Altenheime öffnen wieder: Tränen der Wiedersehensfreude
München - Kaum hatte Ministerpräsident Markus Söder am vergangenen Dienstag live im Fernsehen verkündet, dass ab dem Muttertagswochenende wieder Besuche in Pflegeheimen möglich werden, klingelte bei Heimleiter Jan Steinbach schon das Telefon. Die ersten Verwandten wollten sich anmelden.
"Wir hätten uns ein bisschen mehr Zeit gewünscht, um uns vorzubereiten", sagt Steinbach. Er - und viele andere - befürchteten einen enormen Besucherandrang. Seit 13. März hatten sich die Heime abgeschottet, um die Bewohner zu schützen. Innerhalb weniger Tage musste nun ein eigenes Hygienekonzept her, um Besuche zu ermöglichen. Eine Gratwanderung. Denn die Gefahr durch das Coronavirus ist nach wie vor da.
Heimleiter: "Es hat viele Freudentränen gegeben"
Jan Steinbach leitet das evangelische Lore-Malsch-Haus in Hohenbrunn im Süden von München. Er freute sich sehr für die Bewohner seines Hauses und deren Angehörige. "Da kann man skypen, so viel man will. Von Angesicht zu Angesicht ist es etwas völlig anderes. Es hat viele Freudentränen gegeben!" Pfarrer Rainer Liepold, der im selben Haus für die Bewohner da ist, berichtet, wie Demenzkranke den Bildschirm streichelten, wenn sie mit Angehörigen Videotelefonate führten.

In Hohenbrunn war es etwas einfacher, schnell eine neue Besuchsregelung zu finden: Es gibt einen separaten Raum, der von außen und vom Heim zugänglich ist. In der Mitte wurde eine große Plexiglasscheibe angebracht. Hier können sich Bewohner und Besucher nun sicher begegnen. Je eine halbe Stunde Zeit haben sie miteinander. Danach werden Tische und Stühle und die Scheibe für die nächsten desinfiziert. Eine Bewohnerin wird am Samstag sogar in ihrem Pflegebett hineingeschoben. "Eine Tochter reist extra 700 Kilometer an", berichtet Steinbach. Besuche direkt im Zimmer sind - wie auch in sämtlichen Häusern der städtischen Münchenstift - nur in absoluten Ausnahmefällen möglich.
Verwandtenbesuche unterm Pavillon
Im Haus St. Josef am Luise-Kiesselbach-Platz finden die Besuche allesamt im Freien statt. "Wir haben in unserem großen Garten 20 Tische unter Pavillons aufgestellt", berichtet Leiter Predrag Savic. 42 Besucher kommen am Wochenende.

Ganz anders läuft es in Grünwald ab. Im Haus Römerschanz des BRK dürfen die Besucher sogar in die Zimmer. Als es am Samstag um 13 Uhr öffnet, stehen Angehörige Schlange. Jeder musste sich vorher anmelden, es herrscht Maskenpflicht, am Eingang müssen die Hände desinfiziert werden. Leiterin Elke Pilz sagt: "Wir haben schon auch Sorge." In Grünwald gibt es ebenfalls Tränen der Rührung – und auch der Verzweiflung. Nachmittags kommt eine Frau aus dem Haus, sagt zu Pilz: "Meine Mutter kennt mich nicht mehr."
Was bleibt, ist die Gefahr durch das Virus. Dass sie längst nicht gebannt ist, zeigt sich im Leonhard-Henninger-Haus im Westend. Dort muss nach dem ersten Besuchstag eine Pflegestation geschlossen werden. Es gibt einen neuen Coronafall: Eine Pflegekraft ist positiv getestet worden.
"Endlich wieder zu meinem Dad"

Es ist das erste Mal seit acht Wochen, dass die Steffi Schäflein-Thompson ihren Vater besuchen darf. Sie strahlt über das ganze Gesicht. "Ich bin so froh, meinen Dad wieder sehen zu können", sagt sie. Der gebürtige Australier John Thompson (89) ist dement. Ihre größte Sorge war, dass er sie vielleicht nicht wiedererkennt. Aber das war zum Glück nicht der Fall. Seine Tochter ist aufgewühlt – und sehr, sehr erleichtert.
Umarmen verboten – auch am Muttertag

Klaus Hanke hat oft angerufen während des Besuchsverbots. Aber Telefonate sind schwierig, seine Mutter (89) hat Demenz.
Hanke meldet sich sofort an, als er erfährt, dass Besuche wieder erlaubt sind. Am Samstag wartet er mit rotem Mundschutz vor dem BRK-Haus Römerschanz in Grünwald auf seinen Termin. Nach dem Desinfizieren der Hände darf er sogar aufs Zimmer seiner Mutter. Er bringt sie im Rollstuhl hin-unter in den hauseigenen Garten. Sie lächelt zufrieden. Warum er so lange nicht da war, versteht sie nicht. Klaus Hanke fällt ein Stein vorm Herzen. "Ich kann das Heim nur loben." Er darf nun täglich eine Stunde kommen. So jedenfalls die derzeitige Regelung. Nur Umarmen darf er seine Mutter nicht. Auch nicht am Muttertag.
Besuch bei Tante Hedwig, der Ex-Vermieterin

Ulrike und Willi Recke (69, 87) sind viel zu früh dran. Sie warten draußen vor dem Heim der Inneren Mission in Hohenbrunn, bis sie an der Reihe sind. Die Besucher bekommen jeweils eine halbe Stunde Zeit in einem extra Besuchsraum. Hier können sie sich nahe sein ohne Mundschutz, aber mit einer sicheren Scheibe zwischen ihnen.
Die Eheleute Recke sind die einzigen Bezugspersonen für die 91-jährige "Tante Hedwig". "Ihre Nichte, die einzige echte Verwandte, hat es abgelehnt, die Betreuung zu übernehmen", sagt Ulrike Recke. Die Reckes kennen die Seniorin seit 50 Jahren. Willi erzählt: "Ich war ihr Untermieter – bis mich meine Frau rausgeheiratet hat." Seit Hedwig vor drei Jahren einen Schlaganfall erlitt, kümmern sich beide rührend um die Nürnbergerin. Sie suchten ihr ein Pflegeheim, holten sie nach München.
Nach dem Besuch haben beide Tränen in den Augen: "Sie hat uns sofort angelacht!"
"Ich lasse meinen Bruder nicht allein"

Johannes und Sepp Maurus sind Zwillingsbrüder. "Wir sind die Maurüssel", scherzt Johannes. Seitdem Sepp, der alleine lebte, im September 2017 in seiner Wohnung zusammenbrach, wohnt er im Pflegeheim Lore Malsch in Hohenbrunn. "Auf dem Sterbebett hat meine Mutter zu mir gesagt: Bitte kümmere dich um Sepp!", berichtet Johannes Maurus. "Für mich ist das selbstverständlich. Wir haben uns immer bestens verstanden, obwohl wir sehr verschieden sind."
Bevor das Heim zum Schutz vor Corona schließen mussten, radelte Johannes Maurus mindestens drei Mal in der Woche hin. Er wohnt vier Kilometer entfernt. "Ich leide mit meinem Bruder, dass er immer allein ist. Es gibt nicht so viele Bewohner im Heim, mit denen er sich noch unterhalten kann."
Die Brüder setzten sich immer in die Cafeteria. Ihren 83. vor drei Wochen konnten sie nicht zusammen feiern. "Wir waren aber telefonisch ständig in Kontakt", berichtet Johannes. "Es ist wunderbar, dass wir uns jetzt wieder sehen können." Nach dem Besuch gibt er noch eine Kürbissuppe für seinen Bruder ab. Er hat sie selbst gekocht.
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