Deutschlandticket in München: Warum es bald für viele Münchner unattraktiv werden könnte
München - Vieles ist ziemlich bildlich an diesem Abend auf der MS Berg auf dem Starnberger See. Die Münchner Verkehrsunternehmen haben die Presse eingeladen – und die läuft erstmal durch eine verschmutzte S-Bahn-Unterführung, in der sehr viel Wasser steht.
Das Boot selbst fährt ganz modern elektrisch und ist eine Augenweide – kommt aber zu spät. Und auch die wichtigen Männer der Verkehrsbranche sprechen an diesem Abend viel in drastischen Bildern. "Wir fahren auf Sicht", so drückt es MVV-Chef Bernd Rosenbusch aus, "aber wir sind in einer sehr dicken Nebelsuppe unterwegs."
Deutschlandticket-Debatte in München: Im MVV fehlen Hunderte Millionen Euro
Was Rosenbusch und seine Kollegen von der MVG, der S-Bahn München und der Bayerischen Eisenbahngesellschaft so umtreibt, ist das fehlende Geld, die fehlende Planungssicherheit – und die gegenüber den Fahrgästen sehr peinliche Situation, dass das Deutschlandticket bald im MVV nicht mehr gelten könnte.
Ein dreistelliger Millionenbetrag fehle durch die Mindereinnahmen wegen des günstigen Deutschlandtickets, raunt es an diesem Abend an den Tischen, während draußen dunkle Wolken über dem See aufziehen. Von Ausbauoffensive, von Verkehrswende spricht hier erstmal keiner mehr. "Wir müssen unser Angebot erhalten", nennt Bernd Rosenbusch die große Aufgabe. Thomas Prechtl von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft klingt beinahe verzweifelt, als er sagt: "Wir versuchen, mit allen Mitteln der Kunst, den Status quo zu erhalten."
Frustriert sind die Männer vor allem von der Berliner Ampel. MVG-Chef Ingo Wortmann sagt: "Die Bundesregierung hat ihre Versprechen für 2024 und 2025 nicht eingelöst." Die Finanzierung des Deutschlandtickets sei "vollkommen ungesichert". Wortmann sagt: "Wenn wir noch so etwas wie eine Verkehrswende wollen, müssen es Bund und Freistaat bezahlen, die Stadt kann es nicht." Prechtl sagt: "Was ist von den großen Vorsätzen der Regierung übriggeblieben? Nichts!"
Deutschlandticket-Debatte in München: Es drohen Kürzungen im Angebot
Und so geht der Blick hier vom Lieblingssee der Münchner aus an diesem Abend auch ganz hoch in den deutschen Norden. Dort, in Schleswig-Holstein, werden zehn Prozent der ÖPNV-Angebote gestrichen. So weit ist man zwar in Bayern noch nicht. Prechtl sagt aber: "Wir müssen darüber nachdenken, ob nicht die Abbestellung von Leistungen notwendig ist."
Und MVG-Chef Wortmann betont, dass in München in kleinem Rahmen auch schon damit begonnen wurde, etwa mit dem Ausdünnen von Bus-Takten und dem Streichen einer Bus-Linie zum Tierpark.
Doch das war wohl erst der Anfang. "Wir prüfen gerade, die Tramlinie 29 aus dem Angebot zu nehmen", sagt Wortmann im Gespräch mit der AZ. Teilweise solle das mit mehr Fahrten der Linie 20 bis zur Hochschule ersetzt werden – aber eben nur teilweise. Und natürlich werde es irgendwann um weitere Streichungen gehen müssen. Wenn, ja wenn nicht bald mehr Geld aus Berlin komme.
Und die Zeit drängt. Sie drängt sehr. Wenn die Bundesregierung nicht sehr schnell die Finanzierung sichert, könnte der MVV beim 49-Euro-Ticket ausscheren, weil niemand hier mehr bezahlen will oder kann. Am 17. Juli ist die Gesellschafterversammlung des MVV, bei der beschlossen wird, ob das Deutschlandticket im Verbund weiter anerkannt werden wird. Aktuell ist es nur bis August (!) gesichert.
So (un)wahrscheinlich ist, dass der MVV ganz aussteigt
So recht will es sich keiner ausmalen, aber ausgeschlossen ist nicht, dass der MVV tatsächlich aussteigt. Zumindest sagt jeder, den man an diesem Abend auf dem Boot fragt, dass die bisherigen Zusagen aus Berlin auf keinen Fall für ein "Ja" reichen.
Der wahrscheinlichste Fall aber ist wohl, dass das Ticket wieder irgendwie verlängert wird – mit vorläufigen Zusagen aus Berlin. Und die Hängepartie für die Verkehrsunternehmen weitergeht. Denn dass man mit der aktuellen Bundesregierung noch zu Geld für Investitionen, zu echter Planungssicherheit kommt, das glaubt hier keiner. Beinahe flehentlich klingt Rosenbusch, wenn er sagt: "Es muss Langfristigkeit in die Politik einziehen."
Als sehr wahrscheinlich gilt, dass es das Deutschlandticket, auch in der Region, weiter gibt, es aber teurer wird. Entsprechende Zeichen gibt es aus Berlin und von den Landesverkehrsministern. Wenn es aber zum Beispiel bald 69 Euro kostet, wäre der beispiellose Siegeszug bei den Fahrgästen – allein im MVV-Gebiet gibt es über 650.000 (!) Kunden – wohl schnell vorbei, weil es dann wieder MVV-Monatskarten gäbe, die im Vergleich attraktiver sind.
S-Bahn-Chef Heiko Büttner immerhin frohlockt: "Was in den nächsten zehn, 15 Jahren in München passiert, da lecken sich die anderen die Finger nach!" Und schwärmt von der zweiten Stammstrecke, der Sendlinger Spange, einer neuen Zugflotte und anderen Investitionen. Immerhin einer, der an Bord ein bisschen positive Stimmung verbreiten mag.
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