Gegen rechts: Bei OB Reiters erstem Demokratie-Dialog in München lief längst nicht alles rund
München – Vielleicht ist das die Szene, die das Problem des städtischen Handelns gegen Rechtsextremismus am einfachsten verdeutlicht: Im kleinen Rathaus-Sitzungssaal treffen sich am Montagabend auf Einladung des Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) rund 40 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um über Demokratie und Rechtsextremismus zu sprechen.
Gleichzeitig trifft sich in einem kleinen Rathaus-Raum in der Dienerstraße, zwischen Crêpe- und Hutladen, die Initiative "München erinnern". Das ist die Initiative von Angehörigen, Überlebenden und Unterstützern, die den OEZ-Anschlag von 2016 in Erinnerung halten möchte.
OB-Dialog gegen Rechtsextremismus in München: Reaktion auf Lichtermeer und Großdemo gegen rechts
Mit der Einladung zum Dialog reagiert der OB auf die beiden großen Demonstrationen gegen rechts von Januar und Februar. Und auf die vielerseits geäußerte Kritik, dass das "Bündnis gegen rechts" von Alt OB Ude (SPD) nach seiner Amtsübergabe an Reiter vor fast zehn Jahren eingeschlafen sei.

Den Alt-OB hatte Reiter nach eigenen Angaben auch zu diesem Treffen am Montag eingeladen. Ohne dessen Namen allerdings in den Mund zu nehmen, meint er am Montag: "Ich kann ganz locker damit leben, dass der Organisator von damals nicht ganz glücklich ist." Er habe ihn eingeladen, "aber er ist nicht gekommen".
OB Dieter Reiter präsentiert Erklärung, die "von Zivilgesellschaft mitgetragen wird"
Nach zweieinhalb Stunden Dialog und mit einer offenbar kurz vor Ende dem Plenum präsentierten und verabschiedeten gemeinsamen Erklärung trat der OB dann vor die Presse – die musste, bis auf die für die Moderation engagierte "SZ"-Redakteurin, beim "Dialog" zuvor draußen bleiben. Es sei sein Ziel gewesen, "eine Erklärung zu formulieren, die von der gesamten Zivilgesellschaft mitgetragen wird", so Reiter.
Deswegen sei sie nicht so zugespitzt, wie es manche erwartet hätten. "Wir setzen uns gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in jeder Form ein", lautet der erste Satz der Erklärung. Dem Wunsch einzelner Teilnehmer, Muslimfeindlichkeit und "LGBTQI*"-Feindlichkeit explizit noch mit aufzunehmen, wurde nicht entsprochen. Solche Diskussionen zur gemeinsamen Erklärung und auch die Frage, ob das jetzt nun ein neues Bündnis sei, wehrte Reiter mit dem Verweis auf "Semantik" ab.
OB Reiter: Slogan, Hashtag und Logo sollen "möglichst überall" sichtbar werden
"Ich wollte eine Erklärung, die sich gegen Rechtsextremismus in den jeweiligen vertretenen Institutionen einsetzt", so Reiter. "Wir haben die Auswahl der Institutionen insbesondere danach getroffen, wie viele hunderttausend Menschen wir vertreten werden". Er selber werde dafür sorgen, dass der Slogan, der Hashtag und das neue Logo ("haben wir uns gegönnt", so Reiter) möglichst überall in der Stadt sichtbar werde, zum Beispiel an Trambahnen und Bussen.
Trotz Kritik am Dialog im Vorfeld (AZ berichtete) war auch ein Teilnehmer von Fridays For Future München am Montag mit dabei - und damit von jener Organisation, die den Impuls gab für die "Großdemo gegen rechts" am Siegestor im Januar gab und für das "Lichtermeer" auf der Theresienwiese. Was offenbar auch am Montagabend vonseiten des teilnehmenden bayerischen CSU-Justizministers Georg Eisenreich erneut für Kritik sorgte, der Fridays For Future erneut als ungeeignet kritisierte, um solche Demonstrationen zu organisieren.
Fridays For Future München: "Ein Bündnis ist kein Selbstzweck"
Es sei "schön zu sehen, dass die Demonstrationen in diesem Rahmen Früchte getragen haben", sagt Len Schindlbeck im Anschluss zur AZ. Man müsse jetzt aber auch schauen, was daraus entsteht. "Ein Bündnis ist natürlich kein Selbstzweck, sondern muss eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Ich glaube, da ist noch sehr viel offen". Man könne deswegen noch überhaupt nicht sagen, wie es weitergeht - und ob Fridays For Future ein Teil davon sein werde. Es sei aber "sinnvoll, für dieses eine Treffen hier gewesen zu sein".
Damit wirft Fridays For Future die Frage auf, die viele beschäftigt: Wie geht es weiter? Der OB hält sich am Montagabend weitgehend vage, so wie auch beim Bündnis-Begriff. Es werde ein weiteres Treffen geben, ob in der gleichen Besetzung und wann konkret, auch ob daraus künftig Demonstrationen organisiert werden sollen, bleibt offen.
Zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Wie erreicht die Politik Menschen wieder besser?
Wichtig sei die Frage, wie man den Diskurs umdrehen könne, um zu sagen: "Wir sind für Demokratie, nicht immer nur gegen etwas." Mit dem Ziel, um unentschlossene Wählerstimmen anzuwerben "und sie vielleicht auch umstimmen".
Das ist ein Punkt, der auch für Dialogteilnehmer Stefan Jagel, Stadtrat für die Linke, im Zentrum steht, und der auch noch lange nicht beantwortet ist:"Es ist für mich die zentrale Frage, die mich sehr beschäftigt bei dem Thema: Wie erreicht die Politik wieder besser die Menschen - und wie erreichen wir mehr Menschen? Insbesondere wegen den sozialen Herausforderungen die es gibt."
Vielleicht ist ein Teil der Antwort, dass der Oberbürgermeister vor einem zweiten Dialog-Treffen, so es denn stattfinden sollte, einmal ums Eck geht und bei der Initiative "München erinnern" anklopft. Denn mit den von Rassismus und rechter Politik betroffenen Menschen in den direkten Dialog zu treten, ist sicher keine schlechte Idee.
Mehr Informationen und Logo zum Download: muenchen-gegen-rechtsextremismus.de
Die Gemeinsame Erklärung für Demokratie – gegen Rechtsextremismus vom 4. März 2024 im Wortlaut:
München ist eine Stadt der Vielfalt.
Hier leben Menschen aus mehr als 180 Nationen. Nahezu ein Drittel der Münchner*innen hat einen ausländischen Pass und mehr als 60 Prozent der Münchner*innen unter 18 Jahren haben in ihren Familien Migrationsgeschichten.
Diese Vielfalt zeichnet München aus und ist eine Bereicherung für die gesamte Stadt.
Wir
- setzen uns gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in jeder Form ein.
- lassen es nicht zu, dass Menschen aus rassistischen, antisemitischen oder sonstigen menschenfeindlichen Gründen ausgegrenzt werden.
- stehen an der Seite aller Menschen in dieser Stadt, die durch die völkische Ideologie der extremen Rechten bedroht sind.
- sorgen dafür, dass München weltoffen bleibt.
- rufen alle Münchner*innen auf, mitzuhelfen, dass München demokratisch, tolerant, weltoffen, kurz: unser München bleibt!
Diese Botschaft tragen wir in unsere Institutionen, Unternehmen, Vereine und in alle anderen Lebensbereiche.
Rassistische, antisemitische und völkische Ideologien haben in diesem Land bereits einmal Millionen Menschen das Leben gekostet. Dies darf sich nie mehr wiederholen.
Nie wieder ist jetzt!