Guhl: "Ich bin mir anfangs schon oft überflüssig vorgekommen"

Vor drei Jahren hat Gerti Guhl ihr legendäres Lokal, die Schoppenstube, aufgeben müssen. Heute wird sie 69 – und ihr Lebensrhythmus ist noch der gleiche von früher. Die AZ hat sie im (Un-)Ruhestand besucht.
Tina Angerer |
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Heute ist es ein Möbel-Laden – darin befand sich früher ihr Lokal. „Wenn ich die Schoppenstube noch hätte“, sagt Gerti Guhl, „dann würde ich da drinstehen.“
Daniel von Loeper Heute ist es ein Möbel-Laden – darin befand sich früher ihr Lokal. „Wenn ich die Schoppenstube noch hätte“, sagt Gerti Guhl, „dann würde ich da drinstehen.“

München - Lange schaut Gerti Guhl nicht hin, sie dreht dem Haus, das vier Jahrzehnte ihre Wirkungsstätte war, den Rücken zu.

Da, wo früher die „Fraunhofer Schoppenstube“ war, ist jetzt ein Laden für Retro-Möbel. „Ich war einmal drin und bin heulend wieder raus“, erzählt sie.

Im Sommer ist es drei Jahre her, dass ihr Kultlokal schließen musste, weil der Mietvertrag nicht verlängert wurde. Drei Jahre ist es her, dass aus Gerti, der Vollblutwirtin, der Nachtarbeiterin, der Entertainerin, der Geschäftsfrau, der Chefin, unfreiwillig eine Rentnerin wurde.

Zahlreiche prominente Unterstützer

Bis zuletzt hatten sich viele Prominente, darunter Christian Ude und Udo Wachtveitl, für Gerti eingesetzt, haben sie bei der Suche nach einem neuen Lokal unterstützt – weil die Schoppenstube für sie mehr war als eine Kneipe: Sie stand für Originalität, Herzlichkeit und Vielfalt in der gestylten Metropole.

Viele haben sich damals Sorgen um Gerti gemacht, fragten sich, wie sie das wohl verkraften wird. „Ich bin mir anfangs schon oft überflüssig vorgekommen“, sagt Gerti beim Gang durch ihr altes Viertel. Sie nennt die Dinge beim Namen, ohne verbittert zu wirken. Sie lächelt viel, so wie sie es immer getan hat, und ihre Augen, die lachen immer mit.

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Obwohl sie außerhalb wohnt, ist sie immer noch viel in München unterwegs. Sie sagt an: „Wir gehen ins Maximilian, das haben sie schön gemacht, und das Essen ist auch gut.“ Auch Pfarrer Rainer Maria Schießler ist in dem Wirtshaus, das nur unweit von dessen Wirkungsstätte, der Maximilianskirche steht.

Auf die alten Tage in die Kirche

Gerti lobt den Pfarrer in den höchsten Tönen, weil er „die Leute zammbringt und in der Kirche auch mal gelacht wird“. Fast flüsternd fügt sie an: „40 Jahre bin ich nie rüber in die Maximilianskirche. Jetzt auf meine alten Tage fang ich damit an.“ Die Leute zusammengebracht, das hat sie letztlich auch immer, Junge und Alte, Künstler und Lebenskünstler, Touristen und Alteingesessene.

Wenn sie Schießler predigen hören will, muss Gerti sich telefonisch von einer Freundin wecken lassen. „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ war eines der Lieder bei ihr – bei Gerti gilt das bis heute – und zwar nicht immer freiwillig. Sie schlafe etappenweise, „nachts um drei bin ich meistens wach“. Da stand sie früher in der Kneipe, balancierte Gläser durch die dicht gedrängten Menschen. Oft hatte sie bis fünf Uhr auf, bis die Kneipe sauber war und sie ins Bett kam, war es oft neun Uhr morgens.

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Ein Leben voller Arbeit. „Früher habe ich acht Tage im Jahr Urlaub gemacht, aber nicht am Stück.“

In der Rente hat sie eine Kreuzfahrt gemacht, das war ein Lebenstraum. Inzwischen fährt sie immer nur ein paar Tage weg, besucht Freunde, in Franken oder in Österreich. „Ruhestand“ ist nicht Gertis Modus, sie will sich zeigen – und sie will helfen.

Das Interieur der Kneipe hat sie zugunsten der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München versteigert, sie hat einen Charity-Fußballtag mit Promis veranstaltet und selbst mitgekickt.

Neues Hobby entdeckt

Und sie hat jetzt ein neues Hobby: Sie spielt Schach, mindestens einmal in der Woche beim Schachclub 1836. „Ich red ja sonst gnua“, sagt sie und lacht. Voller Bewunderung erzählt sie von den „hochintelligenten Männern“, die dort spielen. „Ich bin natürlich nicht so gut, aber es macht mir Spaß“.

Im vergangenen Jahr ging es Gerti nicht so gut, sie musste eine OP hinter sich bringen. Heute ist ihr 69. Geburtstag, und sie sieht blendend aus. Sie tut sich bewusst Gutes, geht viel spazieren, und einmal pro Woche macht sie Yoga. „Das bringt mir Entspannung.“ Schon nach dem Tod ihres Mannes Werner 2007, als es ihr sehr schlecht ging, hat sie damit angefangen.

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Damals ist auch ein Stück Schoppenstube gestorben, denn Werner hat jahrzehntelang Musik gemacht in der Kneipe, mit ihm sangen die Gäste Seemannslieder.

"Wir konnten die Leute glücklich machen"

„Ein Zentrum der Geselligkeit, Liebe und Gesundheit“, nennt Gerti ihr Lokal noch heute. Und wer sich da wundert über eine Boazn als Zentrum der Gesundheit, dem erklärt Gerti: „Ich spreche von der seelischen Gesundheit. Wir konnten die Leute glücklich machen.“

Sie hat selbst stets nur passiv geraucht und nie getrunken. „Eine Wirtin, die bsoffn hinterm Tresn steht, das geht gar nicht.“ Von ihren Gästen spricht sie immer mit Respekt. „Die haben Freud und Leid bei mir geteilt. Männer, die gerade Vater geworden waren, Menschen, die eine Ehekrise hatten, Leute, die Diplom oder Geburtstag gefeiert haben. Menschen, die die ganze Woche hart gearbeitet hatten, die haben sich bei mir entspannt.“ Gerti hat keine Kinder, die Kneipe war ihre „Ersatzfamilie.“

Viele ihrer Freunde hat sie in der Schoppenstube kennengelernt – einsam ist sie heute nicht. Auch junge Künstler und Musiker gehören dazu, die in ihrer Kneipe auftraten. Wie zum Beispiel die Gstanzl-Sängerin Liesl Weapon, die unter anderem ihre Kollegen von der „Schicksalscombo“ einst bei Gerti traf. „Ich war die Hebamme der Schicksalscombo“, sagt Gerti stolz.

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Liesl gehört heute zu Gertis engsten Freunden. Sie nimmt sie viel mit ins Nacht- und Kulturleben. „Wenn man mit ihr unterwegs ist, muss man aufpassen, dass sie nicht anfängt, die Gläser abzuräumen und den Laden zu übernehmen“, erzählt Liesl. Gerti hatte immer davon geträumt, eine junge Nachfolgerin für ihre Kneipe zu finden. „Ich wollte mein Lebenswerk, und auch das vom Werner, schon gerne weitergeben“, sagt sie. „Und ich sehe leider in ganz München nichts, was eine vergleichbare Atmosphäre hätte. Die Leute brauchen doch sowas.“

"Alles, was ich heute mache, das sind Ersatzbefriedigungen"

Auf dem Weg zur U-Bahn spricht sie ein älterer Herr an. „Mensch Gerti, ich komme gerade aus Dortmund. Und jetzt bin ich in München und frag mich jeden Abend, wo ich hin soll.“ Solche Begegnungen machen sie traurig. „Wir brauchen nicht drumrumreden. Alles, was ich heute mache, das sind Ersatzbefriedigungen. Wenn ich die Schoppenstube noch hätte, würde ich da drinstehen.“

Doch lange hängt Gerti, die Stehauffrau, solchen Gedanken nicht nach. Sie geht in der Fraunhoferstraße in einen Blumenladen und kauft ein bisschen Frühling ein, orangefarbene Rosen. Für die Heimfahrt holt sie ihr Sudoku aus der Handtasche. Und bald geht sie ihrer Berufung wieder nach – für einen Abend.

Zweimal im Jahr lässt sie beim Schoppenstuben-Abend mit ihren Musiker-Freunden das alte Flair in anderen Räumen aufleben, mit neuer Musik und mit Werners Liedern, diesmal im Fraunhofer

Dann wird sie ganz die Alte sein, eine Kraft und Lebensfreude ausstrahlen, der sich kein Gast entziehen kann. Zwei Dinge sind gewiss: Es wird wenig geschlafen in dieser Nacht – und es wird enger werden als in den allermeisten Kirchen.

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