Hungerstreik am Sendlinger Tor: Es wird ernst

Montagnacht werden die ersten Flüchtlinge in Krankenhäuser eingeliefert. Am Dienstag kollabiert ein weiterer. Die Staatsregierung setzt auf Härte.
Natalie Kettinger |
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Das Camp der Flüchtlinge am Sendlinger Tor. Sie sind seit Samstag im Hungerstreik.
Daniel von Loeper Das Camp der Flüchtlinge am Sendlinger Tor. Sie sind seit Samstag im Hungerstreik.

München - Die Lage im Hunger-Camp am Sendlinger Tor spitzt sich zu: In der Nacht zum Dienstag mussten die ersten beiden Flüchtlinge in Krankenhäusern behandelt werden. Gestern Mittag kollabierte der dritte Asylbewerber.

Und während Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den Demonstranten einen Dialog „auf kommunaler, Landesebene und nationaler Ebene“ anbietet, wenn sie den Hungerstreik abbrechen, setzt die Staatsregierung auf Härte. Für Gespräche gebe es keinen Anlass, sagten Innenminister Joachim Herrmann und Staatskanzleichef Marcel Huber (beide CSU): „Ein Rechtsstaat kann sich nicht erpressen lassen.“

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Der erste Notruf sei am Montagabend gegen 23 Uhr bei der Leitstelle eingegangen, sagte KVR-Sprecherin Kristin Nettelnbrecher der AZ. Eine Privatperson hatte den Notarzt wegen eines Flüchtlings mit hohem Fieber alarmiert. Etwas später musste der Rettungswagen erneut ausrücken. Diesmal, um Adeel, den Sprecher der Streikenden abzuholen.

„Ich habe meine Arme und meine Hände nicht mehr gespürt, alles war taub“, erzählt der 25-Jährige, der am Dienstag ins Camp zurückgekehrt ist. „Die Ärzte haben mich die ganze Nacht durchgecheckt, aber nichts gefunden.“ Er ist schwach, will aber weiter hungern. „Ich bin am Leben – und immer noch stark genug, um zu kämpfen.“

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Auch der zweite Notfall-Patient ist längst wieder zurück im olivgrünen Zelt, das die Flüchtlinge am Samstag direkt vor der Matthäuskirche aufgebaut und nun um einen weißen Pavillon ergänzt haben. Mittlerweile hungern dort 34 Menschen aus Afrika, Asien und verschiedenen arabischen Ländern, auch eine Frau ist jetzt dabei. Sie fordern ihre Anerkennung als politisch Verfolgte und damit ein Bleiberecht in Deutschland.

Am Dienstagmittag kollabiert ein weiterer Flüchtling. Er bricht zusammen, als er versucht aufzustehen, ringt um Luft und ist nicht mehr ansprechbar. Wieder muss der Rettungsdienst kommen. Auf einem Schild vor den Zelten bitten die Flüchtlinge um Wärmflaschen, Handwärmer, Voltaren und warme Decken – und um die Unterstützung von Medizinern, die bereit sind, sie während des Hungerstreiks zu betreuen.

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„Wir sind alle müde, krank und haben Schmerzen. Aber das ist kein Grund aufzugeben“, sagt Muhammad. Der 22-Jährige war im Sommer 2013 bereits unter den Demonstranten auf dem Rindermarkt, diesmal hat er die Versammlung mitangemeldet. „Irgendwann werden wir unsere Freiheit und unsere Rechte bekommen“, glaubt er.

Im vergangenen Jahr hatten die Flüchtlinge ebenfalls ihre Anerkennung gefordert – und zuletzt auch die Flüssigkeitsaufnahme verweigert. Und diesmal? „Wir denken darüber nach“, sagt Muhammad. „Es ist aber noch nichts entschieden.“

Die Versammlung am Sendlinger Tor ist bis 1. Dezember genehmigt. Wie lange Stadt und Freistaat die Flüchtlinge gewähren lassen, hängt vor allem von deren Gesundheitszustand ab. Innenminister Joachim Herrmann spricht zwar noch nicht von einer Räumung des Camps durch die Polizei wie im Juni 2013.

Er lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass die Behörden einschreiten werden, bevor die Teilnehmer des Hungerstreiks ihr eigenes Leben gefährden: „Es ist klar, dass wir alles dafür tun werden, dass nie wieder eine solche lebensgefährliche Situation entsteht.“

An dem „trockenen“ Hungerstreik auf dem Rindermarkt hatten rund 50 Frauen und Männer teilgenommen. Nach der Räumung des Camps wurden 44 Demonstranten in Krankenhäuser eingeliefert. Vier lagen im Koma, einer musste wiederbelebt werden.

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