Amazon liefert jetzt selbst

Der Online-Händler hat in Olching ein eigenes Paketzentrum aufgebaut. Die Branche horcht auf. Ein AZ-Besuch vor Ort.
von  Sophie Anfang
Die Halle in Olching. Auf 6800 Quadratmetern werden Pakete sortiert. München ist in fünf sogenannte Cluster unterteilt. Jedes Cluster hat ein blaues Lieferband.
Die Halle in Olching. Auf 6800 Quadratmetern werden Pakete sortiert. München ist in fünf sogenannte Cluster unterteilt. Jedes Cluster hat ein blaues Lieferband. © Petra Schramek

München - Schicht für Schicht wandern die Pakete mit dem Amazon-Logo in Ivan Barbarics weißen Van. Wenn er fertig ist, wird er hier vom Gewerbegebiet Olching in Richtung Sendling fahren und Windeln ausliefern, Bücher, aber auch einen Grill. Was Menschen so im Internet bestellen. Das allein ist nichts Besonderes. Besonders ist ein Detail: Barbaric liefert nicht für einen der bekannten Paketdienstleister DHL oder Hermes. Er liefert für Amazon selbst.

Neben Barbaric steht Bernd Schwenger, Amazons Mann fürs Paketgeschäft in Deutschland. „Und, wie viel lieferst du heute aus?“, fragt er. „160 Pakete“, sagt Barbaric. „160, das ist gut“, sagt Schwenger und klopft ihm auf die Schulter.

30 000 Pakete werden täglich in Olching sortiert

Schwenger lächelt, es läuft gut für ihn. Vor gut einem halben Jahr hat Amazon sein erstes Paket-Verteilzentrum in Deutschland aufgemacht. Das Pilotprojekt im Münchner Westen geht so gut, dass in Berlin ein zweites dazugekommen ist. Der Trend ist klar: Statt Pakete von der Post Tochter DHL liefern zu lassen, macht der amerikanische Riese das nun zunehmend selbst. Ein Umstand, der die Branche wenn nicht umkrempeln, zumindest durchschütteln könnte.

30 000 Pakete werden in Olching täglich abgefertigt. „Aber wir laufen noch lange nicht auf Volllast“, sagt Schwenger. Olching hat kein eigenes Warenlager, die Bestellungen kommen aus anderen Logistikzentren. In Olching werden die Pakete nur noch sortiert und ausgeliefert. Dafür hat Amazon München in fünf sogenannte Cluster unterteilt. Diese Cluster wiederum in einzelne Zonen, die bestimmte Straßenzüge enthalten. Die Routen der Fahrer werden tagesaktuell von einem Computer berechnet, je nachdem, wie viele Pakete auf die einzelnen Zonen entfallen. Die Routen sollen alle in der gleichen Zeit schaffbar sein, die Fahrer eine ähnliche Anzahl an Paketen ausliefern. Außerdem sollen sie immer in ähnlichen Vierteln unterwegs sein, um die Kunden kennenzulernen.

130 Menschen arbeiten im Verteilzentrum, in der Verwaltung oder als Paketsortierer. Die Fahrer beschäftigt Amazon nicht, sondern hat Verträge mit sechs lokalen Transportunternehmen. Deshalb gibt es keine Amazon-Lieferwägen in einer bestimmten Farbe.

Amazon will keine eigenen Fahrer

Amazon will keine eigene Fahrerflotte. Die Subunternehmer kennen die Stadt schon, haben Erfahrung. Für den Großkonzern ist das bequemer. Ein Stück Amazon fährt trotzdem mit, in Gestalt eines kleines Geräts. Es zeigt dem Fahrer, wie sein Routenverlauf ist. Außerdem können dort Informationen über die Kunden gespeichert werden. Etwa: Wenn Frau Müller nicht da ist, kann man das Paket im Garten in eine Porzellanvase legen.

In der Theorie klingt das gut, in der Praxis klappt das nicht immer. Es hängt nicht nur davon ab, welche Informationen die Kunden Amazon geben. Die Fahrer müssen sie ins System einpflegen. Das machen aber nicht alle.

„Wir müssen noch viel lernen“, sagt Schwenger und bemüht sich, das Amazon-Projekt gleich eine Nummer kleiner erscheinen zu lassen: „Wir haben keinen Plan, DHL abzulösen.“ Aber man habe gemerkt, dass gerade bei den Kunden, die ihre Ware noch am selben oder am nächsten Tag geliefert bekommen wollen, die Kapazitäten bei den klassischen Paketdienstleistern knapp werden. Also macht man es selbst.

Bei der Post gibt man sich gelassen. „Amazon verlässt sich nachhaltig auf unser umfassendes Paketnetz in Deutschland – wir arbeiten auch nach wie vor in München zusammen“, sagt Konzern-Sprecher Dieter Nawrath. DHLs Paketsparte sei 2015 stärker gewachsen als der Paketmarkt generell.

Der Paketmarkt wächst – die Konkurrenz wird immer größer

Trotzdem: Das Bankhaus Lampe hat jüngst in einer Studie errechnet, dass der Internetriese für 15 Prozent der Paketmenge und 500 Millionen Euro des DHL-Umsatzes verantwortlich sein soll. Das entspräche einem Umsatzanteil von acht Prozent. Amazon hat Marktmacht.

Auf dem Paketmarkt tobt der Kampf um Innovationen. Laut einer Branchenstudie wurden im vergangenen Jahr 2,9 Millionen Sendungen in Deutschland verschickt, fast sechs Prozent mehr als 2014. Angesichts dieser Zahlen basteln Firmen an Konzepten, wie sie ihre Pakete einfacher zum Kunden bringen. Ein neuer, innovationsfreudiger Mitbewerber wie Amazon könnte den Druck noch erhöhen.

Auch auf die Mitarbeiter. Verdi sind Amazons Logistik-Pläne nicht geheuer. Ohnehin haben die Gewerkschaft und der US-Konzern ein schwieriges Verhältnis. Verdi will bei Amazon die Konditionen des Versand- und Einzelhandels durchsetzen. Der Konzern lehnt das ab. In die neuen Lieferzentren für Amazons eigenen Lieferdienst hat die Gewerkschaft noch gar keinen Einblick. Ihnen fehle der Zugang, gibt man bei Verdi zu.

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Die Fahrer werden nicht nach Paket bezahlt

Amazon sagt, dass man branchenübliche Vergütung biete. Zudem werden Fahrer nicht nach Paket, wie anderswo üblich, sondern nach Route bezahlt. Diese seien auf achteinhalb Stunden ausgelegt, wer schneller fertig wird, bekommt das gleiche Geld. Wer es in achteinhalb Stunden nicht schafft, muss seine Route abbrechen.

Das Paket wird einen Tag später geliefert und Amazons Computer-Routenplaner lernt, dass er in diesem Viertel künftig mit weniger Lieferorten planen muss. Das sei die Stärke des Amazon-Systems, sagt Schwenger: „Unser Know-how steckt in der Mathematik.“

Aber auch darin, im großen Stil Neues auszuprobieren. Amazon hat damit vielen Branchen einen Schrecken eingejagt. Dem Buch- und Einzelhandel und jetzt eben der Paketbranche – selbst wenn die es noch nicht zugibt.

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