Tenor Bostridge im Prinzregententheater: Zwischen Monty Python und Psycho
München - Mit Ian Bostridge müsste man wunderbar "Stille Post" spielen können.
Zum Beispiel mit Texten von Wilhelm Müller. Bloß würde das Spiel nicht lange dauern, weil schon beim ersten Nachsagen etwas herauskommen kann, das beim Hörer im nicht ganz ausverkauften Prinzregententheater immer wieder ankommt: eine drollige Wendung oder Halbzeile, die wie Monty-Python-Deutsch klingt. Mit dem Original, wie Franz Schubert es in seinem berühmtesten Liederzyklus vertonte, hat das nicht mehr viel zu tun - "Stille Post" eben.
Ian Bostridge sollte das Werk mal wieder gründlich einstudieren
Mit der "Winterreise" verbindet den englischen Tenor eine lange Geschichte, manche Musikfreunde werden sich vielleicht noch an die Verfilmung von 1997 erinnern. Auch produziert Bostridge in seinem Vortrag natürlich nicht nur Nonsens, viele Verse sind glasklar zu verstehen. Wahrscheinlich wäre es für ihn eher an der Zeit, das Werk wieder einmal gründlich einzustudieren. Das würde auch manche Schlamperei ausmerzen, wenn etwa Crescendi und vor allem Decrescendi ausbleiben oder ein Achtelauftakt durch eine Sechzehntel ersetzt wird.
Ian Bostrige: Befremdliche Show im Prinzregententheater
Ja, das sind Kleinigkeiten. Sie treten aber in Bostridges aktueller Interpretation des Zyklus so auffallend zutage, weil er mangelnde Genauigkeit mit permanenten Übertreibungen zu kompensieren versucht. Rein stimmlich müsste Bostridge keine Unsicherheiten fürchten: Die Stimme des 57-Jährigen klingt sowohl in der Höhe als auch in der besonders schönen Mitte in geschmeidigem Legato. Umso mehr befremdet die Show, die er von Anfang an abzieht.
Eine harmlose Formulierung wie "Gott hat sie", die Liebe nämlich, "so gemacht", stößt er zähnefletschend hervor, "an dich hab' ich gedacht" entstellt er mit einem grotesken Krächzlaut. Ein Füllwort wie "und" wird sinnfrei herausgebrüllt. Dazu windet sich Bostridge mit seiner hoch aufgeschossenen, dünnen Gestalt auf dem Flügel hin- und her, geht drohend auf das Publikum zu, als ob das lyrische Ich der "Winterreise" kein trauriger Wanderer, sondern eine Art singender Norman Bates ("Psycho") wäre.
Ein normaler Begleiter würde neben so einem Spektakel unsichtbar werden. Sir Antonio Pappano aber entdeckt in dem eigentlich so kargen Klavierpart einen orchestralen Reichtum, wie das wohl nur ein Dirigent kann: Da weben Streicher ihre Schleier, rufen ferne Hörner und rühren die Trommeln wie später erst wieder bei Gustav Mahler.
- Themen:
- Kultur
- München
- Prinzregententheater