Kritik

Philharmonic Orchestra in der Isarphilharmonie: Sprechende Romantik

Jan Lisiecki und das London Philharmonic Orchestra unter Edward Gardner in der Isarphilharmonie.
Michael Bastian Weiß |
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Der kanadische Pianist Jan Lisiecki.
Der kanadische Pianist Jan Lisiecki. © Peter Rigaud

München - Das Glück ist perfekt, als die Stelle mit dem Dialog von Oboe und Klavier kommt. In allen Aufführungen des Klavierkonzerts von Robert Schumann reagieren die beiden Solisten hier irgendwie aufeinander.

Doch was Jan Lisiecki und dem Londoner Bläserkollegen gelingt, ist unerhört. Nicht nur greifen beide minutiös die ausgesuchte Artikulation des jeweils Anderen auf, sondern das poetische Gespräch verändert sich sogar noch, entwickelt sich: Die Partner gehen sensibelst aufeinander ein.

Feinste Differenzierungen

Keine einzige Note erklingt in dieser denkwürdigen Aufführung unbedacht, von selbst, wie es bei einem so allbekannten Werk leicht geschieht. Lisieckis Ton ist empfindlich, der 26-Jährige findet feinste Differenzierungen zwischen Piano, Pianissimo und "gerade noch vernehmbar". Sogar in den berühmten herabstürzenden Einleitungsakkorden bringt er Crescendi und Decrescendi unter.

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Gleichzeitig ist sein Anschlag bei aller Diskretion von geradezu gestanzter Deutlichkeit. Winzigste melodische Gesten werden mit unaufdringlichem Ausdruck erfüllt, zum Sprechen gebracht, geben Kommentare ab. Selbst in bloßen Begleitfiguren entdeckt der Kanadier noch motivische Beziehungen.

Das Geheimnis der beglückenden Schumann-Interpretation

Das ist auch das Geheimnis von Jan Lisieckis so beglückender Schumann-Interpretation: Dass er den Komponisten als Polyphoniker von Bach'schem Ausmaß erkannt hat, der in buchstäblich jeder Sekunde vielstimmig denkt - und das auch darstellen kann. Mit dieser mehrfach ineinander verzahnten Realisierung des Konzertes wenden Lisiecki und das London Philharmonic Orchestra die akustischen Herausforderungen der Isarphilharmonie vollkommen zu ihren Gunsten.

Auch die beiden symphonischen Werke sind derart geschickt auf die hallarme Analytik zugeschnitten, dass man, wenn man es nicht besser wüsste, glaubte, das Orchester würde unter seinem frischgebackenen Chefdirigenten Edward Gardner schon jahrelang in diesem Saal auftreten.

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Eine unverhoffte Piccolo-Flöte bei Beethoven

So begegnet man in der "Egmont"-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven unverhofft jener Piccolo-Flöte, die sonst im finalen Tuttiwirbel unterzugehen pflegt. In der Symphonie Nr. 2 von Jean Sibelius frappiert, wie scharf die Londoner deren traditionell ignorierte Rhythmik herausstellen, wie hart die Ereignisse aneinandergeschnitten werden können: mehr an moderner geometrischer Konstruktivität orientiert als an nebulöser Naturmystik.

Dennoch realisiert Gardner das symphonische Moment, wenn er Steigerungen über Minuten hinweg unter Spannung versetzt und schließlich in gezackten Höhepunkten ausbrechen lässt. Dieses Londoner Gastspiel gehört schon jetzt zu den bedeutendsten Konzerten dieser noch jungen Saison.

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