Cannabis an Münchens Schulen: "Die halbe Klasse hat schon mal gekifft"
Neuhausen - Als Jenny zum ersten Mal kiffte, war sie 15. Ein Freund habe das Gras besorgt und viel mit ihr gesprochen – über die Risiken, über die Wirkung. "Alles war ziemlich aufgeklärt", sagt Jenny. Sie habe damals nichts gespürt. Trotzdem hat Cannabis vieles in ihrem Leben verändert.
Inzwischen ist Jenny 16 Jahre alt. Eigentlich heißt sie anders, aber ihr richtiger Name soll hier lieber nicht stehen. Jenny sagt, sie findet es richtig, dass die Bundesregierung Cannabis legalisieren will.
Wenn Cannabis legal wird, wird Kiffen weniger "cool"
Weil Kiffen dann für Jüngere vielleicht weniger "cool" wäre. Weil dann die Gefahr nicht mehr so groß sei, an schlechten Stoff zu kommen. Und weil es doch falsch sei, dass Trinken in Bayern etwas ganz Normales ist, während einen ein paar Gramm Gras in der Tasche zum Verbrecher machen.
Jenny ist vor Kurzem von einem Internat geflogen, weil ihre Lehrer Marihuana bei ihr fanden. Jetzt geht sie auf die Rudolf-Diesel-Realschule in Neuhausen. Und die bekommt an diesem Dienstagvormittag wichtigen Besuch von zwei Männern, die beide eine unterschiedliche Meinung zu Cannabis haben.
Der Gesundheitsminister will Cannabis-Legalisierung verhindern
Der eine ist der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek von der CSU. Er betont, dass er "sämtliche rechtliche Möglichkeiten ausschöpfen will, um eine Legalisierung von Cannabis zu verhindern".
Der andere ist der Münchner Schulrat Florian Kraus von den Grünen. Seine Fraktion beantragte mit der SPD, dass München Modellkommune für Cannabis werden soll. Erwachsene sollen dann in lizenzierten Geschäften Gras kaufen können.
Cannabis-Prävention: Die Politiker wollen sich informieren
Die zwei Politiker sind nicht in die Schule gekommen, um zu streiten, sondern um sich zu informieren, wie es dort mit der Cannabis-Prävention läuft.
Seit November klären in achten und neunten Klassen in ganz Bayern Fachkräfte in Workshops über Cannabis auf. Auch die Rudolf-Diesel-Realschule ist Teil davon.
Die Jugendlichen kiffen regelmäßig
Etwas Neues habe er nicht erfahren, sagt Lukas, der auch anders heißt. Denn als das Projekt begann, lag sein erster Joint schon lange zurück. Lukas und Jenny kiffen beide, seit sie 15 sind, recht regelmäßig, manchmal einmal die Woche.
Probleme an Gras zu kommen, hatten beide noch nie, sagen sie. "Irgendein Freund hat immer etwas dabei", sagt Jenny. "Mindestens die Hälfte der Klasse hat schon mal gekifft."
Nur in vier Ländern höher: Deutschlands Cannabis-Quote
Das entspricht etwa der Statistik der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Laut der haben in Deutschland junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren zu rund 41 Prozent einmal Cannabis probiert. Nur in vier europäischen Ländern liegt die Quote höher.
Berichte von Entzugserscheinungen
"Ich habe am Anfang schon gezögert", sagt Lukas. "Aber dann wollte ich es unbedingt machen." Weil die Kiffer-Filme so lustig seien, weil die Rapper in ihrem Videos auch alle kiffen. Ernsthaft darüber nachgedacht aufzuhören, haben Jenny und Lukas noch nie.
"So oft kommt es dann ja doch nicht vor", sagt sie. Mit Zigaretten sei das anders. Ein Versuch aufzuhören, scheiterte. "Ich hatte Kopfweh, Bauchweh, es ging mir so schlecht, dass ich wieder angefangen habe", sagt Jenny.
Dass mehr gekifft wird, wenn Cannabis legal ist, glaubt der grüne Schulrat Kraus nicht. "Aber der Umgang wird ehrlicher." Jugendliche könnten offener sprechen – ohne Sorge, von der Schule zu fliegen. Aber auch aus seiner Sicht braucht es für den Konsum ein Konzept.
Gesetz zur Cannabis-Legalisierung noch unklar
Wie das Gesetz zur Legalisierung aussieht, ist noch nicht klar. Bisher hat das Bundesgesundheitsministerium nur einen Entwurf ausgearbeitet, der noch nicht abgestimmt ist. Vor fast zwei Wochen wurden Details publik. Demnach könnten die Regeln strenger sein, als anfangs angenommen.
Statt Cannabis-Clubs soll es nur "Anbauvereinigungen" geben, in denen nicht konsumiert werden darf. Die Vereine dürfen begrenzte Mengen Gras an ihre Mitglieder abgeben. Dabei müssen sie Auflagen einhalten: Ihre Räumlichkeiten müssen umzäunt und gesichert werden. Zu Schulen und Kitas müssen die Vereine Abstände einhalten.
So könnte Bayern das Vorhaben verhindern
Wie groß diese sind, sollen anscheinend die Bundesländer selbst bestimmen. In München gibt es 361 Schulen. Ein Mindestabstand von ein paar Hundert Metern würde wohl reichen, um Cannabis-Vereine unmöglich zu machen.
Wird der Freistaat das nutzen? "Noch ist ja gar nicht klar, wie der gesetzliche Rahmen aussieht", sagt der Gesundheitsminister. Der CSUler macht deutlich, dass er Cannabis-Konsum unbedingt verhindern will. Schließlich könne Cannabis im Gehirn eines Jugendlichen Schäden auslösen – etwa Psychosen.
SPD will München zur Cannabis-Modellkommune machen
Dass der Minister Erfolg hat, glaubt Lena Odell nicht. Sie setzt sich in der SPD-Stadtratsfraktion dafür ein, dass München eine Cannabis-Modellkommune wird.
Odell ist sich sicher, dass ihre Kollegen in Berlin das Gesetz so formulieren, dass die Bundesländer keine Schlupflöcher finden: "Ich bin absolut optimistisch."
Cannabis-Prävention muss früher anfangen
Ganz so zuversichtlich wirkt Schulrat Kraus nicht. Er kann sich vorstellen, dass die Staatsregierung die Abstände am Ende tatsächlich nutzt, um das Münchner Cannabis-Projekt zu "torpedieren".
"Aber wir müssen jetzt erstmal abwarten, wie das Gesetz aussieht", sagt er. Gelernt hat der Chef der Münchner Schulen an diesem Vormittag auf jeden Fall etwas: Prävention muss früher anfangen – egal ob Kiffen legal wird oder nicht.