Historische Münchner Kriminalfälle: Mörderische Kinderbande
München - In München leben nach dem Krieg 45 Prozent der Bevölkerung, die durch Flüchtlinge und Heimkehrer wieder auf 550.000 angewachsen ist, von Renten oder anderer Unterstützung.
1950: Warum Kinder und Jugendliche sittlich gefährdet sind
Im Oktober 1950 meldet ein Verein Bayerische Jugendhilfe dem Stadtrat in einer Untersuchung: 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind wegen unzureichender Erziehung, ihrer Umgebung oder anderer "trauriger Zeiterscheinungen" sittlich gefährdet.
Andreas Altnöder vom Stadtschulamt nennt mir die Ursachen: Wohnungsnot, wirtschaftliche und soziale Mängel, jugendgefährdende Filme, Magazine und Radio. Die ethischen Anschauungen seien brüchig geworden.
Altnöder: "Während sich die Verwahrlosung bei den männlichen Jugendlichen in der kleinkriminellen Sphäre bemerkbar macht, wirkt sie sich bei den Mädchen nach der sittlichen Seite hin aus."
Hugo Werner gründet mit 13 den "Panther-Bund"
Die blutjunge Abendzeitung spiegelt die Zustände ungeschminkt wider. Der damalige Polizeireporter Rudolf Crusius und Gerichtsberichterstatter Helmuth Guthmann - sowie die 340 Beamten der Münchner Kriminalpolizei - haben alle Hände voll zu tun.
München, Klein-Chicago. Halbwüchsige haben pseudo-professionelle Verbrecherbanden gebildet. Eine wird Polizei, Justiz und Medien lange beschäftigen: die Pantherbande. Sie hat sich nach dem Modell des anbrechenden Kapitalismus organisiert. Und hat einen Anführer nach Manager-Muster.
Hugo Werner war 13 Jahre alt und ein Musterschüler, als er 1943 im Kinderlandverschickungslager Aindling mit sieben Gleichaltrigen den "Panther-Bund" gründete. Was damals nur eine Spielerei war, wurde nach dem Krieg zum bitteren Ernst. Ein Pfadfinderführer verleitete die Jungen zum Schwarzhandel. Diebstähle und Einbrüche folgten.
Bis zur Währungsreform hatten alle schon Zeit im Knast verbüßt. Aber bereits im Gefängnis schmiedete Werner, der Intelligenteste und Verwegenste, Pläne für größere Coups.
Nach der Entlassung aus den Strafanstalten, im Frühjahr 1948, fanden sich die acht Halbwüchsigen im Englischen Garten zusammen, "um den Geheimbund der Panther offiziell neu zu gründen". Eine schriftliche "Satzung" verpflichtete alle Mitglieder zu unbedingtem Gehorsam gegenüber dem gewählten Führer. Artikel 3 bestimmte: "Auf Verrat steht Tod." Als Ziel der Bande proklamierte Werner die "Erreichung eines sicheren, alle Mitglieder zufriedenstellenden Lebensstandards, unter Zuhilfenahme aller gesetzlichen und ungesetzlichen Mittel".
Kleinere Überfälle sollten das "Betriebskapital" einbringen
Durch Beutezüge wollte Werner, laut Anklage, "circa 1 bis 1,5 Millionen Mark zusammenrauben", die in eine "Bundeskasse" abgeführt und in Aktien und Grundstücken angelegt werden sollten.
Jedes Mitglied hatte eine Stimme bei den Versammlungen, die regelmäßig im Englischen Garten unter der Bezeichnung "Forum" stattfanden. Außerdem musste sich jeder verpflichten, dass er einer festen Arbeit nachgeht, keine Kriminalfilme ansieht und keine Schundromane liest.
Kleinere Überfälle sollten das "Betriebskapital" einbringen. Wochenlang wurden Banken, Geldtransporte und Totostellen bespitzelt. Der 18-jährige Richard Schaider, der als Kind beim Spielen mit einer Brandbombe ein Auge und die rechte Hand verloren hatte, sollte Hinweise geben, denn er arbeitete als Kassenbote bei einer Transportgesellschaft.
Wochenlang bespitzeln sie Geldtransporte, Banken und Totostellen
Das erste Opfer war der Zigarrenhändler Josef Gassner. Am 30. Januar 1951 überfielen Werner und sein Kumpan Michael Wieland den alten Mann in seinem Schwabinger Kiosk, streckten ihn durch einen Schuss in den Oberschenkel nieder und flüchteten ohne nennenswerte Beute. Die Funkstreife suchte vergeblich.
Schon 20 Tage später landeten die "Panther" ihren nächsten Coup. Mit einem geraubten Taxi fuhren Werner, Wieland und der Chauffeur Dietz zum Hauptzollamt in der Sophienstraße. Als der Kassenbote Martin Plenagl das Gebäude am Alten Botanischen Garten verließ, wurde er von zwei der Burschen angefallen. Er presste die Geldtasche fest an sich, da durchbohrte eine Kugel seine Hüfte. Wieder blieb die polizeiliche Fahndung erfolglos.
Die Kugel durchschlägt das Holz und trifft den Gärtner tödlich
Im Oktober 1951 stieß ein neuer Mann zur Bande: der 21-jährige Mechaniker Erich Reutner, der auf eine beachtliche Einbrecherpraxis zurückblicken konnte.
Er hatte auch gleich ein paar lohnende Tipps parat: "In der Pension Lenrich in Geiselgasteig, wo nur Filmleute verkehren, müssten mindestens 3.000 Mark hergehen." Außerdem seien bei seinem Onkel, dem Gärtner Augustin in Harlaching, runde 10.000 Mark zu holen.
Am Abend des 14. Oktober drangen Werner, Reutner und "Schläger" Kluge mit Gesichtsmasken, Handschuhen und schussbereiten Revolvern in die Pension ein und sperrten die Gäste in den Weinkeller. Dem Geschäftsführer wurde ein Küchenmesser an die Kehle gesetzt. Dann durchwühlten die Räuber das ganze Haus und zogen mit nur 320 Mark Bargeld und etwas Schmuck wieder ab.
Eine Viertelstunde später klingelte es bei Gärtnermeister Augustin in Harlaching. Der alte Mann erspähte durch den Türschlitz zwei vermummte Gestalten und warf sich sofort von innen gegen die Haustüre. Schon krachte ein Schuss. Die Kugel durchschlug das Holz und traf den Gärtner tödlich. Die Mörder - einer von ihnen Augustins Neffe - flohen über den Gartenzaun und verschwanden.
Drei Tage darauf hörten die Besucher eines Augsburger Kinos während eines Kriminalfilms plötzlich drei Schüsse, die nicht zur Handlung gehörten. In der Toilette lag ein junger Mann in seinem Blut. Es war Reutner, der einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Im Krankenhaus legte er im November 1951 vor den Beamten der Mordkommission ein Geständnis ab, wenige Tage später konnte die Bande ausgehoben werden.
Die Bande ging brutal gegen jeden vor, den sie als Verräter sahen
Seitdem arbeitete die Staatsanwaltschaft an den Ermittlungen. Zynisch, angeberisch, ohne eine Spur von Reue gaben die Burschen ihre Verbrechen zu Protokoll. Dabei stellte sich heraus, dass Werner früher schon zwei Bandenmitglieder "liquidiert" hatte.
Im November 1946 war der 24-jährige Albrecht Sticht vom "Forum" auf Vorschlag Werners "zum Tode verurteilt" worden. Sticht stand dem von Werner geplanten "Zusammenschluss" der Pfadfindergruppe des Jochheim mit der "Pantherbande" im Wege. Das Femeurteil wurde von Kluge in einem Ruinenkeller vollstreckt.
Der zweite später geklärte Mord geschah am 13. August 1949. Das Bandenmitglied Alois Lechhart wurde von seinem "Führer" Hugo Werner in den Isarauen mit einem Karabiner hinterrücks niedergeschossen. Lechhart war drei Jahre vorher bei einem gemeinsamen Einbruch verhaftet worden und hatte nach der Festnahme seine Mittäter angegeben. Nach seiner Entlassung wollte er sich nun zur Fremdenlegion melden, was Werner als "Verrat an unserem Bund" bezeichnete und ihn umbrachte.
Am 11. Mai 1953 beginnt vor dem Münchner Schwurgericht der Prozess gegen eine der gefährlichsten Verbrecherbanden Nachkriegsdeutschlands, wie die Zeitungen melden. Auf 39 Seiten hat Staatsanwalt Oechsner die Anklage gegen die acht Burschen zusammengefasst, Ihnen werden drei Morde, drei Mordversuche, mehrere Raubüberfälle und zahlreiche Einbrüche zur Last gelegt.
Werner spielt vor Gericht den coolen Gangsterboss
Die Angeklagten erscheinen als das erschreckende Extrem einer gefährdeten Nachkriegsjugend, die jedes Maß für Gut und Böse verloren hat. Hugo Werner spielt vor Gericht eine Filmrolle: den coolen Gangsterboss.
Das Urteil wird am Pfingstsamstag 1953 verkündet: lebenslängliche Zuchthausstrafe für Hugo Werner und zwei weitere Haupttäter, zwei bis zehn Jahre für die übrigen fünf Angeklagten.
Umweltbedingungen, verderbliche Einflüsse aus der NS-Zeit und die Not der Nachkriegsjahre mit mangelhafter Erziehung durch das Elternhaus hätten die Entwicklung dieser Bande gefördert, stellen die Richter fest, sie meinen aber: Selbst Hugo Werner könnte, falls er seine Einstellung zum Leben seiner Mitmenschen ändere, im Laufe der Zeit noch gebessert werden.
Schon 1960 wird der erste Kinofilm über die Pantherbande gedreht
Tatsächlich mausert sich der ehemalige Musterschüler zum Musterhäftling. Er macht im Zuchthaus Straubing eine Druckerlehre sowie das Abitur, das er mit einer Traumnote abschließt. Nach 20 Jahren Haft wird er 1973 von Ministerpräsident Alfons Goppel begnadigt und freigelassen. Schon 1960 wird der erste Kinofilm über die Pantherbande gedreht: "Am Tag, als der Regen kam"; Werner wird von Mario Adorf gespielt.
Karl Stankiewitz: Von Anfang an dabei
Als 1948 die Abendzeitung gegründet wurde, war Karl Stankiewitz dabei. Im Oktober 1947 hatte der damals 19-Jährige bei der "Süddeutschen Zeitung" sein Volontariat begonnen. Im Juni 1948 wechselte er zu der damals ganz neuen Abendzeitung als Reporter und Redakteur und schrieb später unter anderem für den "Spiegel" und den "Stern".

Heute, mit nun 92 Jahren, schreibt er wieder und immer noch für die AZ. Für die AZ-Kriminalserie hat sich unser ältester Reporter wieder an spektakuläre Fälle von damals erinnert, mit Experten, Zeugen und ehemaligen Kollegen gesprochen und in seinem Archiv recherchiert.