Führerscheinprüfer in München: So aggressiv sind Betrüger, die erwischt werden
München - Minimum 25 Fahrstunden, zwölf Sonderfahrten, 14 Stunden Theorie und an die 1.000 Prüfungsfragen. Wer als Fahranfänger den Autoführerschein machen will, muss zur Zeit fast 4.000 Euro hinblättern, extrem viel pauken und in der Theorie- und Praxisprüfung die Nerven behalten.
Drei Viertel der Prüflinge in München schaffen es laut dem TÜV, der die Prüfungen abnimmt, auf Anhieb. Der Rest fällt in der Praxis oder in der Theorie durch – oder in beidem. Und 40 Prozent davon sogar gleich mehrmals. Da ist das Frustpotenzial hoch. Nicht einfach für die Prüfer, damit umzugehen. Wie ist die Lage? Die AZ hat beim Leiter der Fahrerlaubnis München beim TÜV-Süd nachgefragt.
Münchner Fahrprüfer Christian Schmid nimmt neun Fahrprüfungen am Tag ab
Christian Schmid (53), ist Kfz-Meister, kann jedes Fahrzeug mit Rädern fahren, vom Motorrad über Kräne bis zum Panzer-Schwertransporter. Er war schon Panzermechaniker und Fahrlehrer bei der Bundeswehr, hat in 22 Jahren als Fahrlehrer rund 1.500 Fahrschülerinnen und Fahrschüler ausgebildet und in sechs Jahren als Führerscheinprüfer rund 15.000 Fahrprüfungen abgenommen. Im Schnitt schafft er neun Fahrprüfungen am Tag.
AZ: Herr Schmid, zuletzt war die Rede davon, dass bei Führerscheinprüfungen immer mehr getrickst und betrogen wird. Stimmt das auch in München?
CHRISTIAN SCHMID: Ja, das stimmt. Aber wir haben auch viel mehr Prüfungsanmeldungen als in früheren Jahren.
Weil nach den Corona-Fahrschulpausen jetzt alles nachgeholt wird?
Auch das natürlich. Obendrauf kommen Anmeldungen von Einwanderern, deren Führerschein aus dem Heimatland hier nicht anerkannt ist. Plus viele Migranten aus Nicht-EU-Ländern ohne Schul- oder Berufsausbildung, die mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, wenn sie Autofahren können – als Paketausfahrer, Busfahrer oder Taxifahrer zum Beispiel. Auch Straßenkehrer müssen Fahrzeuge fahren können.
Betrugsversuche bei Führerscheinprüfung 2023: In Bayern flogen bislang 254 Fälle auf
Gibt es die Prüfungsfragen auch in Fremdsprachen?
Wir haben sie inzwischen in 14 Sprachen hier, bis hin zu Hocharabisch. Das hilft aber nicht jedem, weil einige Prüflinge zwar ihre Heimatsprachen sprechen, aber oft nicht oder nicht gut lesen können. Da tut man sich natürlich schwer. Auch übrigens, wenn man schon älter ist. Wir haben jetzt viele Prüflinge mit 40 aufwärts. Da fällt das Lernen schwerer als mit 17 oder 18.
Um die 600 Theorieprüfungen laufen in München gerade pro Woche, wie viele Betrugsversuche erwarten Sie?
Manchmal sind es drei bis vier am Tag, manchmal fünf, sechs, die Woche, manchmal den ganzen Monat keiner. Es hängt sicher auch davon ab, ob gerade spezialisierte Betrügerbanden in der Stadt sind. Es braucht ja fast immer einen Komplizen draußen zum Tricksen. Und etliche Fälle erkennen wir auch gar nicht. Bayernweit sind dieses Jahr bis September 254 Fälle aufgeflogen, im Jahr davor 220. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.
Schummeln bei Führerscheinprüfung: Diese Tricks wenden Betrüger gerne an
Wie wird denn in der Theorieprüfung getrickst und betrogen?
Die simpelste Methode, die ein Drittel der Trickserinnen und Trickser verwendet, ist ein klassischer Spicker, den sich jemand auf den Arm schreibt, wenn es um Zahlen oder Formeln geht. Oder der Versuch, während der Theorieprüfung in die Handy-Lernapp zu schauen. Das machen oft Prüflinge, die bewusst auf Lücke gelernt haben. Die ganz Faulen sind übrigens auch zu faul, um zu betrügen.

Wie viele Prüflinge gibt es, die einen Stellvertreter zur Prüfung schicken, mit gefälschtem Pass?
Das ist das zweite Drittel der Fälle. Dilettantisch gefälschte Papiere erkennen wir schnell, da ist dann das Foto vom Stellvertreter ins Dokument eingeklebt, der Stempel ist verrutscht, solche Sachen. Die dritte Variante ist der Technikbetrug.
Mit Knopfkamera und Ohrstöpsel für den Einflüsterer?
Genau, wobei es da etliche Varianten gibt. Früher haben wir oft Vibrationsgeräte gesehen, die sich jemand etwa mit einem Pflaster am großen Zeh befestigt hat, der Prüfling hat sich dann über eine Kamera und Klopfgeräusche einsagen lassen, wo er ankreuzeln soll. Kleine Walkie-Talkies sehen wir auch immer wieder, da wird dann reingeflüstert.
Führerscheinprüfer in München: "Die dümmsten Betrüger erwischen wir immer zuerst"
Wie unauffällig.
Und vor allem Pech, wenn man damit in die erste Reihe gesetzt wird, obwohl man am liebsten ganz hinten ins allerletzte Eck gegangen wäre, damit man in Ruhe flüstern kann. Heute nehmen die Trickser oft winzige Bluetooth-Kameras, die in T-Shirts eingebaut sind oder in Hemden am Handgelenk wie Manschettenknöpfe. Die Übertragungsgeräte sind am Rücken festgeklebt. Und draußen auf der Straße sitzt dann der Komplize am Laptop und gibt über Ohrstöpsel die Ergebnisse durch.
Aber Ohrstöpsel fallen doch auf in der Prüfung, oder nicht?
Vor allem im Hochsommer, wenn jemand mit einer dicken Mütze bei 30 Grad im Prüfungsraum sitzt. Moderne Stöpsel sind aber so winzig und tief im Ohr, dass man sie von außen kaum sieht. Einen Fall hatten wir, da mussten wir sogar einen Arzt rufen, weil der Betroffene das Teil nicht mehr aus dem Ohr herausbekommen hat, nachdem er aufgeflogen ist.
Da erlebt man ja was.
Die absurdeste dieser Geschichten war die, als einem älteren Mann mitten in der Prüfung der Ohrstecker mit einem Kabel dran in den Hemdkragen gefallen ist. Er hat sich nicht getraut, ihn dort wegzunehmen, bis sich seine Sitznachbarin über die permanente Stimme aus dem Ohrstöpsel beschwert hat. Das hat sie beim Konzentrieren gestört. Die dümmsten Betrüger erwischen wir immer zuerst.
Illegale Komplizen: So viel zahlen Betrüger ihren Helfern beim Führerscheintest
Was droht jemandem, der beim Betrügen auffliegt?
Einfaches Spicken oder sich Einsagen lassen ist wie: Setzen, 6. Wir melden das der Fahrerlaubnisbehörde im Kreisverwaltungsreferat, die sperrt den- oder diejenige bis zu neun Monate und ordnet für die Zeit nach der Sperre eine Einzelprüfung an. Dann geht gar nichts mehr mit Betrügen.
Mehr passiert nicht?
Mehr passiert dann, wenn man Pässe fälscht. Oder wenn wir auf selbst zusammengebaute Funkgeräte ohne Zulassung stoßen, so etwas haben wir bei uns schon im Gebüsch gefunden. Das gilt als Verstoß gegen das Telekommunikationsgesetz und ist eine Straftat. 90 Prozent von denen, die sowas machen, flüchten, das ist dann Sache der Polizei.
Was zahlen die Prüflinge, die sich illegal helfen lassen, ihren Komplizen?
Wir haben mal etwas von 2.000 Euro gehört.

Mehr Aggressivität gegen Führerscheinprüfer soll es auch geben. Haben Sie das schon erlebt?
Natürlich, hier sind schon Mitarbeiterinnen bespuckt worden, es gab auch schon Handgemenge, bei denen ein Prüfer verletzt wurde. Einmal ist jemand vor Wut über den Tresen gesprungen. Wenn einer beim Betrügen erwischt wird oder durchfällt, fliegen uns auch wüste Beschimpfungen wie Nazisau, Hurensohn oder Drecksau um die Ohren.
Unerfreulich.
Ja, das ist nicht lustig. Ich kann aber verstehen, dass einer wütend wird, wenn er in seinem Heimatland seit 20 Jahren Auto fährt, und ich ihm in der Fahrprüfung sage, dass er nicht Autofahren kann.
Daran scheitern die meisten Münchner Fahrschüler in der Praxisprüfung
Wie oft haben Sie es mit Bestechungsversuchen zu tun?
Das kommt immer wieder vor. Dann finde ich einen Hunderter im Ausweis oder nach dem Durchfallen in der Theorie sagt jemand: "Nächstes Mal helfen" und will 50 Euro liegenlassen.
Was machen Sie dann?
Ich frage, ob derjenige seinen Notgroschen vergessen hat. Und beim nächsten Versuch zeige ich ihn an.
Wobei scheitern eigentlich die meisten Prüflinge in der Praxisprüfung?
Beim Linksabbiegen auf einer mehrspurigen Kreuzung. Und an roten Ampeln, die sie übersehen. Es ist so, dass auch die jungen Leute heute mehr Fahrstunden brauchen als die Generation ihrer Eltern. Sie bringen weniger Erfahrungsschatz mit, weil sie als Kinder den Eltern kaum noch beim Autofahren zugeschaut, sondern auf dem Rücksitz in ihr Handy geschaut haben. Und vielen fehlt das motorische Feingefühl beim Lenken und Kuppeln. Man merkt, dass sie mehr auf Tablets gespielt haben als mit Bauklötzen.
Vor allem ist doch auf den Straßen viel mehr los als 1980.
Klar, man muss heute genauer schauen mit den vielen Radlern, den schnellen E-Bikes und E-Rollern. In der ersten Praxisprüfung fallen sie jedenfalls oft durch, weil sie zu schnell fahren. In der zweiten fahren sie dann zu langsam und behindern den Verkehr. In der dritten glauben sie dann schon nicht mehr, dass sie es schaffen können und wollen nur noch, dass es vorbei ist. Da sind sie viel befreiter bei der Sache, und darum klappt es dann.
Zum Schluss noch ein paar Tipps bitte. Wie steigert man seine Chancen, den Führerschein ganz legal zu kriegen?
Es gibt drei wichtige Tipps. Erstens: Niemandem sagen, dass man Prüfung macht, das verstärkt nur den Erfolgsdruck, weil man hinterher vielleicht allen sagen muss, dass man durchgefallen ist. Zweitens: So vorbereiten, dass man selber dran glaubt, dass man es schaffen wird. Wer zweifelt, macht unnötig Fehler. Drittens: Ausgeschlafen und gefrühstückt in die Prüfung kommen und keine seltsamen Hilfsmittelchen einwerfen. Nicht einmal Baldrian, bitte. Einschlafen am Steuer ist ja auch keine Lösung.