In neun Monaten zur Lokführerin: Spätes Glück für Petra Groene
München - "Gleis vier fertig“, spricht Petra Groene souverän ins schwarze Mikro ihrer S-Bahn-Kabine. Ihr Zug ist bereit zur Abfahrt. Am Ostbahnhof ist die Lokführerin in die S3 nach Holzkirchen gestiegen, die sie nun sicher bis zur Endstation und wieder zurück navigieren muss.
Die Strecke hat sie schon als eine ihrer Lieblingsfahrten ausgemacht – und das, obwohl sie erst seit zwei Jahren als "Triebfahrzeugführerin", wie es bei der DB ganz korrekt heißt, Bahnen durch München lenkt.
Seit März 2014 ist Petra Groene Lokführerin bei der DB. Schon als kleines Mädchen habe sie am liebsten mit Eisenbahnen gespielt, erzählt die 50-Jährige. "Ich wollte immer entweder Pilot oder Lokführer werden." Am Schluss entschied sie sich, auf dem Boden zu bleiben. Doch auf direktem Weg hat sie sich ihren Kindheitstraum nicht erfüllen können.
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Der Papa wünscht sich Sicherheit für seine Tochter, will sie lieber in die Wirtschaft schicken, als in "so einen Männerberuf". Also studiert die gebürtige Bayerin in Regensburg, wird Diplom-Betriebswirtin und kümmert sich um die Finanzen in diversen Krankenhäusern. Sie arbeitet in Straubing, in Tutzing, in München unter anderen im Krankenhaus Barmherzige Brüder und im Klinikum Schwabing.
Aber irgendwas fehlt ihr. "Nachdem ich die Hälfte meines Berufslebens in meinem Job gearbeitet habe, war einfach die Luft raus. Ich habe mir gedacht: ,Die andere Hälfte soll ich nochmal das Gleiche machen? Das kann nicht sein’", erinnert sich Groene.
Als Quereinsteigerin zum Traumjob
Sie sieht auf der Jobmesse einen DB-Stand und fragt nach, ob es eine Möglichkeit gibt, in ihrem Alter noch Lokführerin zu werden. So erfährt sie vom Quereinstiegs-Programm zum Triebfahrzeugführer. Neun Monate dauert die Ausbildung, die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt. Sie schickt ihre Unterlagen nach Berlin und erhält nur drei Tage danach eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.
Mit der Zusage kommen die Zweifel: Soll sie wirklich nochmal neu anfangen? Ein Zurück in den alten Beruf ist dann so gut wie unmöglich. "Da hatte ich schon schlaflose Nächte", sagt die Lokführerin. Aber sie will endlich das tun, was sie als Kind schon fasziniert und auch immer begleitet hat: ihre Liebe zu Technik und Beschleunigung ausleben. Um ihr Studium zu finanzieren, hat sie mit dem Lkw liegengebliebene Autos abgeschleppt, heute fährt sie privat Motorrad.
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Mit ihrer S-Bahn kann sie auf maximal 140 Stundenkilometer beschleunigen. Das kommt meistens nur dann vor, wenn der Zug Verspätung hat und sie Zeit reinholen muss. 120 sind auf den längeren Streckenabschnitten schon mal drin.
"Am liebsten mag ich die Fahrten am Morgen. Dann ist es schön ruhig und ich fahre in den Tag hinein, egal, ob es regnet oder schneit. Jetzt bekomme ich viel besser mit, wie sich die Natur verändert, sehe zum Beispiel im Herbst die Nebelschwaden vorbeiziehen." Wenn man Petra Groene über ihren neuen Job reden hört, ist die Frage, ob sie den Wechsel bereut, überflüssig.
Verantwortung für die Fahrgäste
Natürlich sei die Verantwortung eine ganz andere, sagt sie. Schließlich hatte sie es früher mit Geld zu tun – und hier mit Menschen. Als im September 2014 auf ihrer Strecke eine Oberleitung reißt, fällt das Gebläse in ihrem Zug für über zwei Stunden aus. Unter den Fahrgästen ist ein Asthmatiker. Groene stellt mit der Sprechstelle im Zug Kontakt zu einem Fahrgast her, der sich mit der Erkrankung auskennt und Tipps gibt. Den defekten Zug bringt sie anschließend persönlich ins Werk. "Das hätte ich in meinem früheren Beruf nie erlebt", sagt sie. Aber sie hat bewiesen, dass sie den Überblick behalten kann.
Ihr Verdienst ist natürlich deutlich niedriger als vor der Umschulung. Aber das ist es der Neu-Lokführerin wert, denn ihre Arbeit macht ihr endlich wieder richtig Spaß.
Ihren gestorbenen Papa kann sie leider nicht mehr fragen, was er davon hält, dass sie jetzt doch Lokführerin ist – aber sie ist zuversichtlich: "Ich glaube, er wäre doch sehr stolz, wenn ich ihm zeigen würde: Papa, guck mal – das kann ich jetzt fahren."
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