Der etwas andere Kindergarten
München - Wer flüchtig schaut, sieht einen gewöhnlichen Kindergarten: Neben einer Baby-Puppe stehen Pferde-Figuren auf einem Regal; an den Fenstern kleben Schmetterlinge aus bunter Pappe; drei Buben sitzen um eine Lego-Kiste herum, unschlüssig, was mit den Steinen anzufangen sei.
Wer jedoch hinhört, merkt schnell, dass es kein normaler Kindergarten ist. Wer hinhört, schnappt Versatzstücke etlicher Sprachen auf: Farsi, Arabisch, Albanisch, Deutsch und Englisch.
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Rund 1400 Flüchtlinge leben laut der Regierung von Oberbayern in der Bayernkaserne, immer nur vorübergehend. Einige von ihnen wenige Wochen, andere – vor allem jene aus den sicheren Herkunftsländern vom Balkan – mehrere Monate.
Im „Family House“ der Inneren Mission (IM) werden bis zu 80 Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren betreut. Ausdrücklich inbegriffen in das Angebot: ihre Eltern. Sie sitzen hier zusammen, stellen Fragen zum Leben in Deutschland, sind nicht sich selbst überlassen.
So sieht, wer genauer schaut, schnell, dass dies kein normaler Kindergarten ist. Wer an den Schmetterlingen vorbei durch die Fenster blickt, sieht wartende Männer vor einer Kleiderkammer. Auf den Tischen liegen Schreibhefte und Arbeitsblätter. „Wie heißt das?“, steht neben einigen Piktogrammen: Sofa, Sessel, Stuhl. Vormittags lernen die Kinder Deutsch.
Verantwortlich für das Angebot ist Maryam Tadoudar, eine herzliche Frau mit blondiertem Haar und Kreolen im Ohr. Die Kinder fallen ihr hier um den Hals. Eigenen Angaben zufolge spricht Tadoudar Kurdisch, Dari, Persisch, Englisch, Deutsch und Arabisch, letzteres aber nur „zu 50 Prozent“.
Sie selbst sei 1998 aus dem Iran geflohen und nach Deutschland gekommen. „Ich war in der gleichen Situation, deshalb verstehe ich die Kinder.“
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Das Family House gibt es jetzt seit zweieinhalb Monaten. 200 000 Euro hat der Stadtrat für die kommenden drei Jahre locker gemacht. Vier Fachkräfte sind im Einsatz, zwei von ihnen unterrichten Deutsch.
Probleme im „Family House“? „Sehe ich eigentlich gar nicht“, sagt Tadoudar. „Die Kinder sind für jede Kleinigkeit dankbar.“ Naja, hier und da seien die Kinder aggressiv, sagt Tadoudar. „Aber bei normalen Kindern ist das doch auch so.“
Einen Rechtsanspruch auf Betreuung haben die Flüchtlinge in einer Erstaufnahme wie der Bayernkaserne nicht. Der besteht erst, wenn sie in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft oder in Wohnungen untergebracht sind. Doch auch in gewöhnlichen Kindertagesstätten gibt es Probleme wie hier.
Während der Flucht hätten die Kinder häufig gelernt, „sich selbst zu behaupten“, sagt eine Sprecherin des Sozialministeriums. „Mit diesen ungewohnten Selbstbehauptungsstrategien, aber auch mit unüblichem Rückzugsverhalten müssen Kitas häufig erst umgehen lernen.“
Ob die Erzieher deshalb besonders geschult werden? Die Antwort des Sozialministeriums ist lang. Ziel sei – was sonst – „eine möglichst individuelle Förderung von Asylbewerberkindern“. Es folgt eine eher allgemeine Auflistung: Zuschüsse für Veranstaltungen zum Umgang mit Asylbewerberkindern im Rahmen der Regelfortbildungen, eine neue Fortbildungsreihe zu Themen wie Kinderschutz, Migration und Traumapädagogik, Infomaterial.
Etwa 5000 Asylbewerberkinder zusätzlich müssten im Kindergartenjahr 2015/2016 in den bayerischen Kitas aufgenommen werden, schätzt das Ministerium. Wie groß die Zahl derer ist, die das Angebot bereits nutzen, kann die Sprecherin nicht sagen.
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Dedar ali Alizada ist mit seiner Frau und den beiden Söhnen Sajad (10) und Murteza (8) aus Kabul (Afghanistan) nach Deutschland gekommen. Sie leben seit zweieinhalb Wochen in der Bayernkaserne. Alizadas größter Wunsch: Deutsch lernen. Eine Zukunft für die Kinder ohne Krieg, sagt seine Frau.
Als Murteza eine Frage auf Deutsch beantwortet – „Ich bin acht Jahre alt“ –, strahlt sein Vater. Und klopft seinem Sohn fest auf die Schulter.