Fehlgesteuert: Wegen Erbschaftssteuer-Reform droht Verkauf von Familienbesitz

Die Bundesregierung will die Erbschaftssteuer reformieren. Häuser zu vererben wird dann teurer. Es droht der Verkauf von Familienbesitz – zum Beispiel in der Auenstraße.
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Gisela Äckerlein sorgt sich wegen einer Erbschaftssteuerreform um ihre Immobilie. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger will, dass das Gesetz nicht kommt.
Gisela Äckerlein sorgt sich wegen einer Erbschaftssteuerreform um ihre Immobilie. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger will, dass das Gesetz nicht kommt. © Daniel von Loeper

München - Gisela Äckerlein, 83 Jahre alt, eine ehemalige Realschullehrerin mit knallroten Fingernägeln und einer langen Perlenkette um den Hals, ist vorbereitet: Auf ihrem Holztisch liegen ausgeschnittene Zeitungsartikel, Immobilienanzeigen, Stellungnahmen von Steuerexperten. Aus all dem erschließt sich die Rentnerin, wie es weitergeht – für ihre Familie, aber auch für ihr Viertel rund um den Baldeplatz.

1921, vor über 100 Jahren also, hat ihre Familie hier an der Auenstraße 27 ein Haus gekauft. Das Gebäude ist sogar noch älter, es ist mit Türmchen und Erkern versehen und steht unter Denkmalschutz.

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Äckerlein wohnt dort seit 65 Jahren, auch ihre Tochter, ihr Schwiegersohn und ihre drei Enkel leben hier. Im Erdgeschoss ist ein kleines Geschäft für Bilderrahmen und ein Fotograf hat in dem Haus sein Atelier.

Seit mehr als 100 Jahren ist dieser Altbau im Familienbesitz.
Seit mehr als 100 Jahren ist dieser Altbau im Familienbesitz. © Daniel von Loeper

Außerdem vermietet Äckerlein sechs Wohnungen. Momentan liege die Miete bei neun Euro pro Quadratmeter, sagt sie. Bald will Äckerlein die Miete ein wenig erhöhen, dann könnte der Quadratmeterpreis etwas über zehn Euro liegen. "Alle sind in dem Haus per Du. Im Sommer gibt es ein Fest im Hinterhof. Und nach dem ältesten Mieter, dem Franz, schauen alle. Er ist 90 Jahre alt", erzählt sie.

Eigentümer verlieren Haus und Mieter ihr günstiges Zuhause

Doch - vielleicht schon bald, vielleicht erst in einigen Jahren - könnte es passieren, dass nicht nur Familie Äckerlein die Immobilie, sondern auch die Mieter ihr günstiges Zuhause verlieren. Denn, wenn die 83-jährige Gisela Äckerlein einmal stirbt, wird sie das Haus an ihre Tochter vererben.

Für Filialleiterin wird es schwer, die Erbschaftssteuer zu bezahlen

"Ursprünglich stand in meinem Testament der Passus, dass meine Tochter das Haus nicht verkaufen darf", sagt die Rentnerin. "Den habe ich gestrichen." Denn Äckerlein weiß, dass es für ihre Tochter, eine 55 Jahre alte Filialleiterin einer Drogerie, sehr schwierig werden könnte, die Erbschaftssteuer zu bezahlen.

Wie bemisst sich die Erbschaftssteuer?

Wie viel an Erbschaftssteuer anfällt, bemisst sich nicht nach dem, was die Familie an Miete einnimmt, sondern nach dem Wert der Immobilie. 2006 lag dieser noch bei rund einer Million Euro. 2018 betrug er bereits 4,6 Millionen Euro. Heute dürfte der Wert noch viel höher liegen. Und das treibt auch die Erbschaftssteuer in die Höhe.

CSU will Jahressteuergesetz der Ampel verhindern

Hinzu kommt ein Gesetz, das die Ampelregierung in Berlin noch diesen Winter beschließen will, und das die steuerliche Bewertung von Immobilien weiter verteuern wird. Jahressteuergesetz heißt dieses Gesetz, das die CSU verhindern will. Und deshalb breitet Gisela Äckerlein an diesem Vormittag all ihre Unterlagen nicht nur vor der AZ aus, sondern auch vor Wolfgang Stefinger, der für die CSU im Bundestag sitzt.

Stefinger befürchtet Anstieg der Erbschaftssteuer um 50 Prozent

Der Abgeordnete geht davon aus, dass durch das neue Jahressteuergesetz noch einmal bis zu 50 Prozent mehr Erbschaftssteuer für Immobilien anfallen. Der Münchner Fachanwalt für Erbrecht Benno von Braunbehrens rechnet mit ähnlichem - je nach Qualität und Lage der Immobilie. Durch das Jahressteuergesetz, so erklärt es der Jurist, verändert sich die Berechnungsgrundlage für den Wert von Immobilien. Ziel ist, dass sich dieser mehr an dem orientiert, was realistischerweise bei einem Verkauf erzielt würde.

Diese Gesetzesänderung haben bis vor Kurzem viele gar nicht mitbekommen, sagt von Braunbehrens. Doch mittlerweile kann seine Kanzlei Advocatio, in der drei Erbrechtler arbeiten, gar nicht mehr alle Anfragen annehmen. "An manchen Tagen rufen zur Zeit zehn Leute an, die ihre Immobilie noch vor Ende des Jahres verschenken oder übertragen wollen."

Freibeträge ausgenutzt, doch es reicht nicht

Für Gisela Äckerlein kommt das nicht in Frage. Sie hat schon vor Jahren ihre Freibeträge ausgenutzt - doch um die gesamte Immobilie zu übertragen, reichten die lange nicht, sagt sie. Und da war von dem Jahressteuergesetz noch gar keine Rede. Deshalb hofft die 83-Jährige nun, dass die Politik in Berlin ihre Meinung doch noch ändert.

Zumindest der CSUler Stefinger ist überzeugt, dass sich vor allem die SPD mit dem neuen Gesetz keinen Gefallen tut: "80 Prozent der Immobilienbesitzer in München sind Privatleute", meint er.

Befürchtung: Konzerne kaufen Wohnhäuser auf

Er befürchtet, dass große Konzerne die Wohnhäuser kaufen, wenn die Erben die hohe Steuer nicht bezahlen können - oder möchten. "Mieter sind dann bloß noch eine Nummer." Er fordert deshalb, dass Vermieter mit günstigen Mieten von der Erbschaftssteuer verschont werden, wenn diese die Miethöhe mindestens zehn Jahre beibehalten.

"Haben Sie auch schon Investoren angesprochen?", will Stefinger von der 83-Jährigen wissen. "Ach, die sind wie ein Schwarm Mücken an einem See im Sommer", meint sie und winkt ab. "Schauen Sie mal."

"Wir verkaufen unsere Heimat"

Dann schiebt Äckerlein eine Immobile-Anzeige zu dem CSUler über den Tisch. Ein paar Straßen weiter, ein Haus, das abgerissen und neu gebaut wurde. "Fünf Millionen Euro kostet die Wohnung mit der Luxus-Ausstattung." Luxus betont Äcklein so als wäre es eine Beleidigung. Das Viertel, meint Äckerlein dann, sei nicht mehr das, was es einmal war. Handwerker zögen weg, Läden machten dicht, Arbeiter findet man heute hier fast keine mehr, sagt sie. "Wir verkaufen unsere Heimat." Dann bringt Äckerlein ihre Gäste zur Tür - mit einem Lächeln - und einer Warnung: "Ich höre mir alle Reden im Bundestag an - und ich werde aufpassen, was Sie sagen."

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38 Kommentare
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  • Bluto am 03.12.2022 11:49 Uhr / Bewertung:

    "Wenn ich ein Auto erbe, zahle ich nicht mehr, egal ob gross oder klein."
    Auch falsch, jeder Wert über 12.000€ unterliegt der Erbschaftssteuer.

  • Captown am 02.12.2022 09:18 Uhr / Bewertung:

    Die Freibeträge müssen mit diese Reform ebenfalls angepasst werden, vorallem für Familienangehörige. Aber bei der Geldverschwendung durch unsere Politiker und hohen Beamten muß man sehen, wo das Geld für deren großzügige Verschwendung herkommt.

  • Wilhelmine am 01.12.2022 18:37 Uhr / Bewertung:

    Die Erbschaftssteuer wird nicht nach dem Verkaufswert berechnet

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