sei das.

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Da sei auch das Verhalten der Anwälte, die von Anfang an dem Gericht vorgeworfen hätten, befangen zu sein. Dagegen verwehre sich das Gericht. "Ich habe es in 27 Jahren noch nicht erlebt, dass Anwälte ihre professionelle Distanz zu ihrer Mandantin so verlieren." Das Gericht werde das an die jeweiligen Rechtsanwaltskammern weiterleiten. "Die Umstände verlangen nach Aufklärung." Es bestehe sogar ein Anfangsverdacht, dass sich die drei Anwälte strafbar gemacht haben.

Nach der Verhandlung. Die drei gescholtenen Anwälte Ufer, Voges und Strate stehen von Kameras umringt vor dem Verhandlungssaal. Seine Mandantin sei sehr geschockt, sagt Strate, spricht von "Anwalts-Bashing" und einem "unfairen Spiel". "Aber ich habe es erwartet, dass wenn Verteidiger aus Hamburg nach München kommen, diese hier nicht willkommen sind."

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