Haus in der Fraunhoferstraße in München soll verkauft werden: Pläne des Vermieters machen Mietern Angst
München - In dem Jahr, in dem Hildegard Lindner ihre Wohnung bezog, wurde die erste E-Mail der Welt verschickt. John Lennon veröffentlichte sein weltbekanntes Lied Imagine, die Sendung mit der Maus wurde erstmals ausgestrahlt. Und an der Fraunhoferstraße floss noch ein kleiner Bach vorbei, der inzwischen seit langer Zeit trockengelegt ist, erinnert sich die Münchnerin.
Es war das Jahr 1971, Lindner war eine junge Frau. Heute ist sie 88 Jahre alt und lebt noch immer in ihrer Wohnung an der Fraunhoferstraße 41. Doch seit einiger Zeit herrscht Unsicherheit über die Zukunft des alten Gebäudes. Denn der Eigentümer will das Haus verkaufen – offensichtlich ohne Wissen der Mieter. Informiert hat er sie über seine Pläne jedenfalls nie, wie sie sagen.

Mieter in der Fraunhoferstraße erfahren vom Kaufvertrag durch die Stadt München
Erfahren haben sie von dem bereits bestehenden, aber noch nicht verbrieften, Kaufvertrag stattdessen durch die Stadt. Ende Mai sei das Wohnungsamt auf sie zugekommen und habe ihnen von dem Vorhaben des Eigentümers berichtet, sagt Mieter Philipp Benke. Von da an begann der Kampf, denn die Bewohner fürchten, dass sie langfristig aus dem Haus vertrieben werden sollen.Hinnehmen wollen sie das nicht einfach so. "Ich wohne hier seit fast 53 Jahren", sagt Hildegard Lindner, "und ich ziehe auch nicht mehr aus".
Ähnlich wie der 88-Jährigen geht es vielen der insgesamt zwölf Mietparteien. Die meisten wohnen seit Jahren oder gar Jahrzehnten in der Fraunhoferstraße 41. Sie alle sind dementsprechend fest im Haus und im Viertel verwurzelt. Simone Schäffer etwa hat fast ihr gesamtes bisheriges Leben in dem Haus verbracht. Sie wohnt seit 50 Jahren hier, ist mit gerade einmal drei Jahren mit ihren Eltern eingezogen. Die Eltern zogen irgendwann wieder aus, doch Schäffer ist geblieben.
Mieter in München: Erinnerungen an die Fraunhofer Schoppenstube
Elfi Scherf zog 2004 mit ihren Töchtern in das Haus. Philipp Benke lebt seit 18 Jahren dort. Seine mittlerweile 19-jährige Tochter ist an der Fraunhoferstraße aufgewachsen, besuchte den Kindergarten unweit der Wohnung. "Sie hat sich immer standhaft geweigert, die vielen Treppen nach oben zu laufen, also habe ich sie getragen."
Die meisten Bewohner erinnern sich noch gut an die Fraunhofer Schoppenstube, die bis vor zehn Jahren unten im Haus angesiedelt war und lange eines von wenigen Lokalen war, die noch weit nach Mitternacht geöffnet hatten. Bis in die Morgenstunden wurde dort gefeiert, erzählt Benke. Die Musik schallte durch das gesamte Haus und war auch ganz oben in seiner Wohnung noch zu hören. "Vielleicht war die Miete deshalb so günstig", sagt er und lacht. Gestört hat es ihn nie, sagt Benke, er habe selbst gerne Musik gemacht.

Mit neuem Vermieter findet keine Kommunikation mehr statt
Früher habe es mit dem damaligen Vermieter auch keine Probleme gegeben, sagen die Bewohner – er habe sogar noch selbst den Hof gefegt und sich um das Haus gekümmert. Doch seit sein Sohn die Verwaltung übernommen hat, finde so gut wie keine Kommunikation mehr statt. Die Bewohner haben den Eindruck, ihrem Vermieter egal zu sein, sagen sie. Auch auf eine Anfrage der AZ reagierte der Eigentümer nicht.
Die Verschlossenheit verstehen die Mieter nicht. "Es ist absurd, dass er nicht mit uns redet", sagt Benke. Kurz nachdem die Stadt sie über den Kaufvertrag informiert hatte, sprach der Vermieter doch mit Benke. Aber kein Wort über die Zukunftspläne. "Er lügt uns ins Gesicht."
Statt direkt mit den Bewohnern zu reden, schickt der Vermieter Immobilienmakler, die die einzelnen Wohnungen besichtigen wollen. Bestimmt fünf Mal wurde Benke eigener Aussage nach schon von einem von ihnen angerufen. "Ich wimmele ihn immer ab." Seit rund zwei Monaten holen die Mieter nun unermüdlich Informationen ein – beim Mieterstammtisch, beim Grundbuchamt, bei der Stadtpolitik. Dabei haben sie viel erfahren.
Teile des spätklassizistischen, im Jahr 1875 errichteten Eckbaus stehen unter Denkmalschutz. Das Haus befindet sich in einem Gebiet, für das eine Erhaltungssatzung gilt. Es ist also besonders geschützt.
Die Mieter der Fraunhoferstraße wollen Geschlossenheit zeigen
Die Bewohner können sich daher nicht vorstellen, welche Pläne der zukünftige neue Eigentümer – ein Investor aus Niederbayern – mit dem Haus verfolgt. Denn die Erhaltungssatzung regelt Umbauten streng. Änderungen wie ein Dachausbau oder der Einbau eines Aufzugs sind nicht zulässig. Nur Balkone könnten angebracht werden, und dann dürfte die Miete erhöht werden. Entsprechende Bauanträge seien jedoch bislang noch nicht eingegangen, das haben die Mieter beim Bezirksausschuss erfragt.
In jedem Fall geben die Mieter nicht auf, wie Benke sagt. "Wichtig ist, dass wir Geschlossenheit zeigen." Das tun sie in jedem Fall, der Zusammenhalt ist groß an der Fraunhoferstraße 41. "Wir wollen uns weiter wehren", kündigt Benke an.
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