Irrer Prozess: 92-Jährige mit Handschellen gefesselt

Eine 92-jährige Münchnerin saß auf der Anklagebank, weil sie in einer anderen Angelegenheit den Justizpalast einfach nicht verlassen wollte und später sogar eine Polizistin verletzte. Ihre Erklärung fällt äußerst kurios aus.
von  John Schneider
Anna K. auf der Anklagebank des Amtsgerichts.
Anna K. auf der Anklagebank des Amtsgerichts. © jot

Eine 92-jährige Münchnerin saß auf der Anklagebank, weil sie in einer anderen Angelegenheit den Justizpalast einfach nicht verlassen wollte und später sogar eine Polizistin verletzte. Ihre Erklärung fällt äußerst kurios aus.

München – Als wär’s eine Episode aus „München 7“: Eine alte Dame (92) weigert sich am 16. März standhaft den Justizpalast zu verlassen (hier geht's zum Bericht von damals), bevor sie nicht in einer Zivilangelegenheit mit einem bestimmten Richter gesprochen hat. Doch der ist gar nicht da.

Drei Stunden lang reden Richter und Justizwachleute auf Anna K. (Name geändert) ein, doch bitte, bitte zu gehen. Haus- und Platzverbote werden erteilt, schriftlich niedergelegt und der Frau präsentiert. Ohne Erfolg. Sie zerknüllt das Papier nur und wirft es weg.

Als die Justizbeamten nicht mehr weiter wissen, rufen sie die Polizei. Zwei junge Polizisten (23, 27) der PI 11 kommen. Auch die versuchen es eine Dreiviertelstunde mit gutem Zureden. Die 92-Jährige wird sogar mit Wasser und einem fahrbaren Bürostuhl versorgt.

 

Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte

 

Dann eskaliert die Situation. Die Frau habe ihren Gehstock geschwungen, berichten die Zeugen. Laut Anklage konnte eine Polizistin ausweichen. Weil sich Anna K. aber immer noch weigerte, das Gebäude zu verlassen, entschließen sich die Beamten der Frau Handschellen anzulegen. Dabei kratzt Anna K. die Polizistin am Handrücken. Aber auch sie verletzt sich bei der Fesselungs-Aktion, erleidet schmerzhafte Blutergüsse an den Handgelenken. Anna K. wird in die Hochbrückenstraße aufs Revier gebracht, wo sie sich beruhigt.

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Doch die Sache hatte jetzt ein Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen die Frau wegen des Versuchs der gefährlichen Körperverletzung, der Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Zwar hatten die Ankläger angeboten, das Verfahren gegen eine Spende für eine gemeinnützige Organisation einzustellen. Doch Anna K. weigerte sich, das Angebot anzunehmen. „Wem ich was schenke, bestimme ich selber“, sagt sie selbstbewusst.

 

Vor Aufregung in die Hose gemacht?

 

Am Dienstag setzte sich die inzwischen 93-Jährige deswegen lieber neben ihre Verteidiger Katharina Claussen und Herbert Löffler und als ihr das Wort erteilt wird, wartet sie mit einer überraschenden Erklärung auf. Sie habe sich damals vor Aufregung in die Hose gemacht und habe aus diesem Grund den Justizpalast nicht verlassen können und wollen.

Spätestens an dieser Stelle wünschten sich die Prozessbeobachter, dass „München 7“-Polizeihauptmeister Xaver Bartl am 16. März im Justizpalast aufgetaucht wäre. Der hätte die alte Dame beiseitegenommen, sanft auf sie eingeredet – bis sie ihn ins widerstandslos auf eine Tasse Tee ins Café nebenan begleitet hätte.

 

Nachsicht mit dem "Altersstarrsinn"

 

Am Ende gibt es zwei Tage vor Heiligabend auch am Gericht noch ein Happy End. Als Richter Josef Bonkamp bei der sachverständigen Psychiaterin nachhakt, erklärt diese, dass Anna K. zwar allgemein geistig fit ist – von einem „gewissen Altersstarrsinn“ mal abgesehen – zur Tatzeit möglicherweise aber dennoch nicht schuldfähig gewesen sei. Schmerzen, Stress, Angst vor den Uniformen haben die alte Dame in der Situation vielleicht überfordert.

Möglicherweise schuldunfähig – das reicht den Beteiligten. Der Staatsanwalt plädiert auf Freispruch. Die Verteidiger sowieso. Der Amtsrichter muss auch nicht lange überlegen und schließt sich an. Anna K. verlässt daraufhin ganz friedlich an der Hand ihrer Verteidigerin das Strafjustizzentrum. Ein schönes Bild.

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