25 Jahre Mauerfall: „Little Berlin“ und „Grünes Band“

Aufregende Grenzerfahrungen, die mit der historischen Vergangenheit eng verflochten sind, kann man an authentischen Orten und Stätten hautnah im Frankenwald erleben.  
von  Nikolaus Sieber
Eine „Bier-Brücke“ verbindet beim Grenzer-Stammtisch
Eine „Bier-Brücke“ verbindet beim Grenzer-Stammtisch © Nikolaus Sieber

Aufregende Grenzerfahrungen, die mit der historischen Vergangenheit eng verflochten sind, kann man an authentischen Orten und Stätten hautnah im Frankenwald erleben.

 

„Wir waren uns gegenüber gestanden“ sagt Otto Öder. „Wir können uns irgendwo irgendwann gesehen haben, ohne dass wir jetzt davon wissen“ bekräftigt Günther Heinze. „Hauptsächlich waren wir dazu da, die Leute abzufangen, die nach Westen wollten“ erzählt Adolf Glaser, alle drei vom Grenzer-Stammtisch.

Mit Hans Hagen sind sie heute nur zu viert in der „Adelskammer“, dem ältesten Wirtshaus des Frankenwaldes in Carlsgrün. Zwei Franken sitzen zwei Thüringern gegenüber, alle vier zu Zeiten des „Kalten Krieges“ als Grenzpolizisten bzw. als Grenzsoldaten mit Grenz(bewachungs)aufgaben betraut. Jetzt in Rente, damals oft unmittelbar beteiligt am Geschehen. Was die gestandenen Zeitzeugen erzählen findet gespannte Aufmerksamkeit. Wie unterschiedlich jedoch zwei Grenzansichten sein können, zumindest es damals waren, das erschreckt manchmal sogar.

 

Mit Zeitzeugen unterwegs

 

Seit nun schon 25 Jahren haben sich die Zeiten geändert – aber nur allmählich kehrte Normalität ein. Erst beim gegenseitigen Austausch, nachdem der Stammtisch 2010 gegründet war und man begann sich kennenzulernen, kam auch so manche Hinterhältigkeit heraus. Bis dahin unverständlich, nun zumindest zum Teil erklärbar. Geschichten zu Gegebenheiten und Ereignissen, die das (Grenzer)Leben mit sich brachte und manchmal komisch oder tragisch, gut oder schlecht ausgingen – meist jedoch ungleich abliefen auf beiden Seiten.

 

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„Wir bauen ein regionales Umfeld auf, das seine eigene Geschichte verarbeitet“ schwärmt Ralf Oelschlegel, der Stammtischinitiator vom TSV Carlsgrün. „Es werden alte Geschichten ausgetauscht, die bis dahin unterschiedlich erzählt wurden.“ Diese Hörgeschichten, oft rührende und unglaubliche Geschichten, sind auch für Urlauber live beim Stammtisch einmal im Monat zu erleben.

Abgehoben, hoch geflogen und auf der anderen Grenzseite bei Naila gelandet – waghalsig und tollkühn war 1979 die Flucht zweier Familien aus Thüringen nach Bayern und blieb bis heute sensationell. Mit einem Heißluftballon in rudimentärer Eigenkonstruktion mit Propangasflaschen ist die abenteuerliche Flucht schließlich gut gegangen und hatte für viel Gesprächsstoff in Medien und Politik gesorgt. Auch diente sie als Grundlage für „Mit dem Wind nach Westen“, einer der bekanntesten Filme zum Thema innerdeutsche Grenze, Leben in der Ex-DDR und Flucht in den Westen. Das Flugobjekt ist im Heimatmuseum in Naila zu besichtigen.

 

Wie’s damals war

 

Ein besonderer Originalschauplatz der Geschichte ist Mödlareuth. Das nur 50 Einwohner zählende Dorf liegt an der bayerisch-thüringischen Grenze, bis zum Mauerfall praktisch auf der deutsch-deutschen Staatsgrenze. Mitten durch den kleinen Ort schlängelt sich der Tannbach, ein kleiner Bach, der ab Kriegsende als Demarkationslinie für den Grenzverlauf herhalten musste und fortan zwei Welten voneinander trennte. Ohne Rücksichtnahme auf Familien und Verwandtschaft. Mehr als vier Jahrzehnte war das Dorf geteilt. Nicht nur durch Stacheldrahtzaun, sondern für 23 Jahre lang sogar durch eine 700 Meter lange und 3,40 Meter hohe Betonsperrmauer.

 

Wie sein großer Bruder in Berlin wurde das kleine Dorf zum Symbol der deutschen Teilung. Die US-Amerikaner nannten es deshalb „Little Berlin“. An diese vergangenen Zeiten erinnert das Deutsch-Deutsche Museum in Mödlareuth. Im Freilichtmuseum stehen einstige Grenzsperranlagen, die wie auch der Wachturm im Original erhalten blieben. Auch ein sowjetischer Panzer T 34 zieht neugierige Blicke auf sich.

 

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Ein Kuriosum bleibt das 50-Seelen-Dorf auch weiterhin, denn der Tannbach bildet nach wie vor eine Grenze: die eine Dorfhälfte ist bayerisch, die andere thüringisch. Unterschiedliche Postleitzahlen, Telefonvorwahlen und Autokennzeichen gibt es nach wie vor, auch zwei Bürgermeister. Allerdings frei bewegen und gemeinsam Feste feiern, das ist mittlerweile wie selbstverständlich.

 

Grenz- und Sperrgebiet

 

Geschichte und Geschichten, unauslöschliche Fakten zur innerdeutschen Grenze erlebt man auch in Judenbach, wo einst die Wiege des mechanischen Spielzeugs stand. „Nur mit einem besonderen Grund durfte man in die Sperrzone, und dann nur mit einem genehmigten Passierschein“ erzählt heute gelassen Bürgermeister Albrecht Morgenroth. „Insbesondere in das unmittelbar an der Grenze liegende Heinersdorf durften nur parteilinientreue Fahrer hinfahren. Einem ist die Flucht beim Kartoffelbeliefern geglückt, als er mit allem über die Grenzanlagen gedonnert und in den Westen geflohen ist.“ Ein kleiner Mauerabschnitt steht heute noch zwischen Heinersdorf (TH) und Welitsch (BY), errichtet damals wegen der unmittelbaren Grenznähe. Besonders intensiv war auch die Bewachung. Heute steht eine Gedenkstätte hier auf offener Flur.

 

Grünes Band statt Todesstreifen

 

Der ehemalige Grenzstreifen, damals ein tödliches, vermintes Sperrgebiet, schlängelt sich heute wie ein grünes Band durch die Landschaft. Fast 40 Jahre lang ein unberührter Streifen Natur mutiert zu wertvollem Lebensraum entlang der innerdeutschen Grenze. Es ist Teil des nationalen Naturerbes und zugleich lebendiges Denkmal der einstigen Teilung Deutschlands.

 

Das thüringisch-fränkische Teilstück zwischen Mitwitz und Mödlareuth ist eines der drei Modellgebiete des Bundesprojektes „Erlebnis Grünes Band“. Bei Kurz- und Rundwanderungen auf Deutschlands längsten Biotopverbund können mehr als 600 gefährdeten Tier- und Pflanzenarten entdeckt werden. Führungen mit Biologen sind buchbar. Stefan Beyer ist einer von ihnen. Mit ihm unterwegs wird man zum „Grenzgänger“ und lernt die Vielfalt neu einzuordnen.

Die Tour führt von Mitwitz – hier wurde der Gedanke fürs zu schützende Naturerbe geboren – zum früheren Grenzstreifen, wo sich heute Fuchs und Hase fast ungestört gute Nacht sagen können. Spurensuche in der Wildnis. Rasch ist das Staunen groß, wenn man beobachtet, wie schnell der ehemalige Spurensicherungstreifen mitsamt Sperrgraben zu einem Grünstreifen verbuscht und neuer Wald entsteht.

 

Natur ohne Grenzen

 

Man stößt auf alte Grenzsteine, sie kennzeichnen den Grenzverlauf. Heute markieren sie keine Staatsgrenze mehr, sondern „nur“ die Landesgrenze zwischen Bayern und Thüringen. Wellig, wie in jedem Mittelgebirge, verläuft auch hier der Grünstreifen. Ab und zu ein Jägerhochsitz neben dem mit Betonplatten befestigte Kolonnenweg. Er ist spezifisch, auf ihm waren die Patrouillen unterwegs.

Von Nordhalben aus kann man eine Fahrt mit einem alten Unimog (Baujahr 1972) zum ehemaligen Grenzstreifen unternehmen. Von bayerischer Seite aus über die Grenze und dann den Kolonnenweg auf und ab fahren. Vielleicht eine Alternative für Oldies liebende Touristen, Wildnis zu erleben und Geschichte zu entdecken.

 

 

Auskunft und Aktivitäten

 

Allgemeine Informationen bekommt man beim Frankenwald Tourismus unter 09261.60150 und www.frankenwald-tourismus.de

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