Es könnte viel mehr E-Ladesäulen in München geben: "Eine Verhohnepipelung"
München - Elektromobilität ist gerade dabei, groß zu werden, E-Autofahren geht aber nur, wenn man das Fahrzeug auch laden kann. Genau das wird in München jedoch zunehmend schwieriger.
Thiele: Ladesäulen im öffentlichen Raum als eine Art "Demokratisierung der E-Mobilität"
Die Zahl der E-Autos steigt, der Ausbau der Ladekapazitäten aber stagniert. Für die bis Ende 2022 prognostizierten, in München zugelassenen 60.000 E-Autos, stünden aktuell lediglich 1.486 öffentliche Ladepunkte zur Verfügung. So kritisieren es der Münchner Unternehmer Henrik Thiele und sein Anwalt Benno Ziegler. Unterstützung bekommen sie dabei von der CSU-Freie-Wähler-Fraktion im Stadtrat.
Thiele, selbst seit Jahren E-Auto-Fahrer, kennt das Problem und ist überzeugt, noch weit mehr Menschen würden sich ein E-Auto anschaffen, wenn sie denn wüssten, wo sie es laden können. Ladesäulen im öffentlichen Raum seien auch eine Art "Demokratisierung der E-Mobilität", im Gegensatz zu früher, wo diese jenen vorbehalten war, die sich dank eigener Garage einen eigenen Ladepunkt zulegen konnten.
Anbieter kritisieren "Stillstand" in Sachen Ladesäulen-Angebot
Henrik Thiele ist Geschäftsführer des Münchner Unternehmens Qwello, das in vielen Städten Ladesäulen im öffentlichen Raum installiert und betreibt. Auch in München unterhält seine Firma einige wenige und würde dies gerne ausbauen. Bis Ende 2023 könnte man 1.677 Ladesäulen aufstellen.
Dabei sei man bereit, der Stadt das Komplettpaket zu liefern, sich um Planung, Bau und Betrieb zu kümmern, wohlgemerkt ohne Subventionen und aus eigenen finanziellen Mitteln, erklärt er. Das entsprechende Angebot hat er der Stadt mithilfe von Anwalt Ziegler im Juni unterbreitet. Reaktion bisher: keine.
Stattdessen, so kritisieren beide, arbeite die Stadt seit 2018 an einer Ausschreibung, die 2020 erfolgte, um Bau und Betrieb von 2.700 Ladesäulen exklusiv an einen privaten Betreiber zu vergeben. Bis heute gebe es keinen Gewinner. In der Zwischenzeit: quasi Stillstand. "Angesichts der aktuellen Situation bei den Ladestationen absurd", findet Thiele.
Nur zwei neue Ladesäulen hätten die SWM in den letzten zwei Jahren aufgestellt. Dabei sehe die Ausschreibung vor, dass allein bis September 2022 1.000 Ladesäulen aufgebaut werden müssten. Aktuell könne man davon ausgehen, so Ziegler, dass bis Ende 2023 keine weiteren dazukommen. Laut Vorgaben der EU sei München eigentlich schon heute verpflichtet, mindestens 4.000 zusätzliche Ladesäulen aufzustellen.
Thiele und Ziegler beziffern den Bedarf schon jetzt auf über 5.000 Ladepunkte
Die Stadtwerke erklären auf AZ-Nachfrage, man sei von der Stadt München betraut, 1.000 Ladepunkte zu schaffen, dies habe man bereits bis 2020 umgesetzt. Thiele und Ziegler beziffern den Bedarf schon jetzt auf über 5.000 Ladepunkte.
Von den SWM seien bislang 593 E-Ladesäulen mit insgesamt 1.203 Ladepunkten im öffentlichen Raum erstellt worden, hieß es am Mittwoch in einer ausführlichen Mitteilung des Referats für Klima- und Umweltschutz (RKU) zusammen mit dem Mobilitätsreferat.
Mobilitätsreferat und RKU erwarten "tragendes Geschäftsmodell"
Man gehe davon aus, "dass sich Aufbau und Betrieb von Ladeinfrastruktur mittelfristig zu einem tragenden Geschäftsmodell entwickeln". Eine Betrauung der SWM sei daher nicht mehr notwendig.
Die Art des Vergabeverfahrens, vom Stadtrat beauftragt, sei für die Stadt ein Novum. Man erwerbe so Expertise. Es erfolgt als europaweite Ausschreibung, um die nötige "Verteilungsgerechtigkeit für ein Tätigwerden im öffentlichen Raum" herzustellen. Dies sei sehr komplex und benötige eine gewisse Zeit. Man sei durch die Dauer keineswegs abgehängt, so das RKU.
Geheimwettbewerb: Keine Auskünfte zu Verfahrensstand oder Beteiligte
Genehmigungen an Dritte könnten nicht erteilt werden. Man hält daran fest, den Auftrag exklusiv zu vergeben. Dies gebe dem künftigen Betreiber Sicherheit für die Kalkulation, weil "Parallelstrukturen" Dritter ausgeschlossen seien. Dies schaffe die Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Betrieb "weitestgehend" ohne Zuschuss der Stadt.
Zudem hätte die Stadt sonst keine Weisungs- und Regulierungsmöglichkeit etwa hinsichtlich Qualitäts- und technischer Standards, Innovationspflichten oder Beseitigung von Störungen, heißt es.
Auch könne nur so eine gleichmäßige und faire Verteilung der Standorte gewährleistet werden. Weil es sich um einen Geheimwettbewerb handle, könne man keine Auskünfte zu Verfahrensstand oder Beteiligten geben.
Kritiker: "Vom Umweltaspekt her ist diese Stagnation eine Katastrophe"
Den Kritikern geht es nicht nur um den Komfort der E-Auto-Nutzer. 4.000 Tonnen CO2 pro Jahr könnten eingespart werden, wenn die Ladesäulen an den Start gehen, argumentiert Ziegler.
"Vom Umweltaspekt her ist diese Stagnation eine Katastrophe". Zumal in einer Stadt, "die in ihrem Koalitionsvertrag Klimaschutz und Priorisierung der E-Mobilität auf die Fahnen geschrieben hat", so Thiele. "Das kommt einem vor wie eine Verhohnepipelung."
CSU-Stadtrat Babor fordert tragfähiges Konzept
Er betont, die Stadt könne ihre Ausschreibung dennoch durchführen, auch zu den SWM ergebe sich keine Konkurrenz. Anwalt Ziegler fügt an, notfalls werde man die Aufstellung der Ladesäulen einklagen, die rechtliche Lage gebe das her. Soweit muss es aber ja vielleicht nicht kommen.
CSU-Stadtrat Andreas Babor forderte am Mittwoch in einem Antrag an die Stadtverwaltung nun, die zuständigen Referate sollten unverzüglich ein gemeinsames Konzept zum Ausbau des Ladesäulen-Netzes vorlegen und vorliegende private Angebote dazu privilegiert berücksichtigen. In Berlin, weiß Thiele zu berichten, habe man sich Jahre nach einer Ausschreibung dazu entschlossen, das Thema ohne eine solche anzupacken.
- Themen:
- Elektroautos
- München
- Stadtwerke München