Gaststättenverband warnt: 250 Wirtshäuser in München werden im Jahr 2024 schließen

Der Alte Simpl und der Atzinger in München sind seit Kurzem geschlossen, ob es weitergeht – derzeit noch unklar, obwohl es mehrere Interessenten gibt. Die Dehoga sagt für viele andere Gastro-Betriebe das Aus voraus.
Nina Job
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Ruth Frömmer
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Eine echte Legende des Univiertels: Im Alten Simpl an der Türkenstraße haben Generationen von Studenten gefeiert.
Eine echte Legende des Univiertels: Im Alten Simpl an der Türkenstraße haben Generationen von Studenten gefeiert. © IMAGO/Alexander Pohl

München - Für Generationen von Studenten war er ein zweites Zuhause, im kommenden Jahr hätten die Gäste das 100-jährige Bestehen der Kneipe feiern können: im Atzinger in der Schellingstraße. Nun ist es totenstill in der legendären Wirtschaft, an den Fenstern hängt noch die Adventsdeko, drinnen kein Mensch, alles ist sauber aufgeräumt und geputzt, die Stühle sind ordentlich an die Tische geschoben. An der Eingangstür klebt ein Blatt DIN-A-4-Papier. Darauf steht geschrieben: "Die Gaststätte Atzinger ist vorübergehend geschlossen."

Das gleiche traurige Bild bietet sich in der Türkenstraße 57: Auch der Alte Simpl, einst Münchens bekannteste Künstlerkneipe, ist geschlossen. Er war mal der Treffpunkt der Boheme. Hier verbrachten Ludwig Thoma, Oskar Maria Graf, Franz Marc und Franziska von Reventlow ausschweifende Abende. Joachim Ringelnatz schrieb über die Kneipe: "Und mich zieht's mit Geisterhänden, ob ich will, ob nicht, ich muss, nach den bildgeschmückten Wänden, in den Simplicissimus."

Atzinger und Alter Simpl in München dicht: Der Betreiber hat einen Insolvenantrag gestellt

Wann oder ob die beiden Kultgaststätten wieder öffnen, ist derzeit offen. Der langjährige Betreiber und Wirt Wassili Galanopulos hat mit seiner Firma Philon Restaurant GmbH im Dezember einen Insolvenzantrag gestellt. Das Amtsgericht hat als vorläufigen Insolvenzverwalter den Münchner Diplom-Kaufmann und Restrukturierungsexperten Max Liebig bestellt. Er teilte der AZ am Freitag mit: "Dem Betreiber war es zuletzt nicht mehr möglich, die Traditionsgasthäuser kostendeckend zu führen."

Liebig sucht nach eigenen Angaben nach Lösungen, um eine Fortsetzung des Geschäftsbetriebs der Lokale zu ermöglichen. "Inwieweit dies unter der Teilhabe der bisherigen Geschäftsführung erfolgen kann, ist noch nicht absehbar", sagt er. Interessenten, die die Traditionsgasthäuser weiterführen möchten, gibt es laut Liebig bereits mehrere. Zuletzt waren im Alten Simpl und im Atzinger insgesamt rund 100 Mitarbeiter beschäftigt. Gekündigt seien sie nicht.

Die Maxvorstadt ohne den Atzinger? Kaum vorstellbar. Derzeit ist er geschlossen.
Die Maxvorstadt ohne den Atzinger? Kaum vorstellbar. Derzeit ist er geschlossen. © IMAGO/Alexander Pohl

Die Schließung kam für viele völlig überraschend. Von einem Tag auf den anderen war Schluss. Überall in der Stadt schließen Gaststätten, oft still und leise, viele verschwinden für immer. Laut Bayerischem Hotel- und Gaststättenverband Dehoga gibt es aktuell noch knapp 3700 gastgewerbliche Betriebe in der Stadt. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, waren es noch mehr als 4000. Landesgeschäftsführer Thomas Geppert: "Wir rechnen damit, dass in diesem Jahr noch etwa 250 bis 260 schließen werden."

Immer mehr Wirtshäuser in München müssen schließen: "Rahmenbedingungen passen nicht mehr"

Die Ursachen dafür liegen für ihn auf der Hand: "Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen passen nicht mehr." Die gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel und die Zurückhaltung der Gäste nennt er als Hauptgründe. Wie überall konsumieren auch die Münchner weniger, gehen also insgesamt auch seltener in die Kneipe. Im Vergleich zum Einzelhandel, sagt er, brauche man im Gastgewerbe zudem sechs Mal mehr Mitarbeiter, um auf seinen Umsatz zu kommen.

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Nun macht den Wirten auch noch die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung auf Speisen das Leben schwer. Während der Pandemie und bis 2023 lag sie bei nur sieben Prozent, nun wurde sie wieder auf 19 Prozent angehoben wie zuvor. Geppert meint: "Bei der Steuersenkung ging es ja nicht nur um eine reine Krisenmaßnahme. Die Phase der Erholung, die man sich erhofft hat, kam ja nicht."

Geppert prognostiziert, diese Steuer werde in Bayern Tausende Existenzen vernichten. Der Verband stützt seine düstere Prognose auf eine Umfrage unter Gaststättenbetreibern, die die Dehoga 2023 initiierte. Gerade die kleineren Wirtschaften und Betriebe würde es schwer treffen. Nur größere Unternehmen mit Systemgastronomie seien etwas stabiler aufgestellt. Geppert: "Die können kosteneffizienter wirtschaften."

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48 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • loewenhund am 15.01.2024 17:58 Uhr / Bewertung:

    wie berechnet die DEHOGA wieviel gaststätten schließen werden die einen sagen 200 die anderen 250 das ist doch reine panikmache ohne jeden greifbaren grund

  • Geradeaus-Denker am 16.01.2024 07:41 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von loewenhund

    Das geht nach " Wer bietet mehr?" um noch grösser in die Zeitung zu kommen. Das kennen wir ja inzwischen aus der politischen Diskussion. Da braucht man leider keine Grundlagen mehr. Und ist eine unbelegte Horrozahl mal raus wird sie auch noch ungeprüft abgeschrieben.

  • SuperMegaHelga am 15.01.2024 17:28 Uhr / Bewertung:

    Als Student konnte ich mir den Alten Simpl nie so recht leisten, daher würde ich den nicht als Studentenkneipe bezeichnen.
    Im Atzinger war eigentlich bis kurz vor der Schliessung immer recht viel los, da müssen die Probleme nicht am Gästemangel liegen.
    Und als Schafkopfer hab ich kein Mitleid - Im Alten Simpl durfte man nicht spielen und im Atzinger nur an einem Katzentisch auf dem Weg zum Klo.

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