"Die S-Bahn München ist die Resterampe"
München - Lukas Sommer (Name geändert) wurde bei der S-Bahn München zum Lokführer ausgebildet. Heute fährt er Züge in Bayern und darüber hinaus.
AZ: Herr Sommer, Sie haben hier Lokführer gelernt, gingen aber nach anderthalb Jahren weg von der S-Bahn. Warum?
LUKAS SOMMER: Ich habe mich aus mehreren Gründen dagegen entschieden. Der harmloseste: Die Herausforderung war nicht groß genug. Bei der S-Bahn sind die Züge selbst sehr vereinfacht, der Betrieb auch. Viele mögen das, mir war das zu wenig.
Und der nicht harmlose Grund?
Das war die Arbeitsatmosphäre. Man hat das ja öfter in Betrieben, dass es Reibereien zwischen den motivierten Jüngeren und den frustrierten Älteren gibt. Schon in der Ausbildung wurde man da manchmal gefragt, was man überhaupt noch bei der Bahn will.
Vielleicht kamen Sie nur an den einen besonders Frustrierten?
Alle Azubis haben diese Erfahrung gemacht. Es sind eher die meisten Älteren so.
Wie war die Ausbildung selbst?
Die ist gut! Abwechslungsreich, spaßig. Die Ausbilder vermitteln ein positives Bild.
Das sich aber nicht bestätigt hat für Sie.
Nein. Die S-Bahn hat schon immer Personalmangel. Die Produktivität muss aber gleich bleiben, wenn man nicht Fahrten streichen will. Die einzelnen Schichten werden also länger, das schlaucht natürlich. Der Job wird also anstrengender. Das bringt wiederum Leute zum Wechseln, das bedeutet weniger Leute...
Lesen Sie hier: In neun Monaten zur Lokführerin: Spätes Glück für Petra Groene
Es werden ja neue angeworben.
Ja, aber man nimmt irgendwann an Bewerbern alles, was kommt. Über Jahre hinweg. Die S-Bahn in München ist die Resterampe für Lokführer. Natürlich gibt es Ausnahmen, wenn auch wenige.
Die S-Bahn bildet auch aus.
Die Guten gehen aber bald weg, weil der Beruf hier nicht besonders attraktiv ist. Die Arbeit ist eintönig – anfahren, anhalten, anfahren, anhalten, wenden, anfahren, anhalten. Und es gibt dafür keinen Ausgleich. Die Stadt ist sehr teuer, auch dafür gibt es keinen Ausgleich.
Sie sind trotzdem extra für die Ausbildung hergezogen.
Das Fahren an sich hat mich gereizt, tut es immer noch. Und die Ausbildung in München hat einen guten Ruf.
Wie war die Wohnungssuche?
Das ging nur über Beziehungen. Von den meisten, die nicht bei ihren Eltern leben, müssen weiter draußen wohnen, in Markt Schwaben oder Petershausen.
Welche Rolle spielt das Gehalt?
Ich glaube, das ist für die meisten nicht ausschlaggebend. Und als ausgebildeter Lokführer bekommt man ja ein gutes Gehalt, zumindest aus der Sicht eines 16-Jährigen mit Hauptschulabschluss. Das Tarifgehalt liegt bei 2575 Euro im Monat, das bekommen viele nach einer Ausbildung nicht.
Welche Perspektiven gibt es?
Man ist Lokführer für den Rest seines Lebens. Ein minimaler Anteil kann in eine Leitungsposition aufsteigen, aber im Grunde kommt da nichts mehr. Damit muss man sich abfinden.
Sie haben die "normale" Ausbildung gemacht – was halten Sie von der Kurzausbildung?
Es gab schon die, die das abfällig gesehen haben. Aber die Kurzausbildung ist inhaltlich sehr knackig. Vor denen, die das machen, habe ich Respekt.
Kein Konkurrenzdenken also?
Nur beim Preisunterschied. Die Ausbilder haben uns schon mal vor Prüfungen vorgerechnet, dass wir den Konzern länger etwas kosten. "Jetzt gebt euch mal Mühe und zeigt denen, dass ihr besser seid."
Würden Sie wieder bei der S-Bahn München arbeiten?
Nicht zusammen mit der aktuellen Belegschaft.
Das sagt die Bahn zu den Vorwürfen:
Zu den hohen Lebenshaltungskosten in München: "Die Lokführer erhalten schon jetzt eine Schichtzulage aufgrund des anspruchsvollen Arbeitsalltags, die in jüngster Zeit sogar erhöht wurde."
Zum Arbeitsalltag: "Der Lokführer ist regelmäßig auf allen 434 Kilometern im S-Bahn-Netz unterwegs. Der Tunnel-Anteil ist mit 10 Kilometern gering. Außerdem variieren die Schichten hinsichtlich der Tageszeiten und zum Teil auch der Inhalte. Wegen der großen Abwechslung betonen viele Lokführer, dass sie lieber S-Bahn fahren als einen Fern- oder Güterzug."
Zur Arbeitsatmosphäre: "Die S-Bahn-Lokführer arbeiten jeden Tag unter schwierigen Rahmenbedingungen (...) mit großem Engagement. (...) Aber die Arbeit als Lokführer bei der S-Bahn München ist ein krisensicherer Arbeitsplatz. (...) Bei allein 550 Lokführern gibt es immer Kollegen, mit denen man gut auskommt und andere, mit denen man weniger gut auskommt. Regelmäßige anonyme Mitarbeiterbefragungen ergeben (...): Der überwiegende Teil der Lokführer gibt an, dass ihm/ihr die Arbeit Spaß macht und er/sie sich noch einmal für diesen Betrieb als Arbeitgeber entscheiden würde."
- Themen:
- S-Bahn
- S-Bahn München