"Kein Problembewusstsein für Abtreibungen": Gynäkologe aus München äußert sich in der AZ

Der Bundestag hat über eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes beraten. Künftig sollen sogenannte Gehwegproteste mit Bußgeldern bestraft werden. In Bayern stoßen Betroffene jedoch auch auf andere Hürden.
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München - Die Ampelkoalition plant eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Am Mittwoch hatte der Bundestag erstmals über das Gesetz beraten, durch welches ungewollt Schwangere vor Belästigungen an Beratungsstellen und Kliniken geschützt werden sollen. In der Abendzeitung äußert sich eine Münchner Beratungsstelle und ein Gynäkologe zur Situation um Abtreibungen in Bayern. 

Pro Familia über Gehwegproteste: "Die Situation ist sehr problematisch"

Laut Christian Reisenberg, dem Geschäftsführer der Beratungsstelle Pro Familia München, finden regelmäßig  "Mahnwachen" vor der Einrichtung statt. Ziel dieser "Mahnwachen" ist es,  betroffene davon abzubringen, die Abtreibung durchzuführen. Oft sind die beteiligten Person religiös motiviert und stehen mit appellierenden Plakaten mit Bildern von Föten und Sprüchen wie "Ich will leben" vor den Einrichtungen. Reisenberg berichtet, dass diese Gehwegproteste "meist einmal monatlich" stattfinden.

"Diese Situation ist insbesondere für die hilfesuchenden Frauen sehr problematisch, aber auch für die Mitarbeiter:innen", so Reisenberg in der Abendzeitung. Aus diesem Grund versuche Pro Familia "die Terminvergabe so zu regeln, dass während der Mahnwachen möglichst keine Beratungstermine stattfinden". 

Gehwegproteste vor Beratungsstellen: "Manche Frauen sind verstört und verunsichert"

In Deutschland sind Abtreibungen nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar. Innerhalb der ersten zwölf Wochen sind diese jedoch straffrei und die Frau ist dazu verpflichtet, sich im Vorfeld bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle, wie etwa bei Pro Familia, beraten zu lassen. Das bedeutet, an den "Mahnwachen" führt so gut wie kein Weg vorbei. Reisenberg berichtet der Abendzeitung: "Wenn Frauen mit den Abtreibungsgegnern in Kontakt kommen, reagieren manche verstört oder verunsichert."

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Das geplante Gesetz soll Frauen vor genau dieser Art von Belästigung schützen, indem Aktionen wie etwa "Mahnwachen" mindestens 100 Meter Abstand um den Eingangsbereich der Beratungsstellen und Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, halten müssen. Ob das neue Gesetz wirklich sinnvoll ist, würde sich erst in der Praxis zeigen, so Reisenberg. Dennoch erhofft sich der Pro-Familia-Geschäftsführer dadurch "mehr Klarheit, auch für die Ordnungsbehörden vor Ort". 

Kaum Zugang zu Abtreibungskliniken in Bayern

Eine weitere Hürde, der ungewollt Schwangere besonders in Bayern begegnen, ist das mangelnde Angebot an Ärzten, die Schwangerschafts-Abbrüche durchführen. Laut der aktuellen Elsa-Studie (Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung), belegt Bayern in Sachen Zugang zu Stellen, die Abtreibungen vornehmen, bundesweit den letzten Platz.

Im Freistaat leben laut Berichten der dpa 20 Prozent der Menschen in einer Region, in der sie mehr als 40 Auto-Minuten zur nächsten Einrichtung brauchen. Das sind etwa 2,5 Millionen Einwohner. Reisenberg glaubt nicht, dass mehr Ärzte durch den Schutz des Schwangerschaftskonfliktgesetzes Abtreibungen anbieten werden.

Pro-Familia-Chef: "Abtreibungen sind ein Menschenrecht"

Der effektivste Weg sei, Schwangerschaftsabbrüche "außerhalb des Strafgesetzbuches" zu regeln. "Eine Legalisierung würde zwar nicht von heute auf morgen die Stigmatisierung von Abbrüchen beenden, wäre aber eine notwendige Bedingung dafür", so Reisenberg in der AZ. "Reproduktive Rechte müssen als Menschenrechte geachtet werden. Abbrüche sollten als das anerkannt werden, was sie sind: wichtige medizinische Leistung und eben nicht Straftaten", fordert er. "Dann würden auch mehr Ärzt:innen motiviert werden." Somit sei "mittelfristig eine bessere und gerechte Versorgung möglich".

Gynäkologe aus München: "Kein Problembewusstsein für Abtreibungen"

Laut dem Münchner Gynäkologen Friedrich Stapf beginnt das Versorgungsproblem in Bayern auch schon während der Ausbildung. Er sagt der Abendzeitung: "Solange Ärzt:innen während der Weiterbildung (fünf Jahre) zum Frauenarzt in bayerischen Kliniken, die fast alle keine Abbrüche machen,[...] nicht einmal Kontakt zu ungewollt schwangeren Frauen haben, wird noch nicht einmal ein Problembewusstsein für das Thema Abtreibung entstehen."

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In Schweden beispielsweise bekämen Ärzte keine Weiterbildungsstelle, wenn sie sich weigern, Abbrüche zu machen, so Stapf.  Die Grünen im Landtag Bayern haben aufgrund der Versorgungslage am Donnerstag einen Antrag gestellt, in dem sie unter anderem auch fordern, "Schwangerschaftsabbrüche fest in der medizinischen Ausbildung zu verankern".

Pro-Choice-Bündnis: "Abtreibungen gehören in den Lehrplan"

Auch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und das Pro Choice Bündnis München, fordern "Abtreibungen endlich auch in Bayern in den Lehrplan" einzuführen. Außerdem müsse "der Staat sicherstellen, dass in jeder Kommune genügend Angebot steht". Die beiden Bündnisse organisieren am  Samstag außerdem eine Pro-Choice-Gegendemonstration zum "Marsch fürs Leben". Am Marsch nahmen zuletzt neben Abtreibungsgegnern auch Akteure aus der extremen Rechten und der "Identitären Bewegung" teil.

Für die diesjährige Demo wurden die antifeministische Publizistin Birgit Kelle und die britische Anti-Abtreibungsaktivistin Isabel Vaughan-Spruce als Rednerinnen angekündigt. Die Pro-Choice-Demo richtet sich gegen den Marsch fürs Leben und soll "ein Zeichen für Selbstbestimmung und Freiheit setzen", so die Organisator:innen.

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  • Der wahre tscharlie am 13.04.2024 19:08 Uhr / Bewertung:

    ".....Angebote der Beratung und Versorgung), belegt Bayern in Sachen Zugang zu Stellen, die Abtreibungen vornehmen, bundesweit den letzten Platz."
    Okeeyy......

    Auf Frauen, die abtreiben wollen, auf dem Weg zum Arzt durch die "Gehweg-Belästigungen" noch zusätzlichen psychischen Druck auszuüben, geht garnicht.
    In den USA ist das ja ganz schlimm mit diesen Vereinen.

    Jahrelang haben die Frauen für das Recht auf Abtreibung gekämpft und jetzt kommen solche Vereine und wollen die Zeit wieder zurückdrehen.
    Die FRau entscheidet, ob sie abtreiben will oder nicht. Aus welchen Gründen auch immer. Keine Frau macht sich diese Entscheidung leicht.
    Und kein Verein der Welt, oder Politiker, zu 90% sind es auch noch Männer, kann Frauen dazu "zwingen", Kinder auszutragen.

  • Newi83 am 13.04.2024 11:48 Uhr / Bewertung:

    AZ bitte weiter berichten, wenn das Verbot von Gehwegprotesten kommt, ob dann die Söder-und Herrmann Keule genauso knallhart kommt wie gegen Kiffer und Genderer. Bitte dann auch die 100 Meter genau nachmessen, sonst gleich bei € 1000 anfangen.

  • am 13.04.2024 07:13 Uhr / Bewertung:

    Proteste, Demonstrationen, Aktionen von „Aktivisten“ – alles nur noch erlaubt von „den Richtigen“. Das ist eben gelebte Demokratie.

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