"Wir akzeptieren das nicht": Warum in München so viele U-Bahnen ausfallen und die MVG sauer ist

München - Wenn der schmale gelbe Streifen am unteren Rand einer Münchner U-Bahn-Anzeigetafel auftaucht, verheißt das in der Regel nichts Gutes. Oft müssen Fahrgäste dann mit überfüllten U-Bahnen und verspäteten Zügen rechnen - denn hier blendet die MVG aktuelle Hinweise zu Störungen und Baustellen ein.
Seit einiger Zeit mag das Gelb von den Anzeigetafeln an den U-Bahnsteigen aber kaum mehr verschwinden: "Derzeit kommt es zeitweise zu Unregelmäßigkeiten wegen Fahrzeugausfällen" steht dort, schwarz auf gelb. Dass nicht alle planmäßigen Züge im Einsatz sind, erfährt man auch bei einem Blick auf die Webseite der MVG, auf der alle Betriebsmeldungen aufgelistet sind.

Die Folge der Zugausfälle: U-Bahn-Taktlücken, längere Wartezeiten und kürzere Züge. Letzteres dürften seit einigen Wochen vor allem die Fahrgäste der Linie U1 bemerkt haben. Wie die AZ nun erfuhr, steckt hinter den Fahrzeugausfällen ein Problem, das die MVG schon seit 2022 beschäftigt - und das weit über ein paar "Unregelmäßigkeiten" im Betriebsablauf hinaus geht.
MVG sauer: Warum die U-Bahnen in München ausfallen
Der Ursprung der Problematik: Alle Münchner U-Bahnen werden mit einer Brandmelde- und -bekämpfungsanlage ausgestattet. So sieht es das Brandschutz-Konzept vor, das die Stadtwerke gemeinsam mit dem Verkehrsministerium, der technischen Aufsichtsbehörde der Regierung von Oberbayern und der Stadt München erarbeitet haben.
Die Kosten für die nachträgliche Ertüchtigung der Fahrzeuge der älteren Generationen B und C1 mit derartigen Anlagen belaufen sich auf rund 40 Millionen Euro, erklärt Maximilian Kaltner, der Sprecher der MVG. Diese Brandschutzertüchtigung läuft seit Juli/August 2021 - und offenbar nicht sonderlich erfolgreich.
Falsch gesetzte Bohrungen und Verdrahtungsfehler: Die Züge kommen mit Mängeln aus der Werkstatt zurück
Bei der aktuell laufenden Brandschutzertüchtigung habe man mit Problemen zu kämpfen: "Die Umrüstung verzögert sich zum einen, weil Fahrzeuge teilweise mit Mängeln zu uns zurückkommen", erklärt Kaltner. Ein Großteil der Fahrzeuge, die mit einer Brandbekämpfungsanlage nachgerüstet werden, weise Qualitätsmängel beim Einbau auf. Konkret bedeutet das: falsch gesetzte Bohrungen, Beschädigungen anderer Komponenten und Verdrahtungsfehler. "Wir hatten schon Fahrzeuge mit 100 bis 150 Mängeln", sagt Kaltner.
Laut dem MVG-Sprecher werden die Mängel entweder direkt bei der Einbau-Firma durch die Qualitätskontrolle aufgedeckt, bei der MVG im Rahmen der Eingangskontrolle oder bei der Betriebsbereitmachung vor dem Fahrgasteinsatz. "Die ersten Probleme mit mängelbehafteten umgebauten Fahrzeugen sind 2022 aufgekommen und haben den Umbau im Jahr 2022 stark gebremst", erklärt Kaltner.
Die wohl nicht sachgemäß ausgeführte Arbeit in den Werkstätten ist allerdings nur ein Teil des Problems. Die Brandmelde- und -bekämpfungsanlagen sorgen offenbar auch abseits der Werkstätten für Ärger: "Bei ordnungsgemäß umgerüsteten Fahrzeugen, aber auch bei bereits mit Brandschutzanlage gelieferten Fahrzeugen der neuesten Generation, C2, stellen wir immer wieder Fehlalarme fest", sagt Kaltner.
U-Bahn in München: In Spitzenzeiten gibt es bis zu zwei Fahrzeugausfälle pro Tag
Die Konsequenz: Zugausfälle. Nach jeder Auslösung einer Brandschutzanlage müsse der Zug in die Werkstatt und überprüft werden. "Ein Fahrzeugausfall verursacht auf unserer Seite Kosten von etwa 1500 Euro", erklärt der MVG-Sprecher. In Spitzenzeiten gebe es bis zu zwei Fahrzeugausfälle pro Tag bei der C2-Flotte aufgrund von Störungs-Meldungen an der Brandbekämpfungsanlage. Insbesondere bei tiefen Temperaturen tauchen derartige Störungen laut Kaltner vermehrt auf – das würde die vermehrten Hinweise zu Zugausfällen auf den U-Bahn-Anzeigetafeln in den letzten Wochen erklären.
Eine lästige Situation für die Fahrgäste – und eine teure Angelegenheit für die MVG. "Wir gehen davon aus, dass sich die Fahrzeugausfälle aufgrund von Störungen der Brandmelde- und Brandbekämpfungsanlage auf mehrere hunderttausend Euro belaufen", sagt Kaltner.
Das nimmt die MVG so nicht hin. "Wir sind sehr verärgert darüber, dass es durch die Mängel und Störungen für unsere Fahrgäste zu Zugausfällen kommt und üben daher ständig Druck auf die beteiligten Firmen aus, um in der vereinbarten Zeit auch die vereinbarte Qualität zu erhalten", sagt Kaltner. "SWM und MVG akzeptieren keine Schlechtleistung unserer Auftragnehmer."
Am Umrüstungsprozess beteiligt sind die Firmen Siemens, Railmaint und Wagner Rail. Wer die "Schlechtleistung" erbringt, will die MVG nicht preisgeben. Siemens und Railmaint fühlen sich jedenfalls nicht angesprochen – wohl zurecht, wie die AZ-Recherche ergab.
"Für die Funktion der Brandbekämpfungsanlagen ist der Hersteller verantwortlich"
Siemens verweist in einer Stellungnahme darauf, dass der Einbau der Brandbekämpfungsanlage in die Fahrzeuge der B-Serie nicht durch sie durchgeführt wird. "Der verantwortliche Auftragnehmer für die Brandbekämpfungsanlage wurde direkt von der SWM beauftragt und führt diese Tätigkeiten eigenverantwortlich in den Werkstätten der Siemens Mobility durch", teilt eine Sprecherin mit. "Bei der C2-Serie baut Siemens Mobility auf Wunsch der SWM und einem Lieferanten spezifizierte Brandbekämpfungsanlage in die Züge ein. Für die Funktion dieser Anlagen ist der Hersteller verantwortlich."
Die Firma Railmaint führt den Einbau der Anlage bei der C1-Serie durch. "Die Fahrzeuge, die von uns aufbereitet werden, sind nicht betroffen von diesen Qualitätsmängeln", sagt der Werkleiter der AZ.
Hersteller der Brandmelde- und Brandbekämpfungsanlage ist die Firma Wagner Rail. Auf die AZ-Anfrage antwortet die Geschäftsführung wortkarg: "Wir kommentieren ohne Abstimmung mit unserem Kunden, den Stadtwerken München, nicht Fahrzeuge, die durch unseren Kunden im täglichen Betrieb geführt werden." Ein Schaden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro und ein dauerhaft massiv eingeschränkter Fahrbetrieb: kein zufriedenstellendes Ergebnis des Brandschutzkonzepts – für die MVG wie für die Fahrgäste.
Immerhin konnten laut Kaltner die Mängel in letzter Zeit erheblich reduziert werden, durch die Sensibilisierung des Lieferanten, die Verbesserung der Qualitätskontrolle vor Ort und die Erfahrung der Projektbeteiligten. Die beauftragten Firmen führen Mängelbehebungen kostenneutral durch. "Wir haben umfangreiche Schadenersatzansprüche gegenüber dem Systemlieferanten der Brandbekämpfungsanlage geltend gemacht", sagt Kaltner. Zur Höhe des Schadenersatzes macht er keine Angaben. "Dazu laufen intensive Verhandlungen mit den Lieferanten."
Wann der gelbe Streifen auf den Anzeigetafeln wieder zur Ausnahme wird, ist unklar. Die MVG hat laut Kaltner mit den verschiedenen Partnern Optimierungen an den Fahrzeugen erarbeitet und eine "Verbesserung der Verfügbarkeit" erreicht. Und er versichert: "Wir verfolgen den Prozess weiterhin intensiv."
Die verschiedenen U-Bahn-Generationen im Überblick
Zum „Typ A“ gehören die ersten U-Bahnen, die seit 1971 durch den Münchner Untergrund fahren. Bis 2026 werden alle A-Wagen ausgeflottet, die Brandschutzanlagen werden in diesen Fahrzeugen nicht mehr verbaut. Die B-Serie der Münchner U-Bahn ist seit 1987 in Betrieb. Die Wagen dieser älteren Generation bleiben im Einsatz und werden nachträglich von der Firma Wagner mit einer Brandbekämpfungsanlage ausgestattet.

Die Züge der C1-Serie wurden 2002 in Betrieb genommen. Wie die Wagen der B-Serie werden diese Züge mit Brandmelde- und -bekämpfungsanlagen der Firma Wagner ausgestattet. Die Firma Railmaint führt den Einbau durch. Seit 2016 fährt die neueste U-Bahn-Generation durch die Stadt: Die Züge der C2-Serie werden bereits mit einer Brandschutzanlage der Firma Wagner geliefert. Auch bei diesen Fahrzeugen kommt es ständig zu Fehlalarmen.