Interview

Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn: "Da wird Stimmung gemacht und gelogen"

Bayerns SPD-Chef über den Bürgergeld-Streit, Klimaaktivisten und die Landtagswahl 2023, bei der er Spitzenkandidat seiner Partei ist.
Heidi Geyer,
Natalie Kettinger
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"30 Tage Präventivhaft - das ist zu hart", sagt Florian von Brunn im AZ-Interview.
"30 Tage Präventivhaft - das ist zu hart", sagt Florian von Brunn im AZ-Interview. © Bernd Wackerbauer

München - AZ-Interview mit Florian von Brunn: Der Münchner (53) ist seit 2013 Abgeordneter im Landtag, seit 2021 Fraktionschef sowie Vorsitzender der Bayern-SPD und nun auch ihr Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2023.

AZ: Herr von Brunn, dieser Tage kleben sich auch deutschlandweit Klima-Aktivisten an Straßen oder Kunstwerke. Aus der Union werden Rufe nach härteren Strafen für diese Form des Protestes laut. Wie stehen Sie dazu?
FLORIAN VON BRUNN: Ich finde es auch ärgerlich, wenn man Gemälde beschädigt oder den Verkehr aufhält. Aber ich würde mich freuen, wenn sich die Damen und Herren von der Union mit der gleichen Intensität an Klimaschutz-Debatten beteiligen würden, mit der sie jetzt über härtere Strafen reden.

30 Tage Haft für Klimaaktivisten: Florian von Brunn findet das "zu hart"

In München sitzen aktuell ein Dutzend Klima-Kleber für 30 Tage in Präventivhaft, damit sie sich nicht erneut festpappen. Möglich macht das die Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes. Ist das verhältnismäßig?
Nein, es ist zu hart. Demokratie und Rechtsstaat müssen mit solchen Protesten leben können. Natürlich muss man mit Sanktionen rechnen, wenn man gegen Gesetze verstößt. Aber darüber sollte vor Gericht entschieden werden.

Die Möglichkeit, Menschen präventiv aus dem Verkehr zu ziehen, zielte ursprünglich auf terroristische Gefährder ab. Manch einer zieht bereits Parallelen.
Bei Protestbewegungen, bei denen es um so bedeutsame Themen wie den Klimawandel geht, kann es immer sein, dass sie sich radikalisieren. Aber wenn Alexander Dobrindt jetzt vor einer Klima-RAF warnt, passt das noch nicht zur Situation. Im Moment ist das für mich eher Panikmache.

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"Wir sind energiepolitisch untermotorisiert und müssen dringend nachbessern"

Panik könnte man wohl auch angesichts der gestiegenen Energiepreise bekommen, deretwegen die Landtags-Opposition seit geraumer Zeit ein eigenes Entlastungspaket des Freistaats fordert. Nun will die Staatsregierung einen Härtefallfonds von 1,5 Milliarden Euro auflegen – zufrieden?
Ich finde es sinnvoll, wenn Bayern eigene Hilfen auf den Weg bringt, wir haben das ja schon vor über fünf Monaten beantragt. Aber bisher ist eigentlich nur diese Summe in den Raum gestellt worden – konkrete Vorschläge gibt es bis heute nicht. Anstatt dessen hat Markus Söder Wochen damit verbracht, über die Vorschläge der Bundesregierung zu motzen.

Wo würden Sie Bedarf sehen?
Wir haben in Bayern von allen Bundesländern den höchsten Anteil an alten Ölheizungen, aber auch an Pellets. Insofern sollte man hier spezifisch Hilfen auf den Weg bringen. Vielleicht auch im Bereich von Mittelstand und Handwerk. Die Gaspreisbremse gilt zwar auch für kleinere und mittlere Unternehmen, aber da kann Unterstützung durchaus nochmal sinnvoll sein – und natürlich auch im sozialen Bereich.

Aber da liegen Sie ja auf einer Linie mit dem, was der Ministerpräsident angekündigt hat.
Wie gesagt: Das fordern wir als SPD seit Mai und es ist nie gekommen. Man hat immer gesagt, man müsse abwarten, bis die Steuerschätzung da ist – wobei sich die Zahlen jetzt nicht großartig verändert haben. Und wenn man das Ganze in Bezug setzt – der Bund hat jetzt 300 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, Bayern, in dem immerhin 15 Prozent der Bevölkerung Deutschlands leben, 1,5 Milliarden –, dann sieht man schon, wo eigentlich der Hammer hängt.

Neu ist auch, dass 500 Millionen in den Ausbau der Erneuerbaren gehen sollen. Jubilieren Sie da jetzt?
Ich finde es gut, dass wir in Bayern den Wasserstoff voranbringen. Aber dafür ist vor allem notwendig, dass wir zuerst Windkraft und Geothermie ausbauen. Da passiert viel zu wenig. Ein Vergleich: In Bayern gibt es etwas über 1.100 Windräder, im nur halb so großen Brandenburg fast 4.000. Bayern erzeugt nur etwa die Hälfte des Stroms selbst mit Erneuerbaren Energien. Wir sind energiepolitisch untermotorisiert und müssen dringend nachbessern. Sonst wird es kritisch für unsere Industrie und unser Wohlstand ist gefährdet. Was jetzt von CSU und Freien Wählern im Landtag verabschiedet wurde, wird nicht ausreichen, um die Lücke beim Wind zu schließen.

Sie haben die Geothermie angesprochen. Was kann sie leisten?
Photovoltaik und Windkraft dienen vor allem der Stromerzeugung. Im Wärmebereich haben wir das Problem, dass wir Gas ersetzen müssen. Geothermie ist die ideale Lösung, klimaneutral und sicher. Die Stadtwerke München nehmen jetzt in Sendling ein großes Geothermie-Kraftwerk in Betrieb, das ungefähr 80.000 Menschen mit klimaneutraler Wärme versorgen wird. Wir haben in Bayern insgesamt riesige Potenziale. Bisher sind aber nur einige Städte und Gemeinden diesen Weg gegangen, weil die richtige Förderung durch den Freistaat fehlt. Wir wollen das anschieben.

Die FDP setzt sich für eine Legalisierung des Frackings zur Förderung von Erdgas ein. Warum ist die SPD dagegen?
Ich würde eher die Geothermie-Potenziale im Freistaat nutzen, als auf fossile Energie aus Niedersachsen zu setzen, wo ja die größten Erdgas-Vorkommen sind. Dazu kommen die ganzen Schwierigkeiten, die wir aus den USA kennen: dass beim Fracking Chemikalien verwendet werden, dass es Probleme mit dem Trinkwasser gibt. Da würde es große Widerstände geben. Außerdem: Wir wollen Gas nur als Übergangstechnologie. Bei einer eigenen Fracking-Gas-Produktion wird es aber dann heißen: Jetzt haben wir große Investitionen finanziert und müssen erstmal beim Gas bleiben. Das widerspricht aber unseren Klimaschutz-Zielen.

"Ich glaube an 15 Prozent plus X für die SPD"

Laut der letzten Umfrage liegt die CSU bei 37 Prozent, die SPD bei zehn. Glauben Sie an Wunder oder wie wollen Sie das bis zur Landtagswahl im nächsten Herbst noch drehen?
Wir haben ja bei der Bundestagswahl gesehen, dass die SPD bis Ende Juni bei 14 Prozent stand, aber dann mit den richtigen Themen einer guten Kampagne und den richtigen Köpfen die Situation gedreht hat. Wir haben jetzt mit Brinkert Lück eine Werbeagentur, die schon den Bundestagswahlkampf für die SPD gemacht hat. Außerdem arbeiten wir seit Monaten an einem Regierungsprogramm gemeinsam mit zahlreichen Vereinen, Verbänden, Unternehmen und Gewerkschaften. Insofern glaube ich, dass wir gute Chancen haben, ein deutlich besseres Ergebnis zu erzielen. Ich glaube an 15 Prozent plus X.

Ihre Co-Parteivorsitzende Ronja Endres wird nicht für den Landtag kandidieren. Wie glaubwürdig ist eine Parteichefin ohne Mandat?
Wenn man Frau Endres trifft, ihr politisches Engagement und ihre Energie erlebt, dann merkt man, dass sie glaubwürdig ist. Ich traue ihr viel zu. Und ich finde es sehr schade, dass es für die Landtagswahl nicht geklappt hat.

Derzeit wird der Parteivorsitz in Bayern nicht vergütet. Frau Esken bekommt als Bundeschefin hingegen Medienberichten zufolge 9.000 Euro pro Monat. Sollte die Landessatzung geändert werden, so dass auch Frau Endres Geld für ihre Arbeit für die SPD bekommt?
Wir handhaben das im Landesverband anders als im Bund. Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir auch nicht so viel Geld zur Verfügung haben wie der Bundesverband. Das ist aber sicher eine Frage, die wir diskutieren sollten.

SPD, Grüne und FDP wollen noch heuer zwei weitere Untersuchungsausschüsse einsetzen. Einmal geht es um die Zweite Stammstrecke und einmal um das Nürnberger Zukunftsmuseum. Der Vorwurf der Staatsregierung, die Opposition würde hier Wahlkampf betreiben, scheint nicht ganz unplausibel.
Ich finde das legitim. Wir als SPD haben zur Zeit eine Verfassungsklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof laufen, weil die Staatsregierung sich weigert, Anfragen von mir zur Masken-Affäre ordentlich zu beantworten. Das erleben wir immer wieder. Deswegen brauchen wir bei wichtigen Projekten Untersuchungsausschüsse. Beim Zukunftsmuseum, zu dem es ja auch einen kritischen Bericht des Obersten Rechnungshof gibt, sieht es so aus, dass Markus Söder als Finanzminister möglicherweise sehr viele Regeln gebrochen hat, um dieses Prestigeprojekt für sich nach Nürnberg zu holen. Das kostet die Steuerzahler jetzt sehr viel Geld. Der Vermieter der Immobilie hat zudem an die CSU gespendet. Das schreit ja geradezu nach einem Untersuchungsausschuss!

Und bei der Zweiten Stammstrecke...
... können wir nun wirklich nichts dafür, dass Markus Söder Fakten vertuscht hat. 2003 hieß es noch, das Projekt würde 600 bis 700 Millionen Euro kosten – jetzt sind wir bei mehr als einer Verzehnfachung der Kosten und einer enormen Bauzeit-Verlängerung. Markus Söder weiß mindestens seit Herbst 2020 von der immensen Kostensteigerung. Nachdem das alles ans Tageslicht gekommen ist, haben wir reagiert. Wenn der Ministerpräsident sich um ein Prestigeprojekt in Nürnberg kümmert, aber nicht um ein zentrales Verkehrsprojekt, und die Kosten explodieren, finde ich Untersuchungsausschüsse mehr als angemessen.

Ist die Ampelkoalition für Sie im Wahlkampf eher Fluch oder Segen?
Aus meiner Sicht ist das ein großer Vorteil für uns. Olaf Scholz steht zwar vor der herausforderndsten Situation seit Adenauer. Es ist einfach eine immens schwierige Zeit, denken Sie nur an die Angst, ob Atomwaffen eingesetzt werden. Die Inflation, die Energiepreise, die schwierigen wirtschaftlichen Aussichten. In so einer Lage legt man als Partei nicht einfach in den Umfragen zu. Die SPD hat die Menschen und die Wirtschaft in der Corona-Krise nicht allein gelassen und auch jetzt lässt die SPD niemanden im Stich. Wir haben drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Jetzt kommen noch die Gas- und die Strompreisbremse. In der jetzigen Situation bin ich wirklich froh, dass Olaf Scholz Bundeskanzler ist und nicht solche Hasardeure wie Friedrich Merz oder Markus Söder.

"Das 49-Euro-Ticket ist für viele Pendler eine massive Entlastung"

Soziale Gerechtigkeit ist der Markenkern der SPD. Was ist denn an der Gaspreisbremse, die nach dem Gießkannenprinzip funktioniert, gerecht?
Erst einmal ist für mich sozial gerecht, zu verhindern, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt und dass Menschen pleitegehen. Es geht darum, möglichst schnell eine Lösung zu finden, wie Menschen ihre Gasrechnung bezahlen können. Das ist der Weg, den man gemeinsam mit den Versorgungsunternehmen am schnellsten umsetzen kann. Das Problem ist, dass die Versorger ja nicht wissen, ob eine Familie oder ein Großverdiener hinter dem Gasanschluss stehen. Daher wollen wir die Zuschüsse ab einem Einkommen von 75.000 Euro für Alleinstehende steuerpflichtig machen. So wird die Gaspreisbremse sozial gerechter.

Bund und Länder haben sich auf die Einführung des "Deutschlandticket" geeinigt. Mit 49 Euro ist es vielen Sozialverbänden jedoch zu teuer – wie passt das zum sozialen Anspruch der SPD?
Das 49-Euro-Ticket ist für viele Pendler eine massive Entlastung. Trotzdem fände ich es gut, wenn es für Jugendliche und Menschen, die eben nicht so viel Geld haben, eine noch weitergehende Lösung gäbe. Deswegen sind wir als SPD in Bayern für ein regionales 29-Euro-Ticket.

"Wie sich die Union verhält, erinnert an die Tea Party und Trump"

Beim Bürgergeld gibt es weiterhin Streit zwischen Ampel und Union. CDU-Chef Friedrich Merz hat nun vorgeschlagen, erst den Hartz-IV-Satz anzuheben und das System dann später umzustellen. Die Regierungsparteien haben ihn abblitzen lassen. Warum eigentlich?
Es ist wichtig, die Regelsätze zu erhöhen – schön, dass Herr Merz das auch eingesehen hat –, aber auch Konsequenzen aus Hartz IV zu ziehen. Da müssen viele Betroffene ihr gesamtes Vermögen aufgeben und aus ihren Wohnungen ausziehen. Der Weg von der Arbeitslosigkeit in die Wohnungslosigkeit ist aber nicht weit. Aus der Obdachlosigkeit heraus schreibt man jedoch keine erfolgreichen Bewerbungen. Das Bürgergeld soll ein Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt sein. Das nutzt den Menschen, das ist sozial und außerdem können wir es uns angesichts des Fachkräftemangels gar nicht erlauben, Menschen am Rand stehen zu lassen. Ich finde es ganz schwierig und wirtschaftlich dumm, wie sich CDU und CSU verhalten. Das erinnert mich an Donald Trump und die Tea Party.

"Die China-Reise von Olaf Scholz war richtig"

Inwiefern?
Da wird mit falschen Zahlen Stimmung gemacht und gelogen. Es wird behauptet, es gebe keinen richtigen Abstand mehr zwischen den unteren Lohngruppen und dem Bürgergeld. Dabei haben wir sehr viel für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemacht, die wenig Geld verdienen: Wir haben den Mindestlohn von zwölf Euro eingeführt und die Verdienstgrenze bei Midijobs auf 2.000 Euro angehoben. Wir haben den Heizkostenzuschuss eingeführt und machen jetzt eine Wohngeldreform, damit drei Mal so viele Menschen berechtigt sind und auch deutlich mehr Geld bekommen. Wir haben das Kindergeld erhöht und eine Steuerentlastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umgesetzt. CDU und CSU haben gegen all diese Maßnahmen gestimmt. Für mich zeigt das, dass sie eben keinen Respekt vor Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben, die wenig verdienen.

Zum Schluss noch ein Blick ins Ausland: War die China-Reise von Olaf Scholz richtig?
Ja. Es war dringend notwendig, über die Situation in der Ukraine zu sprechen. Allein die Tatsache, dass er den chinesischen Präsidenten zu der Aussage gebracht hat, Putins Drohung mit Atomwaffen zu verurteilen, halte ich für enorm wichtig.

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8 Kommentare
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  • Durchblicker am 09.11.2022 21:39 Uhr / Bewertung:

    Mein Gott, was war das mal für ein Partei, die sich für anständige, hart arbeitende Menschen stark gemacht hat! Und nun? Sie kümmert sich hauptsächlich um jene, die wir mit unseren Steuern alimentieren dürfen; dazu immer wieder der böse Staat, der es wagt, z.B. gegen die Klebe-Clowns vorzugehen! Herr von Brunn personifiziert den Niedergang der SPD geradezu perfekt. Daher hoffe ich in diesem Zustand auf 10 - x, damit irgendwann ein Neuanfang gelingen kann!

  • Ostbayer am 09.11.2022 11:12 Uhr / Bewertung:

    Ich weiß jetzt nicht auf welche Umfrage sich die AZ bezieht, aber aktuellen Zahlen sehen die SPD eher bei 8% als bei 10% oder mehr.
    Teilweise muss die SPD aufpassen, dass sie nicht aus dem Landtag fliegt.

  • Witwe Bolte am 09.11.2022 17:24 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Ostbayer

    Der Abstand zwischen Bayern-SPD und AfD ist gar nicht mehr so gross. Das wird spannend.

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