Isarphilharmonie: Rave over Beethoven
Es gibt kein abgedroscheneres Zitat als das von Richard Wagner auf Beethovens Siebte gemünzte Wort von der "Apotheose des Tanzes". Weil in der zweiten Hälfte des Konzerts, das mit dieser Symphonie begann, das Publikum in der Isarphilharmonie tatsächlich von einem dionysischen Rausch erfasst wurde, darf das von 1000 Programmheften verschlissene Wort hier ausnahmsweise einmal auftauchen.
Einmalige Grenzüberschreitung gelang
Am Freitag gelang dem Münchener Kammerorchester und der Jazzrausch Bigband eine ziemlich einmalige Grenzüberschreitung, in der kein billiger Crossover gegensätzliche künstlerischen Konzepte verdünnte. Zuerst einmal gab es eine ganz normale, rhythmisch akzentuierte und mit den Einsichten der historischen Aufführungspraxis im Klang geschärfte Aufführung der Beethoven-Symphonie unter Clemens Schuldt. Der plauderte beim Umbau ein wenig mit Roman Sladek von der Jazzrausch Bigband. Bei einer kurzen Befragung des Publikums stellte sich heraus, dass überraschenderweise weder das Stammpublikum des einen noch des anderen Publikums erschienen war. Da existiert - bei einer so gut wie ausverkauften Isarphilharmonie - also noch eine Menge Potenzial.
Das MKO und die Bigband vereinigten sich dann für das Stück "Workers Union" des niederländischen Avantgardisten Louis Andriessen - eine kollektive, rund 20-minütige Improvisation über eine ziemlich schlecht gelaunte rhythmische Figur. Nach der Pause folgte dann das Programm "Beethoven's Breakdown" der Jazzrausch Bigband. Es geht - halb im Ernst und halb aus Spaß - von der Mondschein-Sonate oder vom Allegretto der Siebten aus und verwendet das als Material. Manche Stücke gehen von Beethoven aus, andere münden auf Umwegen in ein Zitat aus dem Werk des Komponisten, andere spiegeln nur seinen Geist.
Reißt auch den unwilligsten Besucher von den Sitzen
Die 16-köpfige Jazzrausch Bigband verbindet in den Kompositionen von Leonhard Kuhn das vom Namen aufgerufene Genre mit kraftvollen Techno-Beats. Das mag Puristen befremden, aber es geht in die Beine und reißt auch den unwilligsten Besucher von den Sitzen. Schon beim ersten Stück tanzten Einzelne, später vereinigte sich die ganze Isarphilharmonie zu einem Rave.
Roman Sladek betonte in seinen Ansagen immer wieder, dass er auf einen authentischen Beethoven hinauswolle. Das ist natürlich Schmäh, enthält aber eine tiefere Wahrheit: Symphonien wie die Fünfte, Siebte und Neunte zielen tatsächlich darauf ab, aus Hörern eine utopische Gemeinschaft zu formen. Aufgrund speziell deutscher Erfahrungen mag man da ein wenig skeptisch bleiben. Aber Techno hat den Vorteil, ganz unbefangen und ideologiefrei den Hedonismus des Hier und Jetzt zu predigen. Und so haben die 1800 Zuhörer endlich einmal erlebt, was das unvermeidliche Wagner-Zitat wirklich bedeutet. Zwar nicht bei Beethoven, sondern erst hinterher, dafür aber mit Respekt vor seinem Material.
Die Jazzrausch Bigband spielt am 2. August im Brunnenhof der Residenz, das MKO beginnt seine neue Saison am 13. Oktober
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