Interview

Aiwanger warnt vor Kipppunkt: "München muss schauen, dass es den Bogen nicht überspannt"

In Teil 2 des großen AZ-Interviews über München spricht Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger über Firmen, die aus München fliehen, kritisiert die Münchner Debatten um die Mietenpolitik und schimpft über "grüne Ideologie".
Felix Müller
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Nina Job
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Ledert wieder einmal gegen die Grünen los: Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger.
Ledert wieder einmal gegen die Grünen los: Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. © Armin Weigel/dpa/Archivbild

AZ: Herr Aiwanger, Sie weisen darauf hin, dass das öffentliche Geld von den Gewerbesteuerzahlern kommt. Es gibt die Tendenz, dass Firmen aus München ins Umland fliehen, auch bekannte und anerkannte wie etwa die Bayerische Hausbau. Halten Sie das für unanständig?
HUBERT AIWANGER: Na ja. Die Moral endet, wo es ums Geldverdienen geht. Jeder muss in diesen Zeiten mit spitzem Bleistift rechnen, das halte ich nicht für unmoralisch. Die Stadt München muss alles tun, um wirtschaftsfreundlich zu sein.

Steuerdumping zwischen bayerischen Kommunen halten Sie für unproblematisch?
Natürlich machen viele am Land die Gewerbesteuer möglichst niedrig, um überhaupt noch Ansiedlungen zu erleben. München kann doch da nicht sagen: mehr Schmuddel, mehr Leerstand, aber immer mehr Steuern. Irgendwann kippt das, wenn man immer mehr abkassiert. München muss schauen, dass es den Bogen nicht überspannt – und auch wieder mehr an der eigenen Attraktivität arbeiten.

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Sie stehen als politische Figur sehr stark dafür, die bodenständigen, alteingesessenen Leute zu verstehen. Glaubt der Wirtschaftsminister Aiwanger, dass die Münchner es für eine gute Nachricht halten, wenn mit den US-IT-Riesen nochmal viele Tausende internationale hochausgebildete Leute nach München drängen?
München war immer eine weltoffene Stadt. Ich glaube, der alteingesessene Münchner hat kein Problem mit einem japanischen IT-Spezialisten. Eher eines mit einem Kiffer, der auf dem Schulweg seiner Kinder sitzt.

"Die Bauwirtschaft wird sich erholen": Aiwanger rechnet mit Trendwende in München

Der OB hat noch die Hoffnung, dass auch neue Firmen in den Bau von Mitarbeiterwohnungen einsteigen. Teilen Sie diese Hoffnung – oder halten Sie sie für naiv?
Ich wundere mich da vor allem. Wenn Sie nur an die Erbschaftssteuer denken: Rot-grüne Politik ist hausbaufeindlich. Die Stadtregierung müsste bei ihren Leuten in Berlin sagen: Schafft die Erbschaftssteuer ab! Heute werden Häuser an chinesische Investoren verkauft, weil die Leute sich die Erbschaftssteuer nicht mehr leisten können. Statt auf Bürgerfreundlichkeit zu setzen, schreit man: Google soll Häuser bauen! Besser sollten sie aufhören, die kleinen Leute zu belasten und dafür sorgen, dass die Einheimischen wieder in Immobilien investieren können.

In München liegen jetzt viele Flächen brach, trotz Wohnungskrise werden kaum noch neue Wohnungen gebaut. Rechnen Sie mit einer raschen Trendwende?
Der Bedarf ist da, die Bauwirtschaft wird sich erholen. Aber ich glaube, dass sie sich verändern wird, dass modularer gebaut wird, mit industriellen Fertigbauten in kurzer Zeit ein neuer Komplex in der Landschaft steht. Auch die Politik muss sich bewegen.

Hubert Aiwanger in seinem Büro im Gespräch mit den AZ-Redakteuren Nina Job und Felix Müller
Hubert Aiwanger in seinem Büro im Gespräch mit den AZ-Redakteuren Nina Job und Felix Müller © Hannes Magerstädt

Inwiefern?
Es muss beim Bauen weniger Vorschriften geben. Das geht bis hin zu den Umweltschutzvorgaben, das sind ja Exzesse. Da werden große Baugebiete nicht vorangetrieben, weil Artenschützer ein Tier gefunden haben.

Ist München zu voll? "Das Wachstum unterbrechen zu wollen, das ist doch grüne Ideologie"

Grüne und Rote fordern deutlich mehr Mieterschutz. Das wäre gerade für München gut, oder?
Bei denen geht alles gegen die Eigentümer. Dabei ist der Eigentümer oft in einer Zwickmühle. Er soll teure Häuser  mit besten Standards bauen und billig vermieten, das macht eben keiner mehr, wie man sieht. Einen Mietnomaden kriegst du nicht mehr raus, aber deine Kinder sollen viel Erbschaftssteuer bezahlen, wenn sie die ruinierte Wohnung übernehmen. Das ist die Lage.

Ist Ihr Eindruck auch, dass die Tourismuskrise überwunden ist? Werden in München bald wieder viele neue Hotels gebaut?
Ja, es könnte durchaus sein, dass die Übernachtungskapazitäten bald wieder ausgereizt sind und dass dann wieder investiert wird.

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Viele Münchner nervt, dass die Bahnen noch voller sind – und wo Hotels gebaut werden, werden keine Wohnungen gebaut.
Das ist der Preis des Wachstums. Natürlich sind übersättigte Städte irgendwann an einem Punkt, an dem sie sagen: Ich will nicht mehr. Aber sie leben ja auch vom Wachstum. Das Wachstum unterbrechen zu wollen, das ist doch grüne Ideologie.

Sind die Grünen da aus Ihrer Sicht populistisch?
Eher realitätsfern und träumerisch. Träumen von einer heilen Welt ohne Wirtschaftswachstum, die in der Realität nicht funktioniert, leben von der Geldbörse des Vaters, der mit Wachstum sein Geld verdient hat.

Im Tourismus rechnet man heuer mit all den Riesen-Veranstaltungen auf jeden Fall mit einem Ansturm wie lange nicht. Herr Aiwanger, gehen Sie auch zu AC/DC? Oder zu Adele?
Nein, ich gehe auf andere Veranstaltungen. Ich bin nicht so der Konzerttyp.

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56 Kommentare
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  • Alfred Eberhard Neumann am 20.05.2024 18:34 Uhr / Bewertung:

    So einfach kann man das sagen! Die anderen sollen mal machen! Ja, die Stadt ist tatsächlich verdreckt, die Mieten hoch und das Autofahren kompliziert. Aber das ist die gesamte Welt eben auch und mit simplen Parolen wird da nichts besser. Wenn Herr Aiwanger Lösungen anzubieten hätte, müsste er ja nicht von einer Veranstaltung zur anderen hüpfen und sich um Einzelfälle kümmern. Sondern in seinem Ministerium die großen Linien für das ganze Land ausarbeiten.
    Davon abgesehen wiederspricht er sich ja selbst- einerseits nach der Straßenausbausatzung (durch FW) nun auch die Erbschaftssteuer abschaffen und angeblich gleichzeitig für die Mieter da sein wollen. Auch wenn solche Kosten tatsächlich für private Eigentümer zu hoch sind- wer soll dann die Steuern zahlen? Vermutlich die einfachen Leute.

  • Der wahre tscharlie am 19.05.2024 18:37 Uhr / Bewertung:

    "Sind die Grünen da aus Ihrer Sicht populistisch?
    Eher realitätsfern und träumerisch. Träumen von einer heilen Welt ohne Wirtschaftswachstum, die in der Realität nicht funktioniert, leben von der Geldbörse des Vaters, der mit Wachstum sein Geld verdient hat."

    Sorry, aber das ist ja fast das Beste seiner Aussagen :-)
    Das erzählen die Blauen doch auch seit Jahren.
    Die Grünen leben von der Geldbörse des Vaters :-) Müßte da nicht der Mehring (FW) mit seiner Digitalinitiatve einschreiten, bei soviel Pauschalisierung?

  • Der wahre tscharlie am 19.05.2024 18:28 Uhr / Bewertung:

    Aiwanger: "Natürlich machen viele am Land die Gewerbesteuer möglichst niedrig, um überhaupt noch Ansiedlungen zu erleben. München kann doch da nicht sagen: mehr Schmuddel, mehr Leerstand, aber immer mehr Steuern."
    Ich weiß ja nicht, was Aiwanger bewegt, Schmuddel und Leerstand im Zusammenhang mit Steuerdumping zu nennen. Siehe Grünwald. Ausgerechnet da, wo die ganzen Reichen sitzen.
    Unabhängig davon gibt es in Deutschland genug kleine Orte, die Steuerparadies sind. Es gibt z.B. Firmen im Ruhrpott, die dort Geld erwirtschaften, es aber ganz wo anders versteuern. Gabs schon berichte darüber im TV.

    Man kann also nicht eine Firma in ein Kaff mit niedrigen Steuern locken und dann sagen, eine Großstadt wie München wäre selber schuld. München (1,5 Mill. Einwohner) muß ganz anders rechnen, als wie ein 3000 Seelenort.

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