Ali (20): "Ich möchte ein normales Leben – ohne Angst"

2015 kamen am ersten September-Wochenende 20.000 Geflüchtete in München an. Ali (20) ist einer von ihnen. Hier schreibt er über sein erstes Jahr in Bayern.
von  Ali Badra S.
Ali Badra S. aus Mali. "Was passiert, wenn ich abgelehnt werde? Dieser Gedanke macht einen verrückt", sagt der 20-Jährige.
Ali Badra S. aus Mali. "Was passiert, wenn ich abgelehnt werde? Dieser Gedanke macht einen verrückt", sagt der 20-Jährige. © privat

München - Mein Name ist Ali Badra, ich komme aus Mali, bin 20 Jahre alt und am 5. September 2015 in Deutschland angekommen – am Münchner Hauptbahnhof, der voller Menschen war. Der Polizist, den ich auf Französisch gefragt habe, was ich jetzt machen soll, hat mich nicht verstanden. Aber ein anderer Flüchtling aus Gambia hat mich ins Ankunftszentrum im Euroindustriepark gebracht.

Vier Tage später wurde ich in eine Notunterkunft verlegt: in eine Turnhalle mit 200 anderen Leuten aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria, Eritrea und und und. Dort war ich zwei Monate – dann kam ich wieder in eine andere Unterkunft: Diesmal war es ein einziger Raum mit 35 anderen jungen Männern. Das war nicht immer einfach.

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Leben in einer Container-Anlage

Seit 1. März lebe ich in einer Container-Anlage in einem Dorf südlich von München und fühle mich sehr wohl. Im Dezember habe ich begonnen, Deutsch zu lernen. Das ist nicht gerade leicht: Die Sprache ist ziemlich kompliziert, und man braucht großes Durchhaltevermögen.

Warum ich nach Deutschland gekommen bin? Ich bin ein Kriegsflüchtling wie viele andere. Meine Heimat ist die Region Mopti im nördlichen Zentral- Mali. Im Januar 2013 haben Dschihadisten mein Land überfallen. Damals habe ich meine Eltern und meinen Bruder verloren – und bin geflohen. Zwei Jahre lang habe ich in verschiedenen Nachbarländern Malis darauf gewartet, dass der Terror aufhört. Vergeblich.

Die Bedingungen auf der Flucht waren schrecklich: Anfeindungen, Erniedrigungen, Hunger. Und wenn du krank geworden bist, konntest du nicht einfach ins Krankenhaus gehen. Es war eine Welt, die man sich kaum vorstellen kann. Die ganze Zeit habe ich gehofft, dass ich irgendwann in mein Land zurückkehren und in mein altes Leben wieder aufnehmen kann: Ich bin der Sohn eines Nomaden.

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Drei Tage auf dem Mittelmeer - ohne Essen, ohne Trinken

Aber die Lage in den Flüchtlingslagern rund um Mali, in denen Zehntausende leben, die ihr Zuhause verlassen mussten, ist unerträglich. Deshalb habe ich eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Entweder schaffe ich es nach Europa – oder ich sterbe im Mittelmeer.

Am 14. Februar 2015 stieg ich zusammen mit mehr als 800 anderen Menschen auf ein kleines Schiff. Drei Tage ohne Essen und Trinken. Es gab Tote. Am meisten hat mich geschockt, dass eine junge Mutter starb – und ihr zweijähriges Kind allein zurückblieb.

In Italien angekommen, bin ich erst einmal im Krankenhaus gelandet: Zwei Mal musste ich operiert werden, weil ich Nierensteine hatte. Ursprünglich wollte ich weiter nach Frankreich. Aber weil der Front National immer stärker wurde, habe ich meinen Plan geändert und mich für Deutschland entschieden.

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Hoffnung auf Normalität

Die Menschen hier habe ich als sehr sympathisch, höflich und respektvoll kennengelernt. Sie leben ein ganz normales Leben – und genau das möchte ich auch: ein normales Leben ohne Angst, das mich die schwierige Vergangenheit vielleicht vergessen lässt. Ich würde gerne auf einer Baustelle arbeiten, weil ich das auf der Flucht schon gemacht habe und Spaß daran hatte. Aber mittlerweile schwindet meine Hoffnung auf Normalität.

Das hat vor allem mit dem Asylsystem zu tun. Es scheint mir, dass es für die Behörden "gute Flüchtlinge“ und "schlechte Flüchtlinge“ gibt – solche, die schnell anerkannt werden und schnell einen Integrationskurs bekommen, weil sie aus einem Land "mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit“ kommen – und andere wie mich, die von all dem nicht profitieren, weil unklar ist, ob sie Asyl erhalten oder nicht.

Ali: Ich will hier bleiben – und arbeiten

Dabei schicken Deutschland, Frankreich und andere Länder Soldaten nach Mali, um dort für Sicherheit zu sorgen, weil die Terroristen weiterhin töten. Dieses Jahr haben sie ein Hotel angegriffen und eine Kaserne und immer wieder gemordet. Im August sind 500 Familien vom Volk der Peul, zu dem auch ich gehöre und das vom Militär, den Dschihadisten und anderen Milizen besonders häufig massakriert wird, nach Mauretanien geflohen.

Und am 28. August haben Milizen wieder fünf Menschen umgebracht. Aber all das scheint man hier nicht wahrzunehmen. Das macht mir Sorgen. Als Flüchtling geht dir das die ganze Zeit im Kopf herum: Was passiert, wenn du abgelehnt wirst? Das macht einen verrückt.

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Die Schwierigkeit der deutschen Bürokratie

Solange die Situation in Mali bleibt, wie sie ist, kann ich unmöglich zurück. Ich müsste um mein Leben fürchten. Deshalb möchte ich hier bleiben und arbeiten – auch wenn die deutsche Bürokratie, die vielen Papiere und Anträge für mich sehr schwierig zu bewältigen sind.

Zum Glück gibt es im Ort einen Helferkreis, der uns dabei unterstützt. Einen wichtigen Schritt habe ich gerade geschafft: Das Ausländeramt hat mir eine Arbeitsgenehmigung erteilt. Heute Abend fange ich an – als Küchenhilfe in einem bayerischen Wirtshaus.

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