20 000 Menschen setzen ein Zeichen gegen "Bagida" - für München

München - Es ist ein eher ungemütlicher Abend. Der Wind pfeift kalt über den Sendlinger-Tor-Platz. Aber die Szenerie, die sich bietet, wirkt auf viele Münchner herzerwärmend: 20 000 Menschen haben sich ab 17.30 Uhr dort versammelt, um für Toleranz zu demonstrieren – und gegen die Kundgebung der „Bagida“ vor der nahen Matthäuskirche.
Der Platz ist schnell überfüllt, auch auf der Sonnenstraße drängen sich Frauen, Männer und Kinder, genau wie auf der Fahrbahn vor der Sparkasse. „München ist bunt“, steht auf ihren Plakaten, „Mehr Baghira statt Pegida“ oder „No Racism“. Sie haben Trommeln mitgebracht, Trillerpfeifen und Tröten, um dem Motto der Veranstaltung Gehör zu verschaffen: „Platz da! München ist laut – für Vielfalt und Miteinander!“. Eine wohl größtmögliche Koalition von SPD bis Kirche, von Linke bis CSU, von Sportverbänden bis zu Gewerkschaften hatte aufgerufen, sich an der Kundgebung zu beteiligen (AZ berichtete).
Der Altstadtring ist alsbald nicht mehr befahrbar. Auf der Bühne der Pegida-Gegner treten nach OB Dieter Reiter (s. Seite 5) zahlreiche weitere Sprecher und Künstler auf. CSU-Stadtrat Marian Offman erinnert an den jungen Muslim, der während der Geiselnahme im Pariser Supermarkt „Hyper Cache“ mehreren jüdischen Menschen das Leben gerettet hat, indem er sie im Kühlraum versteckte, und sagte: „Was gibt es für ein schöneres Zeichen für das Miteinander der Religionen?“ Diese Tat sei ein „heller Punkt“. Und: „Ein dunkler Punkt ist die Versammlung der Pegida, das Gefasel von einer Islamisierung der Gesellschaft – das ist Unsinn, das ist Lüge.“
Micky Wenngatz von der Initiative „München ist bunt“ sagt: „Ich sehe hier vor der Bühne ein Schild mit den Worten ,Liberté, Égalité, Fraternité’ und um nichts anderes geht es heute Abend. Es geht um unsere Werte und darum, dass alle Menschen dieselben Rechte haben – egal, an welchen Gott sie glauben oder ob sie überhaupt an eine Gott glauben.“
Die „Well-Brüder aus’m Biermoos“ haben eine ironische Empfehlung an die rund 1500 Bagida-Anhänger auf der anderen Seite der Sonnenstraße. Sie reimen: „Schweinsbraten für die Welt, damit das Abendland nicht dem Islam in die Hände fällt.“
Die Kundgebung der Anti-Islam-Fraktion vor der abgedunkelten Matthäuskirche beginnt um 18.30 Uhr. Die Ansprache von Organisatorin Birgit W. geht im Pfeifkonzert und den Buh-Rufen der Gegendemonstranten unter. Sie rufen: „Nazis raus“, „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“ und strömen an die Absperrgitter, mit denen die Polizei die Gruppen trennt. Drinnen dröhnt dumpf „Wir sind das Volk“, werden Deutschlandfahnen geschwungen und Mittelfinger gereckt.
Die Marschroute der Bagida-Anhänger führt über die Sonnenstraße zum Stachus. Die Polizei sorgt mit Gittern und einem Aufgebot von mindestens 800 Mann dafür, dass sie ans Ziel gelangen – unter dem lautstarken Protest der Münchner, die ihnen zu Tausenden folgen.
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Bei der Abschlusskundgebung greift unter anderem Michael Stürzenberger zum Mikro, Chef der rechtspopulistischen „Die Freiheit“. Laut „Aida Archiv“ haben auch der Rechtsextremist Philipp Hasselbach und sein brauner Gesinnungsgenosse Andre E., Angeklagter im NSU-Prozess, am Marsch der Bagida teilgenommen. E. wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.
AZ-Kommentar: Muslime in der Pflicht!
Beim Versuch, die Polizeiabsperrung zu durchbrechen, werden fünf Gegendemonstranten festgenommen und drei Beamte leicht verletzt. Um 20 Uhr ist die rechtspopulistische Versammlung offiziell vorbei – doch Birgit W., Stürzenberger und Co. können zunächst nicht weg. Die Münchner haben sie eingekesselt. Die Polizei eskortiert sie deshalb über den Tramaufgang ins Stachus-Zwischengeschoss und von dort zu S- und U-Bahn. „Ihr könnt nach Hause geh’n“, singen die Münchner – und klatschen, als der letzte Bagida-Anhänger über die Rolltreppe im Untergrund verschwindet. Um 20.21 Uhr ist der braune Spuk in der City vorbei.