Eine Stadt ringt um die Höhe: Bürgergutachten zur Paketposthalle
München - Für die einen ein Lichtblick im beschaulichen München - für die anderen ein Sündenfall: Die geplanten 155-Meter-Türme an der Paketposthalle polarisieren. Da die Pläne für die Zwillingstürme neben der Paketposthalle auch auf heftige Kritik in der Stadtgesellschaft gestoßen sind, holt der Stadtrat jetzt ein Bürgergutachten ein.
Die Idee: Mit einem neuen, frischen Blick sollen Münchner unvoreingenommen auf das diskutierte Projekt von Bauunternehmer Ralf Büschl schauen - und sich fragen: Was für ein München wünsche ich mir in meiner Lebenszeit? "Das Spannendste ist, dass bei so einem Meinungsbildungsprozess das Gemeinwohl in den Mittelpunkt tritt. Das ist unsere Erfahrung", sagt Christiane Dienel vom Nexus Institut, Leiterin des Bürgergutachtens.
1.100 Wohnungen sollen entstehen
1.100 Wohnungen, davon mehr sozial geförderte als vorgeschrieben, sechs Kitas, 3.000 Arbeitsplätze und eine historische Halle als Kultur-Hotspot und für Sport sollen nahe der S-Bahn-Station Hirschgarten entstehen. Die Teilnehmer des Bürgergutachtens treffen hier keine Hop-oder-Top-Entscheidung für oder gegen das Projekt (und über die Höhe der Türme): Ihre Überlegungen und Impulse gehen als Empfehlung an den Stadtrat.


"Wir haben hier die Chance etwas Zukunftsträchtiges und Tolles zu machen", erklärt Bauunternehmer Ralf Büschl und sagt zum unternehmerischen Hintergrund: Er brauche 100 Millionen Euro, um die denkmalgeschützte Paketposthalle überhaupt begehbar machen zu können. Die beiden Hochhäuser seien ein notwendiger Beitrag für das Ganze: "Sonst werden die Halle und das Quartier nicht zum Leben erweckt werden können. Ich bin der Überzeugung, das werden die Bürger spüren", so der Münchner.
Für sein Bauprojekt hat er das international gefeierte Architekturbüro Herzog & de Meuron ausgewählt - persönlich brennt Büschl für ihren Hochhaus-Entwurf.

Hanusch: "Es ist wichtig, Akzeptanz zu finden"
Die Stadt hatte bereits ihre Zustimmung zum Masterplan gegeben und die hohen Türme befürwortet. Grünen-Stadträtin Anna Hanusch, die zudem die Chefin des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg ist, ist jedoch kürzlich zitiert worden, dass sie sich persönlich auch einen Architekturwettbewerb über die Gestalt der Türme vorstellen könnte. Gestern stellte sie klar: "Die Hochhäuser sind ein wichtiges Element. Wir haben einen hohen Anspruch daran. Es ist wichtig, Akzeptanz zu finden." Deshalb sei für sie ein Wettbewerb vorstellbar.

Das demokratische Ringen um die Türme geht mit dem Bürgergutachten in eine neue Phase. Stadtbaurätin Elisabeth Merk (parteilos) gefallen die Türme: "Ich finde es interessant, wie sie sich weiterentwickelt haben. Ich hoffe nicht, dass es notwendig sein wird, das alles neu aufzusetzen. Aber wenn ich zur Auffassung komme, dass wir nicht weiterkommen, habe ich den Mut, das dem Stadtrat zu sagen." Sprich: Es gäbe einen verspäteten Architekturwettbewerb.

Bauherr Büschl: "Eine Geschmackssache!"
Zum Vorgehen von Investor Büschl meint sie: "Er sitzt hier. Er steht mit seinem Gesicht dafür ein. Dass sich ein Bauherr zu einem Architekten bekennt, ist absolut legitim und nicht verwerflich. Ein Bauherr darf sich den Architekten aussuchen, dem er vertraut, dass er seine Ideen gut umsetzt."
Immobilienunternehmer Ralf Büschl erklärt, dass die Visualisierungen seiner beiden Hochhäuser bislang nur "Platzhalter" seien. Die Architekten würden an Varianten der Fassade arbeiten. Die Außen-Aufzüge könnten auch an den Hochhäusern entlang hochlaufen.
"Will die Stadt das oder nicht? Das ist im Moment die Frage - und eine Geschmackssache!", meint Ralf Büschl. Er gibt zu bedenken, dass er das Areal auch ganz anders überplanen könnte. Mit weniger Aufwand und Geld: An der Wilhelm-Hale-Straße könne er einfach Büros bauen - und die Halle, die ein Denkmal ist, leerstehenlassen: "Dann entsteht viele Jahre nichts." Vor allem keine Architektur, über die die Stadt diskutiert.
Der Rat der Münchner
Ab nächster Woche befassen sich 126 Münchner vier Tage lang mit dem Projekt Paketposthalle – und den Türmen: Dabei geht um die Nutzung und Gestaltung des ganzen Areals – und der Freiflächen.
Partizipation auf Augenhöhe ist das Prinzip des Bürgergutachtens: Über 3.000 zufällig ausgewählte Münchner aus dem Melderegister wurden angeschrieben. 126 Münchner, die bereit waren, sich intensiv mit Pro und Contra des Projekts zu beschäftigen, treffen sich vom 5. bis 8. Oktober im Backstage: Sie besichtigen die Paketposthalle, erhalten Input in Form von Vorträgen: von Experten der Büschl-Gruppe, von Architekt Pierre de Meuron, von Projekt-Kritikern, wie dem Münchner Forum, von sozialen Stellen, wie der Diakonie, dem ADFC und von Nachhaltigkeitsexperten.
Ziel ist: Die Betrachtung unterschiedlicher Meinungen und Perspektiven – und die intensive offene Diskussion und Reflexion: „Die Bürger sind klug. Sie bringen ihre Weisheit aus Alltagserfahrungen ein“, sagt Christiane Dienel, die das Gutachten leitet. 50 Prozent der Teilnehmer sind zwischen 14 und 44 Jahre alt, die andere Hälfte ist älter. Zehn Prozent stammen aus Neuhausen-Nymphenburg. Ihr Gutachten hat Empfehlungscharakter.