Vladimir Jurowski: Pointiert mit den Fingerspitzen
München - Das erste Akademie-Konzert dieser Saison mit Werken aus der mittleren Periode von Ludwig van Beethoven zeigt: Auf keinen Fall will Vladimir Jurowski einen standardisierten Schönklang aufrufen.
Vielmehr mischt er die Totale des Bayerischen Staatsorchesters für Beethovens Symphonie Nr. 2 und sein Violinkonzert, beide in D-Dur, völlig neu ab. Die Streicher spielen nur mit den Fingerspitzen, pointiert statt voluminös, sodass sie, ziemlich zurechtgestutzt, weniger eine Unterlage bilden als einen bloßen Dialogpartner für die im Gegenzug völlig gleichberechtigten Bläser.
Jurowski lässt alle Musiker vorsichtig auftreten
Bewirkt das schon beträchtliche Kräfteverschiebungen in der Balance, setzt Jurowski noch einen drauf und lässt alle Musiker so vorsichtig auftreten, als ob in einem intimen Salon feinste Kammermusik gemacht würde und nicht die ganze Staatsoper zu erfüllen wäre. Die widerständige Pauke zu Beginn des Violinkonzertes ertönt so leise, dass sie auch der junge Ludwig kaum noch gehört hätte.
So beeindruckend diese Sensibilität ist - hat Beethoven nicht auch in beiden Werken strahlende Höhepunkte komponiert? Da vermisst man dann schon ein wenig einen zupackenden Streicherkörper, ein stabiles Holzregister. Und aus voller Brust erschallende Hörner.
Jurowski: So hat er sich zu seinem Beethoven-Bild inspirieren lassen
Jurowski hat sich zu seinem Beethoven-Bild vielleicht auch ein Stück weit von der jüngeren Studie "Testament - Music for Orchestra" von Brett Dean aus dem Jahr 2008 anregen lassen.
Der 1961 geborene australische Komponist war lange Jahre Bratscher der Berliner Philharmoniker und nutzt seine von Innen erworbene Kenntnis des Orchesters, um einen einzigartigen, gedämpften, pergamentartig trockenen Klang zu erzeugen, der laut eigener Aussage von Beethovens Schreiben, seinem Kritzeln auf Papier, inspiriert ist: keine Musik über Musik, sondern eine über den eigentümlichen Zustand, in dem im Kopf und am Schreibtisch Musik überhaupt erst entsteht.
Fremdelt Frank Peter Zimmermann noch?
Wie kommt Frank Peter Zimmermann mit der extremen Zurückhaltung des Staatsorchesters unter Jurowski zurecht? Ein bisschen scheint er, der vor einigen Jahren mit Manfred Honeck zusammen eine ideenreiche Deutung des Violinkonzerts von Beethoven vorgestellt hatte, mit der allgemeinen Leisetreterei zu fremdeln.
So erklären sich wohl die unmerklichen Intonationsschwankungen, die ein paarmal und nur im Zusammenspiel mit dem Orchester auftreten.
Doch Zimmermann stellt sich auf die bisweilen etwas glanzlose Begleitung ein, wenn er das Passagenwerk nicht geläufig von der Hand perlen lässt, sondern in bisweilen unwirsch mechanischer Artikulation als ehrliche Arbeit vorstellt.
Im Ganzen eine kantige Interpretation, aber auch eine, die unter den bloß geschmäcklerischen heraussticht und somit im Gedächtnis bleiben wird.
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Vladmir Jurowski dirigiert am 14., 17.. 21. und 25. Oktober im Nationaltheater Alban Bergs "Wozzeck" mit Simon Keenlyside. Karten unter www.staatsoper.de